Reviews: James Brandon Lewis - Chad Taylor. Live in Willisau. Intakt CD 342

INTAKT RECORDS – REVIEWS

JAMES BRANDON LEWIS - CHAD TAYLOR

LIVE IN WILLISAU

Intakt CD 342 / 2020

Troy Dostert, All About Jazz, April 1, 2020

Rigobert Dittman, Bad Alchemy, April 2020

Derek Taylor, Dusted Magazine, April 6, 2020

Die Weltwoche, Schweiz, 22. April 2020

Die Tradition der Avantgarde

Was Kunst im Kern ausmacht, ist selten auf einen Begriff zu bringen, und ein Begriff selten auf ein Wort. Was, zum Beispiel unterscheidet in der frei improvisierten Musik, im «Free Jazz», Intensität von Kraftmeierei, spontane formale Kraft von aleatorischer Beliebigkeit? Man muss es spüren, wie beim Action Painting eines Jackson Pollock, und der Rezensent kann nur darauf hoffen, dass der Leser ihm dabei folgt. Beim Mitschnitt des Duo-Auftritts von James Branden Lewis (*1983) und Chad Taylor (*1973) am letztjährigen Jazzfestival Willisau scheint mir das diesbezügliche Risiko gering. Willisau hat in seiner 45-jährigen Geschichte insgesamt eine grosse Tradition von frei improvisierter Musik begründet, die, ob sie sich nun «Free Jazz» oder «Great Black Music» nannte, die Gretchenfrage nach der glaubwürdigen Intensität immer unzweifelhaft beantwortete. Und das Festival von Niklaus (und ab 2010 Arno) Troxler pflegte über die Jahre immer wieder eine Art musikalische art brut-Spezialität, den unbegleiteten Dialog grosser Saxophonisten mit grossen Schlagzeugern: Max Roach mit Anthony Braxton, Max Roach und Archie Shepp, Ed Blackwell mit Dewey Redman sind dafür nur drei Beispiele.
Lewis und Chad Taylor waren sich dieses Hallraums bewusst, als sie 2019 im Luzerner Hinterland ein hoch gespanntes und gleichzeitig äusserst differenzierten Feuerwerk abbrannten, eine Musik, die zwar ein hohes Mass von Freiheit und Überraschung, gleichzeitig aber auch ein spezifisches Traditionsbewusstsein auszeichnete, nicht nur für das, was man scheinbar paradox als Geschichte der Avantgarde bezeichnen könnte (der Bezug auf Coltane, Ornette Coleman, Dewey Redman u.a.), sondern zur Jazzgeschichte überhaupt. So überraschen die beiden in ihrem hochenergetisch expressiven Diskurs unvermittelt mit Duke Ellingtons Hymne «Come Sunday». Oder sie greifen ein Stück des genannten Redman auf («Willisee»), und eine lapidar gemeisselte Komposition von Mal Waldron. Glaubwürdigste Intensität. Pure Dynamik. Musik als Vorgang, nicht als Resultat. «Great Black Music» der nächsten Generation.

Peter Rüedi

James Brandon Lewis/ Chad Taylor: Live in Willisau. intakt CD 342