Sehr geehrter
Herr Regierungsrat Markus Notter, liebe Irene Schweizer, lieber Omri
Ziegele, liebes Theater Neumarkt, liebe Freundinnen und Freunde des
Preisträgers, lieber Patrik Landolt
Zu sagen, der Prix Suisseculture
hätte Tradition, wäre leicht übertrieben, wird er doch
heute zum genau zweiten Mal verliehen. Der erste Preis ging im September
08 an den Filmemacher Frederic Gonseth – nicht für sein künstlerisches
Werk, sondern für sein kulturpolitisches Engagement - ein Fakt,
der nicht ganz einfach zu vermitteln war. Mit anderen Worten: Der Prix
Suisseculture eröffnet ein weites Feld für alle möglichen
Missverständnisse. Und das ist gut so. Denn darin liegt beides:
ein Dilemma - und eine Chance. Die Chance nämlich, eine Person
nicht nur für ein bestimmtes, klar umrissenes Tun auszuzeichnen,
sondern für die Summe ihrer verschiedenen Tätigkeiten, seien
sie nun künstlerischer, kultureller oder kulturpolitischer Natur;
Tätigkeiten, die sich meistens sowieso nur künstlich trennen
lassen und die sich im besten Fall gegenseitig befruchten, beleuchten,
ja vielleicht sogar bedingen. Das Ganze ist mehr als die Summe seiner
Teile, und ein Mensch ist mehr als die Summe dessen, was er tut. „Mit
dem Prix Suisseculture in der Höhe von 20 000 Franken zeichnet
eine unabhängige Jury eine Persönlichkeit aus, die sich besondere
Verdienste um die Förderung und Vermittlung des Kulturschaffens
in der Schweiz erworben hat. Zweck des Preises ist es, eine ausserordentliche kulturelle
und kulturpolitische Leistung zu verdanken und dem Publikum bekannt
zu machen. Der Prix Suisseculture wird von Suisseculture ausgeschrieben,
der Dachorganisation der Kulturschaffenden in der Schweiz. Gestiftet
wird er von der Schweizerischen Interpreten Stiftung SIG.“ Die
Ankündigung zeigt es nochmals: Ausgezeichnet wird eine Persönlichkeit,
die sich irgendwo im kulturellen Feld positioniert und von dort aus
nach Kräften agiert – nicht für sich selbst, sondern
für Kunst und Kultur und damit für die Gesellschaft, jenes
schwer fassbare, verästelte, sich stets verändernde Gebilde,
das uns ausmacht und das wir alle ausmachen, egal woher einer kommt
und wohin eine geht.
Die Juryierung der von den Mitgliederverbänden von Suisseculture
eingereichten, durchwegs valablen Bewerbungen war – wie ich meine,
nicht nur für mich – sehr anregend. Unser grosser Dank für
die engagierten Gespräche geht an die waadtländer Nationalrätin
Josiane Aubert, an Thomas Meier, Direktor der ZHdK, an Regierungsrat
Markus Notter, an die Radiojournalistin Karin Salm, an Samir, Filmemacher
und Produzent sowie an Barbara Weber, Regisseurin und Co-Direktorin
des Theater Neumarkt. Ihrer kumulierten Kompetenz und Intelligenz, ihrer
fair und beherzt geführten Diskussion ist die Entscheidung für
Patrik Landolt zu verdanken und damit auch die Entscheidung für
eine Person, die nicht Kraft eines Amtes oder Auftrags handelt –
was notabene durchaus zum Profil eines Preisträger, einer Preisträgerin
gehören könnte –, sondern aus eigenem Antrieb und auf
eigenes Risiko.
Bevor ich den Preisträger kurz vorstelle, möchte ich noch
ein wenig weiter danke sagen: Der SIG für die Stiftung des Preises,
dem Kanton Zürich für die Unterstützung dieses Anlasses,
dem Migros-Kulturprozent für die Unterstützung des musikalischen
Rahmenprogramms, dem Theater Neumarkt fürs Mitdenken, und –organisieren,
und nicht zuletzt möchte ich daran erinnern, dass es den Prix Suisseculture
nicht gäbe, wenn ihn Daniel Fueter nicht erfunden hätte –
auch in anderen Bereichen hat er in den zwei kurzen Jahren als Suisseculture-Präsident
ungemein vieles in Bewegung gesetzt.
„Engagement“ – dies ein zentraler Begriff, der uns
in der Juryarbeit geleitet hat – hat bekanntlich
mindestens zwei Bedeutungen: 1. Ein hoher persönlicher Einsatz
(meist unentgeltlich) im Dienst einer Sache, oder 2. ein Auftragsverhältnis,
zum Beispiel im Theater. Von dort kommt das Wort auch, jemanden „en
gage“ nehmen, also via Gage jemanden für eine Sache verpflichten.
