Lucas Niggli im Gespräch
Mit einem Trommelwirbel
Von Hans-Jürgen von Osterhausen
Mit einem Trommelwirbel kam Lucas Niggli 1968 in Kamerun zur Welt», so beginnt Nigglis Biographie in seiner Home Page. Dieser Trommelwirbel hat ihn sein Leben lang begleitet. Schon in jungen Jahren hat der 35jährige Schweizer Schlagwerker, der heute in der Nähe von Zürich lebt, in der Zusammenarbeit mit Gruppen wie «Kieloor Entartet» oder dem Gross-Orchester «ENAO» Furore gemacht. In der Zusammenarbeit mit vielen Musikern der aktuellen Musik hat er die Bühnen der Welt kennengelernt, zusammen mit Fred Frith, Butch Morris, Urs Leimgruber, Peter Kowald, um nur einige wenige zu nennen. Schon an über zwanzig Schallplattenaufnahmen war er beteiligt oder sie unter eigenem Namen eingespielt, dabei herausragende Produktionen mit Pierre Favre oder Sylvie Courvoisier. Seit Mitte der 90er Jahre ist er mit «Steamboat Switzerland» mit Dominik Blum (Orgel und Keyboards) und Marino Pliakas (g) und in den letzten Jahren vor allem mit seiner Gruppe «ZOOM» zu hören, zu der Nils Wogram (tb) und Philipp Schaufelberger (g) gehören. Kürzlich hat er das Trio um Claudio Puntin (cl) und Peter Herbert (b) zu dem Quintett -BIG ZOOM» erweitert. Im Frühjahr dieses Jahres sind zwei aktuelle CDs sowohl des Trios als auch des Quintetts bei Intakt Records in Zürich erschienen, «Rough Ride» und «Big Ball». An dem New Jazz Festival in Moers war er in diesem Jahr - nach 2002 zum zweiten Mal hintereinander - intensiv beteiligt. An drei Vormittagen leitete er den Workshop «Dampfschiff Schweiz II», eine erweitere Fassung seiner seit Mitte der 90er Jahre bestehenden Band «Steamboat Switzerland». Auþerdem spielte er auf der Hauptbühne einerseits im Trio mit Barry Guy und Jacques Demierre und in dem groþen «Steamboat Switzerland Extended Ensemble», das eine Komposition des Amerikaners David Dramm aufführte. Gegen Ende des Festivals bestand Gelegenheit, ein Gespräch mit ihm zu führen. Wie war Moers in diesem Jahr für dich? Das war ein ziemliches Paket. Ich habe sehr wenig von dem mitbekommen, was sonst passiert ist. Aber alles in allem bin ich sehr glücklich und zufrieden, wie das alles gelaufen ist. Wie waren die Workshops? Sehr interessant. Homogen wie auch heterogen. Ich habe ja ganz bewusst im Gegensatz zum letzten Jahr, wo das Projekt um meine beiden Working Bands «Steamboat Switzerland» und «ZOOM» ging, und der Anteil der Jazzmusiker viel höher war, in diesem Jahr einen Kontrast setzen und komponierte Musik, die eine Hochzeit mit der Elektronik eingeht, herausstellen wollen. Und das hat sehr gut funktioniert. Siehst du in der Zusammenarbeit der akustischen Musik mit der Elektronik einen Weg in die Zukunft? Auf alle Fälle. Es ist jetzt nicht so, dass ich mich selber an die Elektronik heranmachen würde. Ich hab das immer wieder mal versucht. Aber es ist eine eigene Welt. Die Hörgewohnheiten und die Ästhetik sind heute so geprägt von der Elektronik, dass mein akustisches Schlagzeugspiel auch sehr davon beeinflusst wird. Ich präpariere mein Schlagzeug oft so, dass es so wie elektronisch klingt. Hat die Bass Drum bei dir etwas mit Eindrücken seit der Jugend zu tun? Du bist in Kamerun geboren, aber die traditionelle Schlagwerkmusik in der Schweiz ist ja von den grossen dumpfen Trommeln geprägt, bei den Fastnachtsumzügen, bei