Christian Broecking


Ziegeles Ohr für die Improvisation im Alltag

Wenn er da spielt, wo viele Teenies sind, dann fühlt er sich am wohlsten - den alten Säcken könne man alles vorsetzen, den jungen nicht. Der Züricher Saxofonist Omri Ziegele ist 47, eine Generation von der Pianistin Irène Schweizer entfernt. Ihre gemeinsame CD heißt "Where's Africa" (Intakt), und sie dokumentiert, wie wichtig Kommunikation zwischen den verschiedenen Erfahrungskontexten der improvisierenden Szenen ist. Ziegele spricht von Filmriss, wenn er an die jungen Leute denke, die Jazz nur noch als eine Disziplin kennen, die man an der Hochschule lernt.

1997 hat er zusammen die Musikerinitiative OHR gegründet, um bessere Arbeitsbedingungen in Zürich zu schaffen, sodass man ohne viel Aufhebens dort einen Job machen und auch etwas Geld verdienen kann. Große Konzerte und Festivals gab es mittlerweile genug, nur das Alltagsgeschehen, das fehlte. Mit OHR hat Ziegele dann wöchentlich wiederkehrende Konzerttermine organisiert, und schließlich entstand daraus das "Unerhört!"-Festival, das im November zum fünften Mal stattfindet. Ziegele geht es um die Besinnung auf das Wesentliche - Eventkultur und das allzu Modische würden nicht weiter helfen. Um junges Publikum zu gewinnen, organisierte Ziegele beim letzten "Unerhört!" auch ein Konzert von Pierre Favre und Yang Jing, die Musik von ihrer CD "Two in One" (Intakt) an der Kantonsschule vor 350 jungen Menschen aufführten. Nur für die Musikabiturklassen war die Teilnahme Pflicht gewesen, die anderen seien freiwillig gekommen, berichtet Ziegele erfreut.
Im Unterschied zu Irène Schweizer, die anfangs im Ausland bekannter war als in ihrem Heimatland, ist es Ziegele und seinen Kollegen nicht wirklich gelungen, aus der Schweiz herauszukommen. "Die ganze Infrastruktur von früher, Solidarität und Kollegialität, die Irène noch kannte, gibt es nicht mehr", sagt Ziegele. Mit "Unerhört!" wollten sie das Defizit ausgleichen - und es gehört unterdessen zu den raren Konzertereignissen, bei denen Musiker und Produzenten selbst die Programmgestaltung in die Hand nehmen. Ziegele lädt dazu Bands ein, die schon sehr lange zusammenspielen, jedoch nur selten in einem größeren Rahmen zu hören sind. Wie das Trio Karl ein Karl, das mit der Werkstatt für Improvisierte Musik seit 20 Jahren eine wichtige Bühne für kreative Musiker in der Stadt bietet, und das Züricher Quartett Objets Trouvés. Die erste CD dieser Band nach sechs Jahren heißt "fragile" (Intakt) und basiert auf Kompositionen der Pianistin Gabriela Friedli, die sich nahtlos, mal Schnipsel, mal Vehikel, in den musikalischen Kommunikationsprozess der Gruppe integrieren. Der Schlagzeuger Dieter Ulrich ist auch bei OHR aktiv sowie in Ziegeles Band Billiger Bauer, die jeden ersten Donnerstag im Monat in der Werkstatt für Improvisierte Musik in Zürich spielt. Nur Anfang August nicht - denn da gastiert Omri Ziegele mit Irène Schweizer in Berlin.

Christian Broecking, Berliner Zeitung, 29. August 2006

 

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