Auch Söldner waren also Engagierte. Ist diese doppelte Bedeutung
nicht eigentümlich? Oder ist sie gar folgerichtig, geht Kunst geht
nach Brot, und was bedeutet das? Darauf werden wir in der Diskussion
„Auf verlorenem Posten? Kunst ausserhalb des Mainstreams“
garantiert noch zu sprechen kommen.
Die Ökonomisierung hat in den letzten Jahrzehnten viele Lebensbereiche
erfasst, wie wir alle wissen, auch den sogenannten Kulturbetrieb. Nicht
zuletzt spiegelt sich das auch im grassierenden Controlling, im Evaluationswahn,
gerade auch im Kulturbereich. Jeder Franken muss sich lohnen, jedes
Schrittchen wird auf seine Effizienz hin untersucht – oft mit
genau jenen Geldern, die dem jeweiligen Bereich dann fehlen. Vielleicht
kann der Prix Suissecuture ein kleines Gegenzeichen setzen dazu –
wir werden ihn nicht evaluieren; ich bin sicher, mit der Evaluation
der vielfältigen Arbeit, die Patrik Landolt in den vergangenen
fast dreisisig Jahren geleistet hat und weiterhin leisten wird, wären
zwei bis drei Fachmänner oder – Frauen auf Jahre hinaus beschäftigt...
– und würden sie zum Beispiel vom Bundesamt für Kultur
zu diesem Zweck angestellt, sie könnten gut leben davon...
Aber dies soll keine Polemik werden, weder gegen das BAK noch gegen
die Politik. Denn Kulturpolitik ist nicht das, oder bei weitem nicht
nur das, was Politikerinnen und Politiker machen oder zu verhindern
suchen, Kulturpolitik wird von uns allen gemacht, die wir uns als Akteure
des Kulturlebens verstehen, von Künstlerinnen und Künstlern,
Fördergremien, Konsumenten – und eben von Menschen wie Patrik
Landolt, der unlängst mit Beharrlichkeit und Überzeugungskraft
Stück für Stück ein Um- oder Weiterdenken erreicht hat
– so wird sein Label, Intakt Records, zum ersten Mal vom Kanton
Zürich auf drei Jahre hinaus unterstützt, mit der Verpflichtung,
jährlich 6 CDs von im Zürcher Musikleben aktiven MusikerInnen
und Formationen zu produzieren, was allen Beteiligten eine gewisse Sicherheit,
Kontinuität und Entwicklung ermöglicht. Dass dies möglich
wurde, ist eben vor allem Patrik Landolt selber zu verdanken –
er hat die zuständigen Leute von der Notwendigkeit einer Kunstförderung
überzeugt, die die ganze Kette künstlerischer Produktion berücksichtigt.
Dies, notabene, ist seit einigen Jahren auch in der Buchbranche ein
wiederkehrendes Thema...
Damit komme ich endlich und nahtlos zum Preisträger.
„Mit Patrik Landolt, geb. 1956, ehrt die Suisseculture einen äusserst
engagierten Kulturfachmann, der sich seit Jahrzehnten für den Jazz
und die experimentelle Musik einsetzt. So war er Gründungsmitglied
des Veranstaltungsteams «Fabrikjazz», der Festivals «Taktlos»
und «Unerhört» sowie Initiant und Leiter der «Schaffhauser
Jazzgespräche». Von 1981 bis 2002 war er Kulturredaktor der
WoZ. Seit 1986 betreibt er das CD-Label Intakt Records. Mit «Unerhört»
wurde ein neuer Typus des Jazzfestivals geschaffen: ein Festival, bei
dem die Musikerinnen und Musiker auch in der Programmierung den Ton
angeben, und das die Musik vom Kulturzentrum über Museen, Jazzclubs,
Theaterhäuser, Musikhochschulen und Gymnasien bis ins Altersheim
trägt.“ Soweit die Begründung der Jury.
Es könnte, ja muss erscheinen wie eine, hoffentlich geglückte
Inszenierung: zwei Jazzmusiker, Irène Schweizer und Omri Ziegele
spielen hier zu Ehren unseres Preisträgers, der ihre Musik als
Verleger seit Jahren oder Jahrzehnten betreut, bekannt macht, begleitet,
fördert und vertreibt. Eine klare Sache, scheint es; die Verhältnisse
indessen, sie sind nicht so. Die Musikerin und der Musiker standen viel
früher fest als der Preisträger; sie hätten unter Umständen
auch die Feier für eine besonders engagierte Ausstellungsmacherin,
einen Politiker, der sich unermüdlich und erfolgreich für
die lokale Theaterszene einsetzt, musikalisch umrahmen können.
Das dem nicht so ist, dass sich Preisträger und Musik gegenseitig
beleuchten, oder besser gesagt, sich gegenseitig hörbar- und sichtbar
machen, erscheint also zunächst als sinniger Zufall.