denen die Musik ja eine viel weitergehende Bedeutung hat? Das kann sehr gut sein. Ich frage mich oft, wo meine Liebe zu dem Instrument kommt. Meine Liebe zu den Trommeln und da besonders zu den tiefen, habe ich schon mit der Muttermilch eingesogen. Es ist ein mächtiges Instrument. Wie bist du zum Schlagzeug gekommen, überhaupt zur Musik? Ich komme aus einem musikalischen Elternhaus, wo viel klassische Musik gehört wurde. Wir waren alle früh im Musikunterricht, haben in Chören gesungen. Meine Mutter war Musiklehrerin, mein Vater leidenschaftlicher Amateurmusiker. Das Schlagzeug war damals noch kein Instrument, das man richtig auf der Musikschule lernen konnte. Ich hab Klavier und Solo-Gesang-Unterricht gehabt. Mein Klavierlehrer hat dann gesagt, mach doch nicht alles, was du mit den Händen machst, auch mit den Füþen. Bei uns im Haus stand dann plötzlich ein Schlagzeug von einem Freund, der keinen Platz dafür mehr hatte. Mit zehn habe ich dann Schlagzeugunterricht bekommen. An der Kantonschule bin ich dank eines sehr wichtigen Lehrers mit der zeitgenössischen Musik in Berührung gekommen. Hab dort im Orchester und in der Big Band getrommelt und wurde so ganz breit sozialisiert. Ich habe mich auch nie dazu entschieden, Musiker zu werden, sondern wurde es einfach. Nach dem Abitur habe ich bei Pierre Favre meine ersten Stunden gehabt. Er hat mich extrem ermutigt, meinen eigenen Weg zu gehen. Er hat mich nicht mit fertigen Lösungen konfrontiert, sondern hat mir beigebracht, dass ich mir selbst Fragen stelle. Er war mein bester Lehrer auf dem Weg, eine eigene Sprache zu entwickeln. Er hat das Schlagzeug absolut emanzipiert, es zu einem Solo- und Melodieinstrument gemacht. Durch ihn ging mir eine grosse Welt auf. Parallel habe ich mich extrem für die Neue Musik interessiert, weil mir das Jazzschlagzeug, eigentlich mein Hauptinstrument, zu wenig sensibel im Umgang mit den Klangfarben erschien, mit den Parametern, die ja die Musik ausmachen. So habe ich mich sehr früh für die Neue Musik interessiert, bin auch oft nach Darmstadt gereist. Weil es leider keine Literatur gab und auch keine befriedigenden Ausbildungsmöglichkeiten, bin ich Autodidakt geblieben. Gerade das Schlagzeug hat so viele Möglichkeiten, die eigene Sprache zu finden. Man kann entscheiden, was man zu der Grundausstattung hinzu nimmt, selbst seinen persönlichen Klang zu finden. Wie ging dann dein Weg weiter? Ein grosses Glück für mich war, dass ich sehr früh ein intensives Trio gepflegt habe, «Kieloor Entartet». Das ist unglaublich frische, eklektische Musik. Da haben wir uns alles erlaubt. Es war inspiriert von Zappa, von Zorn, auch von Messiaen Wir haben Bücher über Theorien gelesen, haben zusammen gewohnt. Das war die Sturm und Drang-Phase. Du hast immer alles gemacht, nicht gewartet, bis jemand kommt, bist zum Beispiel schon in jungen Jahren Präsident des Schweizer Jazzverbandes gewesen. Ideen haben und sie umsetzen, gehört für dich zusammen. Das war damals für mich eine sehr inspirierende Szene und Umwelt. Ich habe mich auch für Kulturpolitik interessiert, habe Bücher gelesen, bin quer durch alle Szenen in Konzerte gegangen und bin dadurch auch von keiner Szene absorbiert worden. Ich habe auch nicht in Zürich gelebt, bin gekommen und gegangen, wie ich wollte. Das hat mir eine gewisse