BERT
NOGLIK
Aki Takase - Lauren Newton. Spring
in Bangkok.
Liner Notes Intakt CD 110
(dt + engl.)
Laut – Sinn –
Klang. Wer jagt hier wen, was wird hier verhandelt? Tief- und Unsinn,
flüchtiges Geschnatter, arienähnliche Dramatik, triviales
Kreischen, Luftschnappen als schöne Kunst zelebriert, Tönen
als Lebensmitteilung: Lauren Newton und Aki Takase.
Sie entsprechen und widersprechen einander mit Klängen, Lauten,
Silben, Wörtern. Sie dialogisieren in Phantasiesprachen, tauchen
ab in die Bereiche tiefer Emotionen und fliegen davon in die abstrakten
Gefilde der Sounds. Und nicht zu vergessen: sie haben etwas, das nicht
nur in der improvisierten Musik, sondern ganz allgemein in der Kunst
selten geworden ist, weil es sich dem Kalkül entzieht: sie haben
Humor. Nicht zu verwechseln mit einem schnellen Witz, auch nicht mit
einer geistreichen Pointe, entspringt diese Art von Humor dem souveränen
Umgang mit den Prozessen spontaner Klangproduktion und der Akzeptanz
des so nicht Erwarteten, dem Zugriff des Zufalls. Dabei erweist sich
das Ganze weder als geplant noch als zufällig. Die beiden gemeinsame
Erfahrung mit Improvisation bildet das Reservoir, aus dem sie spontan
zu schöpfen vermögen. Doch die Besonderheit entsteht durch
das Zusammentreffen dieser beiden Charaktere.
Fast verwunderlich, dass sie einander nicht schon früher begegnet
sind. Trotz unterschiedlicher Akzentuierungen haben sie einiges gemeinsam:
Beide sind mit dem Jazz und einer aus diesem herausgewachsenen improvisierten
Musik vertraut. Beide haben sich stets für Klangerweiterungen interessiert,
die bis in die Grenzbereiche etablierter Genres vorstoßen und
auch den Bereich der Neuen
Musik streifen. Lauren Newton hat mit Duo-Partnerinnen wie der Bassistin
Joëlle Léandre ein weites Spektrum spontanen Inter-Agierens
ausgeschritten und im Dialog mit Patrick Scheyder auch die klanglichen
Möglichkeiten der Kombination von Stimme und Piano erkundet. Aki
Takase sind die vokal-instrumentalen Verschränkungen bereits seit
ihrer Zusammenarbeit mit der Sängerin Maria João vertraut.
Und das Duo der Pianistin mit dem Bassklarinettisten Rudi Mahall imaginierte
mitunter eine seltsame Sprachnähe wie auch atmosphärische
Assoziationen im Umfeld von Charles Mingus bis zu Karl Valentin, dessen
Leben und Werk sich wiederum Lauren Newton in einem aberwitzigen Programm
mit dem Geiger Jon Rose annäherte. Sprache als Sound und Sound
als Sprache, das ist etwas, das Lauren Newton in intensiven Begegnungen
mit einem der Vordenker unter den Lautpoeten erfahren hat: mit dem unvergleichlichen
Ernst Jandl. Auch Aki Takase kennt die unkonventionellen Bereiche literarisch-musikalischen
Zusammenwirkens durch Konzerte/Performances mit der Autorin Yoko Tawada.
Die Gemeinsamkeiten der beiden Protagonistinnen reichen noch weiter:
beide haben ihre kulturellen Prägungen – Lauren Newton die
in Amerika erfahrenen, Aki Takase die japanischen – mit nach Deutschland
gebracht, haben sich hier in eine neue Lebensumwelt eingewöhnt
und sind letztlich doch in der internationalen Gemeinschaft improvisierender
Musiker und Musikerinnen zu Hause. Lauren Newton hat wiederholt Konzerte
in Japan gegeben und ist der japanischen Mentalität auch in der
gelebten Gemeinsamkeit mit dem Maler/Zeichner Koho Mori nahegekommen.
Aki Takase, die sich gemeinsam mit Alexander von Schlippenbach für
das freie Spiel ebenso begeistern kann wie für die Frühformen
des Jazz, sieht sich im Duo mit Lauren Newton nicht zuletzt auch in
der Tradition der originär improvisatorischen Zusammenarbeit des
Pianisten
Alexander von Schlippenbach mit dem als Sänger agierenden Schlagzeuger
Sven-Åke Johansson. Spielt in diesem Zusammentreffen der frei
improvisierte Text eine wesentliche Rolle, so ist er im Dialog von Lauren
Newton und Aki Takase ein Element unter anderen. Gemeinsam wiederum
ist beiden Duos eine Skurrilität, die auch noch in jazzfernen Ausdrucksbereichen
eine Affinität zu einem Eigensinn offenbart, wie man ihn in scheinbar
entfernt liegenden Gegenden antrifft: bei den Dadaisten und im Jazz
etwa bei Thelonious Monk. Die eigentliche Dimension der musikalischen
Unterhaltungen von Lauren Newton und Aki Takase ist der Klang im Spektrum
von kreatürlicher Expressivität bis zu kunstvoller Ausformung.