Ein grosses, helles Zimmer in einem ehemaligen Industriegebäude
in der Binz. Metallgestelle bis zur Decke, gefüllt mit Büchern
und CDs. An der Fensterfront zwei Arbeitsplätze, wobei der eine
nur sporadisch besetzt ist – vom Grafiker Jonas Schoder, der für
den ganzen Bereich der Gestaltung zuständig ist. Daneben gibt es
eine Person, die sich teilzeitlich um die Buchhaltung kümmert,
und gelegentlich helfen ein paar Leute die neuen CDs zu verpacken und
sie versandfertig zu machen – nicht selten sind es die Musiker
selbst, die Hand anlegen. Und bereits hier zeigt sich auf beeindruckende
Weise, was ein solches Hand-in-Hand-Arbeiten vermag: Aus den Gesprächen
bei der doch eher monotonen Tätigkeit des Verpackens keimen bereits
neue Projekte, entwickeln sich erste Ideen für noch Unerhörtes.
Insgesamt also ungefähr zwei Vollzeitstellen, ein einziger Raum:
Das ist Intakt Records, ein sowohl national wie international bekanntes
Label für innovativen Jazz. Dieses Wort stammt von mir, der Preisträger
selber sagt, es gebe keinen passenden Begriff, um das Spektrum der von
ihm verlegten Musik zu bezeichnen, einzig Mainstream, Jazz als Unterhaltung
zum Feierabend-Cüpli, Jazz als Entertainment, das mache er nicht.
15 CDs pro Jahr werden hier in diesem Raum konzipiert, finanziert, betreut,
beworben, gelagert und weltweit vertrieben, und das alles eben vornehmlich
von einer Person, einem Allrounder, wie er selber sagt, Patrik Landolt,
der natürlich auch ein Spezialist ist. Das enorme Arbeitspensum
kann nur mit ebensolchem Engagement geleistet werden – und mit
Hilfe des Computers. Dabei werden die rasenden Veränderungen, denen
dieses Business unterworfen ist, mehr als deutlich. Noch vor 15 Jahren
lautete die Faustregel: Eine Stelle für 3 produzierte CDs pro Jahr.
Heute ist es nicht mal mehr die Hälfte Arbeitskraft, die dafür
benötigt wird – was keinen Gewinn bringt, sondern so grad
eben knapp das Überleben sichert. Denn das Business hat sich dramatisch
verändert. Die Entwicklung zeigt, wie in fast jeder Kunstsparte,
in Richtung Quantität – was nicht per se eine Qualitätsminderung
bedeutet. Im Gegenteil, ist man zu sagen versucht, wenn man Patrik zuhört,
die Qualität hat sich gesteigert. Denn was noch vor zwanzig Jahren
undenkbar schien – Europa als Zentrum des Jazz – ist Realität
geworden. Das hat auch mit der angebotenen Ausbildung zu tun. Allein
der Schweiz gibt es mittlerweile 6 Hochschulen im Bereich Jazz mit rund
hundert Abgängern pro Jahr, das heisst weit über tausend aktive
Profis, die in der Schweiz leben. Was sie ausmache, seien Kontinuität
und Eigensinn; wahnsinnig spannend, sagt Landolt. Aber es gilt: Der
Musikmarkt ist dereguliert, die Leute kaufen gleich viele CDs wie früher,
aber die Käufe verteilen sich auf viel mehr Titel. Ein Einzeltitel
bringt kaum noch Rentabilität, nur viele Titel können mittel-
oder gar langfristig das Überleben eines Labels wie Intakt Records
sichern. Nun, 53 Jahre ist Patrik Landolt jung, und sein Label wird
demnächst, im nächsten Jahr, 25. Man könnte an eine flügge
gewordene Tochter denken, einen halbwegs der Pubertät entwachsenen
Sohn. Aber Label sind keine Kinder, die, ein Quäntchen Glück
und beträchtliche Anfangsinvestitionen vorausgesetzt, irgendwann
finanziell, emotional und gedanklich erwachsen, also von den Eltern
unabhängig werden. Im Gegenteil, ein Label wie Intakt Records –
der Name ist übrigens entstanden als Kontrapunkt zum Jazzfestival
Taktlos, auch das, wie gesagt, von Patrik Landolt mitbegründet
und wesentlich weitergeführt – ein Label erneuert sich bekanntlich
nicht von selbst, es hält nicht selbstverständlich mit den
technologischen Entwicklungen Schritt, es wächst und gedeiht nicht
von allein, es braucht ständige Pflege, und das alles bedeutet
natürlich auch: es braucht ständig Geld.
Wie also macht er das? Wie hat er das gemacht? Für diese Musik
kann man nämlich nicht zur Bank gehen und einen Kredit beantragen.