Freiheit bewahrt. Und das wird auch weiter so sein? Ich hoffe es. Es ist aber oft so, dass mit dem Erfolg oder einer gewissen Dynamik auch die Dogmen auftauchen, was ich verabscheue. Und du bist auch nicht bei einem Label, das dann sagt: Das ist erfolgreich, mach es weiter. Du hast das Glück, bei einem genauso sensiblen Labelchef zu sein. Das ist wieder ein Riesen Glück für mich. Vor drei oder vier Jahren, als es darum ging, die erste Platte von «ZOOM» heraus zu bringen, und ich ungeduldig war, da wir Super Aufnahmen hatten, da hat Patrik mich gebremst und gesagt, lass noch mal ein halbes Jahr verstreichen, mach noch mal Konzerte, geh noch mal ins Studio. Das war der perfekte editorische Eingriff von einem Labelmenschen, der sagte, das ist gut, da ist ein grosses Potential, aber lass es noch ein halbes Jahr wachsen. Wie ging es weiter? Ich hab mich intensiv darum gekümmert, dass wir im Jahr zwei Tourneen von 2 Wochen gespielt haben, weil ich überzeugt bin, dass für die Musik das Beste ist, wenn wir für eine längere Zeit zusammen sind, dass alle von ihren Alltagssorgen befreit sind, dass wir zusammen reisen und der Fokus auf das Konzert am Abend und dann das nächste u.s.w. geht. Dann wird die Musik richtig, ganz tief unten begriffen und entwickelt. Und deshalb habe ich immer darauf geschaut, dass wir blockartig arbeiten. Das schönste für mich ist, dass die Band Chemie in Ordnung ist, dass alle die Lust haben, weiter zu machen und ich auch inspiriert bin, dafür weiter zu schreiben. «Steamboat» war drei Jahre alt, als ich meine eigene Band «ZOOM» gründete. Das kam so: Ich hab in dieser Zeit viel sehr unterschiedliche Sachen gespielt. Es hatte sich so ein bisschen zwischen Pierre Favre und «Steamboat» polarisiert. Und ich habe gemerkt, dass das alles so gegensätzlich war. Manchmal hat es mich fast zerrissen, alles Dinge, die mir sehr am Herzen lagen, aber so weit auseinander waren, dass ich mir gesagt habe, jetzt muss ich mir einen Trichter machen, mir selber Rechenschaft ablegen, wie ich schreiben und hören möchte. Dann habe ich lange herum experimentiert und habe Musiker gesucht. So ist dann «ZOOM» entstanden. Aber noch einmal zu «Steamboat»: Was kennzeichnet sein Konzept, was ist das für Musik? Wie bist du auf den Namen gekommen? Es geht darum, die Neue Musik mit der Energie des Rock zu spielen, kombiniert mit freien Improvisationen. Diese verschiedenen Elemente überlagern sich aber nicht wie bei vielen Jazzbands, sondern sind klar getrennt. Wir spielen modulartige Stücke, alles ausgeschrieben, dann kommt ganz freies Spiel, dann wieder komponiertes Modul. «Dampfschiff Schweiz» stammt von unserem Schutzpatron, unserer Gallionsfigur, Adolf Woelfli, einem Schweizer Art-Brut Künstler. Er hat eine Geschichte geschrieben, wie er auf dem Dampfschiff Schweiz den Rhein herunter fährt. Jedes Land, durch das er kommt, geht unter, und nur das Dampfschiff Schweiz bleibt übrig. Eine ganz krude Geschichte. «Zoom» ist also entstanden, ohne dass du das «Steamboat»-Projekt aufgeben musstest? Kannst du etwas zu «ZOOM» sagen? Ja, «Steamboat» geht unbedingt weiter. Es ist eine ganz intensive Band. Beide Projekt haben auch oft Überschneidungspunkte im Bezug auf den Zugang zur Musik. Beide Bands respektieren und mögen sich gegenseitig. Wir haben ja letztes Jahr in Moers ein