BERLINER
ZEITUNG, 4.4.2008
JAZZ
Alexander von Schlippenbach zum 70.
Christian Broecking
In dieser Woche ist er für neue Schallplattenaufnahmen in Italien,
sein Tourplan ist prall gefüllt. Mit der 3-CD-Box "Monk's
Casino" (Intakt Reccords) gelang ihm vor drei Jahren das große
Comeback -ein bezauberndes und durchaus nicht selbstverständliches
Detail in der Karriere des europäischen FreeJazz-Protagonisten.
Am 7. April nun wird der Berliner Pianist und Komponist Alexander von
Schlippenbach 70 Jahre alt.
Sein 1966 gegründetes Globe Unity Orchestra und sein 1970 gegründetes
Trio mit Evan Parker und Paul Lovens zählen zu den langlebigsten
Improvisatoren-Kollektiven aus der Aufbruchsmusik jener Jahre. Schlippenbach
ist tatsächlich noch einer der wenigen, die sich ungebrochen zum
Free Jazz bekennen und immer skeptisch geblieben sind gegenüber
solch vagen Termini wie "frei improvisierte Musik".
Der Free Jazz vermittelte sich über die musikalische Schockwirkung
und den revolutionären Impetus. Im kulturellen Kontext des postfaschistischen
Nachkriegsdeutschlands erschien Free Jazz gar als politische Musik,
die Musiker verstanden sich als kulturrevolutionäre Vorhut - was
sich auch auf die naheliegende Gleichung bringen ließ, Free Jazz
sei links.
Schlippenbach schluckt. Für ihn ist der Free Jazz eine musikhistorische
Notwendigkeit, vergleichbar etwa mit der Neuen Wiener Schule und Schönbergs
Zwölftonmusik, gewesen. Cecil Taylor und Ornette Coleman hatten
vor ihm daran experimentiert, Colemans Platte "Free Jazz"
gab der Richtung damals den Namen, in den Niederlanden kümmerten
sich damals fast zeitgleich Misha Mengelberg und Han Bennink, in England
Evan Parker, Derek Bailey und Tony Oxley um die Entwicklung dieser neuen
Musik.
Alexander von Schlippenbach fühlt sich auf der Höhe der Zeit
und im Zentrum musikalischer Entwicklung. Natürlich nicht im Sinne
des kommerziell erfolgreichen Jazz und dem ganzen bullshit von Entertainment
und Marketing, fügt der kompromisslose Musiker hinzu. Seit 1970
wohnt er wieder in seiner Heimatstadt. Für ihn ist Berlin voll
lebhafter und obskurer Erinnerungen, besonders wenn er sich an die Mauersituation
samt der ganzen Exotik, die der deutsch-deutsche Jazz darin aufzubieten
hatte, erinnert. Ganz besonders schätzt er das heutige Berlin mit
den vielen guten Musikern und Locations, jeden Abend könne man
hier spannenden Jazz erleben, er selbst nutzt die Jazzinfrastruktur
der Stadt als Experimentierbühne, Aufnahmestudio und Musikerpool.
Für den Free Jazz ist neben dem Wissen um die Tradition die eigene
Erfindung wichtig. Die allerdings sei nicht lehrbar, die rebellischen
Signale müssen vielmehr wild wuchern, sagt Schlippenbach. Jazzmusiker
wie er seien unterbezahlte Freiberufler, doch er wähnt sich und
seine Frau, die Pianistin Aki Takase, zu den Glücklichen, die ausschließlich
von ihrer Musik leben können.
Free Jazz bezeichnet also eine Musik, die grundsätzlich offen ist.
Zugegeben, Schönberg sagte, dass ein leerer Saal nicht gut klinge,
und er irrte mit seiner Annahme, dass die Menschen heute seine Zwöftonmelodien
auf der Straße pfeifen würden. Eine permanente Revolution
in der Musik gibt es also nicht, resümiert Schlippenbach. In diesem
Sinne jedoch sei sein Free Jazz neu, unbequem und radikal.
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