Bill Evans verglich seine Zusammenarbeit mit Miles Davis einst mit asiatischen
Tuschzeichnungen – ein Bild, das gleichfalls für dieses Duo
zutrifft. Was an Gestalt entsteht, beruht auf der Eingebungskraft im
jeweiligen Moment. Nichts kann mehr korrigiert, wegretuschiert oder
hinzugefügt werden. Wellengleich, in Parallel- und Gegenbewegungen
entsteht ein Liederzyklus der sehr eigenen Art, der mal einem gemeinsamen
Schreiten durch Seelenlandschaften, mal einer Partie Tischtennis der
Ideen gleicht und sich immer dialogisch als ein lustvoll gestaltetes
und aufregendes Klanggeschehen mitteilt.
Bert Noglik, 2006
Tone – sensation –
sound. Who is chasing who, what is this about? Deeper sense and nonsense,
cursory chatter, aria-like drama, extraneous shrieking, gasps of air
celebrated as fine art, sounds as statements of life: Lauren Newton
and Aki Takase.
They correspond to and contradict one another with sounds, tones, vocalizations,
words. They converse in fantasy languages, plunge into areas of deep
emotion and fly off into the abstract realm of sounds. And – not
to forget: they have something which has become rare, not only in improvised
music, but in the world of art in general, because it defies reckoning:
they have a sense of humour. Not to be confused with a quick joke, or
a clever witticism, this kind of humour springs from a sure-footedness
in dealing with the processes of spontaneous sound creation and an acceptance
of the ‹unexpected›, the intervention of chance. Yet the
whole thing proves itself to be neither planned nor accidental. Their
common experience with improvisation forms the reservoir from which
they are able to draw spontaneously. Yet the special quality originates
from the meeting of these two personalities.
It is almost amazing that they did not meet earlier. Despite the different
emphases they have quite some things in common: both are familiar with
Jazz and the kind of improvised music that has grown out of it. Both
have always been interested in extended sounds which push back the borders
of established genres, also bru-shing with the areas of New Music. With
duo partners the likes of bassist Joëlle Léandre, Lauren
Newton has covered a wide range of sponta-neous inter-activities and,
in dialogue with Patrick Scheyder, has also explored the tonal possibilities
of combining voice and piano. Aki Takase is already familiar with the
intermeshing of voice/instrument since her collaboration with the singer
Maria João. And the duo of the pianist with bass clarinet player
Rudi Mahall conjures up at times a strange approximation to language
as well as atmospheric associations in the vicinity of Charles Mingus
to Karl Valentin, whose life and work Lauren Newton, in turn, dealt
with in a crazy programme together with violin player Jon Rose. Language
as sound and sound as language, this is something Lauren Newton has
experienced in intense encounters with one of the pioneers among the
concrete poets: the incomparable Ernst Jandl. Aki Takase, as well, knows
the unconventional areas of literary-musical col-labo-ration through
concerts/performances with the writer Yoko Tawada.
The two protagonists have even more things in common: both have brought
their cultural heritages to Germany – Lauren Newton from America,
Aki Takase from Japan –, have grown used to new surroundings here
and, in the end, are really at home among the international community
of improvising musicians. Lauren Newton has repeatedly given concerts
in Japan and has also become familiar with the Japanese mentality through
living together with painter/drawer Koho Mori. Not forgetting that Aki
Takase who, together with Alexander von Schlippenbach, can get as enthusiastic
about free playing as much as for earlier kinds of Jazz, sees her duo
with Lauren Newton also in the tradition of the original improvising
collaborations of the pianist Alexander von Schlippenbach with drummer
Sven-Åke Johansson acting as singer. While the free improvised
text plays an essential role in this combination, in the dialogue of
Lauren Newton and Aki Takase it is one element amongst others. Yet what
the two duos have in common is an absurdity, having an affinity with
the regions of expression far removed from Jazz, a kind of obstinacy
found in apparently remote areas: with the Dadaists, and, in the field
of Jazz, Thelonious Monk, for instance. The actual dimensions of the
musical conversations between Lauren Newton and Aki Takase are the sounds
in the spectrum from creative expressiveness through to artistic moulding.
Bill Evans once compared his working together with Miles Davis with
Asian ink drawings – an idea which fittingly applies to this duo.
What comes into being, the gestalt, is based upon the inspiration of
the moment. Nothing can be corrected, touched up or added. Like waves,
in parallel and counter motion, a very special cycle of songs is created,
at times resembling companions striding through inner landscapes, at
other times a table tennis game of ideas, always communicating themselves
in form of a dialogue as a passionate and exciting ‹happening›
in sound.
Bert Noglik | Tanslation: Paul Lytton & Isabel Seeberg
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