Projekt um diese beiden Bands herum gemacht. Bei «ZOOM» habe ich gemerkt, dass ich sehr darauf angewiesen bin, dass total engagiert gespielt wird, die Musiker sich selbst einbringen. Das ist bei allen auch so. Als Komponist oder Bandleader allein schafft man das nicht, es ist das Kollektiv. Das ist es, was mich auch auf der Bühne interessiert. «ZOOM» hat sich weiterentwickelt, von den musikalischen Ideen her ausgeweitet, ist zu «BIG ZOOM» geworden. Hast du schon darüber hinaus gehende Vorstellungen? Es gibt konkrete Pläne. Im September mache ich eine Trio-Tour mit Claudio Puntin und Philipp Schaufelberger. Aber momentan bin ich sehr absorbiert mit Komponieren für einen Auftrag, den ich erhalten habe vom Ensemble für Neue Musik Zürich. Das ist eines der renommiertesten Ensembles für Neue Musik in der Schweiz. Die haben mich gefragt, ein Abendprogramm zu machen. Ich hab ihnen gesagt, ich bin kein Komponist, der euch einfach ein Stück liefert. Ich muss mitspielen. So hat sich mittlerweile ein ZOOM-Ensemble entwickelt, zu dem noch Phil Minton hinzukommt, insgesamt 11 Musiker. Es wird Ende Oktober/Anfang November, im Rahmen des Festivals «Jazz No Jazz» in Zürich aufgeführt, und für den SWR machen wir Aufnahmen. Das ist eine grosse Herausforderung. Hast du noch bisher unerfüllbar scheinende Wünsche? Im Moment bin ich mit all diesen verschiedenen Standbeinen, die mit wichtig sind, beschäftigt. Als ich von Burkhard Hennen die Einladung für dieses Jahr hier in Moers bekommen habe, habe ich mich entschieden, das Risiko einzugehen, mit einer ganz frei improvisierenden Band auf die groþe Bühne zu gehen. Mit Barry Guy habe ich mir einen ganz groþen Traum erfüllt. Das ging mit ihm und Jacques Demierre so gut zusammen mit einer unglaublichen Energie. Jaques kannte ich ja schon lange, mit ihm habe ich schon oft gespielt, und ich habe immer gedacht, Jacques und Barry, das geht. Jacques ist ein ewiger Geheimtip, er ist ein grosser Komponist für auch sehr radikale zeitgenössische Musik und auch ein unglaublicher Pianist. Eigentlich ist ja das Klaviertrio eine hochbelastete Besetzung, wie das Streichquartett in der klassischen Musik. Hier kann man nichts mehr sagen, was nicht schon die ganz Grossen gesagt haben. Aber es war etwas ganz anderes und darüber bin ich glücklich. Wenn man sich im Internet deinen Terminkalender ansieht, gibt es fast kein Land, in dem du nicht spielst. Du bist die Entdeckung, der internationale Erfolg ist da. Ich kann mich nicht beklagen, das ist sehr schön. Ich arbeite mit der gleichen Intensität seit 10/15 Jahren. Jetzt vielleicht ist so eine Zeit der Ernte. Und ich bilde mir auch überhaupt nicht ein, dass das ewig so weitergehen wird. Es kann auch wieder Jahre geben, in denen es viel stiller ist. Vielen Dank
Kleine Auswahldiskographie: Pierre Favre Singing Drums: Souffles, Intakt Records CD 049 Pierre Favre:European Chamber Ensemble, Intakt Records CD062 Lucas Niggli - Sylvie Courvoisier: Lavin, Intakt Records CD058 Steamboat Switzerland: Live, UNIT Records UTR 4104 Steamboat Switzerland: AC/DB (Hayden), GROOB LP 316 (Vinyl) Lucas Niggli ZOOM: Spawn of Speed, Intakt Records CD 067 Lucas Niggli ZOOM: Rough Ride, Intakt Records CD 082 Lucas Niggli BIG ZOOM: Big Ball, Intakt Records CD 083 Erstveröffentlichung: Jazzpodium, Stuttgart, November 2003 |