Angefangen hat er folgerichtig in der Freizeit, dann erst, als der Erfolg
kam – was hier soviel heisst wie internationale Beachtung, begeisterte
Kritiken in den wichtigsten Jazzzeitschriften – konnte er Schritt
für Schritt das Pensum reduzieren als Journalist, und seit ein
paar Jahren macht er es voll und ganz, das heisst fünfzig bis sechzig
Arbeitsstunden pro Woche, am liebsten am Wochenende, wenn nicht dauernd
das Telefon klingelt und die Mails sich auf ein bewältigbares Mass
herunterschrauben. Oft lassen sich Arbeit und Freizeit in diesem Beruf
nicht trennen; der Besuch eines Konzerts schafft neue Kontakte und Horizonte,
lässt aus Arbeitsverhältnissen Freundschaften erwachsen.
Was hier nämlich wie ein Zufall daherkommt, ist eben doch nicht
wirklich einer. Vorgeschlagen dem entsprechenden Verband hat die Kandidatur
Patrik Landolt nämlich Omri Ziegele. Das darf man sagen, das muss
man sagen, denn das ist ja die eigentliche Idee hinter dem Prix Suisseculture:
Künstlerinnen und Künstler richten einen Preis aus an einen
Nicht-unbedingt-Künstler, weil er ihre Arbeit befördert und
das Umfeld, in dem sie gedeihen kann. Dass die Musikerinnen sich stark
machen für ihren Verleger widerlegt auch aufs Schönste das
Klischee von der Gegnerschaft zwischen Künstlerinnen und ihren
Verlegern – das in der Jazzmusik lange von der Ausnutzung afroamerikanischer
Musikerinnen und Musiker durch Grosskonzerne geprägt war.
Hier helfen Musiker nicht nur beim Verpacken der eigenen CDs. Wenn ein
Musiker in Deutschland auf Tournee geht, kommt er zuvor bei Intakt vorbei
und nimmt noch ein paar CDs mit, die er dann in Deutschland zur Post
bringt, für den Versand innerhalb Deutschlands – was dem
Verlag eine Menge Porto spart. Dies ist nur ein Beispiel, weitere hier
aufzuführen, würde den Rahmen dieser Veranstaltung sprengen
– und damit vielleicht die Leistung von Patrik Landolt veranschaulichen.
Denn vieles, was ich hier sehe und höre, erinnert an den Begriff
des Gesamtkunstwerks: Die Cover der CDs werden fast immer von Künstlerinnen
und Künstlern gemacht, ich verzichte jetzt auf einzelne Namen,
eine ganze Reihe von CDs liegen draussen im Foyer zur Ansicht (und zum
Kauf) aus, die Musiker machen dazu Vorschläge aus dem Freundeskreis,
auch für die Texte der Booklets, die stets mehr sind als reine
Werbetexte. Jede CD hat ihre eigene Geschichte, und Intakt Records erzählt
sie. Die Musikerinnen und Musiker kommen aus Afrika, der Ex-DDR, New
York, kurz von überall her. Da hilft scheinbar die Inselsituation
in Zürich; man könnte auch sagen, da nutzt einer die Inselsituation,
um die Geschichten aus fast der ganzen Welt zu erzählen.
Für Landolts Arbeit ist Kontinuität ein zentraler Begriff,
folge den Künstlern, wenn auch nicht in jede Ecke; gibt es doch
manche, die machen drei, vier CDs pro Jahr, diese Produktivität
zu begleiten, ist schlicht unmöglich.
Ebenso unmöglich ist es hier, auf einzelne Produktionen einzugehen,
dazu bin ich zuwenig Kennerin der Materie. Deshalb möchte ich schliessen
mit einem Ausblick: Ein Buch über Musik zu schreiben oder ein Sabbatical
für ein Jahr, das sind zwei deiner Wünsche – doch dafür,
lieber Patrik, reicht unser Prix Suisseculture leider nicht aus, aber
vielleicht dafür: Ein bisschen mehr Freiraum, ein paar Schultern
mehr, auf die man das Gewicht verteilen könnte. (Markus Notter
sucht, wie wir erfahren haben, eine neue Herausforderung ab nächstem
Jahr). Vor allem aber soll dieser Preis dich in dem bestätigen,
was ich persönlich und wohl wir alle hier immer schon an dir geschätzt
haben: In deiner intellektuellen Neugier, deiner Lust auf Neues, ohne
das Gewachsene dabei gering zu schätzen, dein Interesse für
dein Gegenüber, für die Welt, kurz in deinem Engagement, das
du dir selber in Auftrag gegeben hast – es ist das Engagement
eines Individuums, einer Persönlichkeit, die mitten im Kulturleben
steht, auch wenn das, was du tust, von den Rändern her kommt, wie
fast alles, was uns und die Kunst weiterführt. |