FRAGIL
UND FADENGRAD
von Roland Schönenberger
Koch-Schütz-Studer auf dem Weg ins Offene
Ihre Ruhelosigkeit im Grenzbereich zwischen freiem Jazz, Neuer Musik,
Worldmusic und archaischem Rock haben sie auch nach 15 Jahren gemeinsamen
Musizierens nicht abgeschüttelt. Permanent experimentierend mit
neuen Klängen, Beats und Formen, gleichzeitig in Tuchfühlung
mit bekannten Stilen und aktuellen Trends betreibt das Trio Koch-Schütz-Studer
in beständiger Unruhe seine recherche musicale. Die Langzeitperformance
im September dieses Jahres in Zürich faszinierte ein täglich
wachsendes Publikum: Das Idiom «Hardcore Chambermusic» scheint
aktueller denn je. Den Konzertbeginn mit der grossen heftigen Geste
gibt es, doch meist ist der Anfang zerbrechlich-tastend: Aus einzelnen
musikalischen Aktionen kristallisieren sich Klangkonstellationen heraus,
die Konturen gewinnen und wieder verlieren, Umformungen durchleben,
bis sich der musikalische Fluss kanalisiert, durch Repetition rhythmischer
Patterns und melodischer Splitter zu einer prägnanten Gestalt verdichtet,
die im Laufe des nun mit unter brechstangenmässigen musikalischen
Geschehens unausweichlich wieder der Dekonstruktion ausgesetzt wird.
Diese Grundanlage lässt sich aus den Trioimprovisationen von Hans
Koch (Klarinetten, Saxophone, Elektronik), Martin Schütz (Celli,
Elektronik) und Fredy Studer (Schlagzeug) nach einigen Besuchen der
September-Langzeitperformance bald einmal heraushören. Damit ist
aber lediglich gesagt, dass sich die Musiker in einer Art Grossform
bewegen, die durch konstruktive und dekonstruktive Momente, anders gesagt:
durch die Genese und das Zerfasern musikalischer Gestalten geprägt
ist. In der detaillierten Ausführung dieser Grundbewegung setzen
Koch-Schütz-Studer eine immer wieder überraschende Vielfalt
an Klängen, Rhythmen, Instrumenten, Spielweisen, Spielkombinationen
etc. ein, woraus sie bei jedem Durchlauf wieder neue Pfade in ihrer
musikalischen Landschaft finden. Der Titel «Hardcore Chambermusic»
bezeichnet die Extrema, oszilliert die Musik von Koch-Schütz-Studer
doch vor allem zwischen zwei Polen: Einerseits kammermusikalische Momente,
in denen sich die drei Musiker als klangsensible Improvisatoren erweisen,
die in fein austariertem Zusammenspiel eine äusserst differenzierte
Musik entstehen lassen können; am anderen Ende der Skala prägen
lautstarke Rock- und Beatpassagen ihre Musik, in denen der Puls zu fliegen
beginnt, hochgezüchtetes Musizieren hintangestellt wird ... und
es handfest zur Sache geht.
GEBURT EINES IDIOMS
Die Bezeichnung «Hardcore Chambermusic» geht zurück
auf den Beginn der neunziger Jahre und verdankt sich eigentlich der
rein praktischen Notwendigkeit, Veranstalter über die musikalische
Janusköpfigkeit von Koch-Schütz-Studer aufzuklären: «Die
Bezeichnung entstand aus der Not, als wir für Konzerte in Amerika
unsere speziellen technischen Anforderungen per Fax durchgeben sollten.
Wir mussten den Veranstaltern klar machen, dass wir sowohl eine leistungsstarke
Verstärkungsanlage als auch eine kammermusikalische Mikrophonierung
benötigen», erzählt Martin Schütz. Die Gelegenheitsumschreibung
prägte sich ein und avancierte in der Folge zum Titel der ersten
Trio-Veröffent lichung auf CD: Hardcore Chambermusic, im Oktober
1994 in Brooklyn, New York, aufgenommen, sorgte international für
Furore und ist auch von heute aus gesehen noch der wohl wichtigste Meilenstein
der drei Musiker. Mit dieser Veröffentlichung gelang es dem Trio,
Kompositionen (vielfach aus der Feder von Hans Koch) und Improvisationen
zu einem unverwechselbaren und für andere Formationen stilbildenden
Idiom zusammenzuschweissen. Dieses Idiom war noch nie etwas für
Puristen, speist es sich doch aus einer Vielfalt von Quellen, die weder
verleugnet noch verborgen werden. Auf der CD Hardcore Chambermusic wird
diese stilistische Vielfalt in der ganzen Breite ausgespielt, ohne das
sie in eine postmoderne Beliebigkeit zerfallen würde. Dahinter
steckt einerseits sicherlich die strukturelle Vorarbeit, die unter anderem
John Zorn mit seinen Game Pieces sowie mit dem Quintett Naked City geleistet
hat. Die Heftigkeit und Unmittelbarkeit der Zornschen Zitier- und Schnittwut
wird von drei Schweizer Impromusikern durch ihr intensives kammermusikalisches
Zusammenspiel auf eine etwas ruhigere Ebene transformiert, wo den disparaten
Teilen nicht die Kanten abgefeilt, sie aber doch zu einer eigentlichen
Sprache geformt werden, in der ebenfalls (fast) alles Platz hat, die
aber zusätzlich auch den nötigen Raum zur Entfaltung bietet.
Was die Musik und den «Sound» von Koch-Schütz-Studer
unverwechselbar macht, ist demnach die Fähigkeit, die pluralistische
Stilvielfalt organisch in einen stimmigen musika lischen Prozess einzuschmelzen.
Immer wieder spielen sie sich passagenweise in eine Stilrichtung hinein,
füllen diese mit eigenem musikalischen Atem, verlassen den ausgestal
teten musikalischen Ort dann aber wieder, um nomadisch anderswo das
nächste Zelt aufzubauen. Sie pflegen einen Stilpluralismus, wie
ihn unter anderem Bernd Alois Zimmermann angedeutet hat, wenn er im
Bezug auf sein Konzept der «Kugelgestalt der Zeit» von der
Gleichzeitigkeit des historisch Ungleichzeitigen spricht.«Hardcore
Chambermusic» präsentiert insofern bei jedem Konzert eine
Art Quintessenz, welche die drei Musiker unterschiedlicher Provinienz
aus ihrem inner- und aussermusikalischen Erfahrungen ziehen.
SÜSSE FRUCHT ODER HARTER KERN?
Offenheit ist ein Credo von Koch-Schütz-Studer, und Berühungsängste
kennen sie eigentlich nicht. Ihre Formation ist denn auch so etwas wie
ein Kern, um den sich ein loser Pool von frei improvierenden Musikerinnen
und Musikern gruppiert, mit denen die Triomitglieder mehr oder weniger
regelmässig zusammenarbeiten.
Nach der Veröffentlichung von Hardcore Chambermusic hat sich das
Trio jedoch zusätzlich auf so vielen stilistischen Bühnen
bewegt, das manchmal die gewonnene Eigenart fast zu verschwinden drohte.
Eine erste Station war die Liaison mit der World Music: In der Zusammenarbeit
mit afrikanischen und kubanischen Musikern haben sie sich starken ethnischen
Traditionen ausgesetzt, die musikalischen Resultate hinterlassen jedoch
gemischte Gefühle. Die doch sehr grosse Differenz der Spielweisen
zwischen europäisch und aussereuropäsich geprägten Musikern
wird nicht durch brochen, die Musik spielt sich entweder auf dem einen
oder dem anderen musikalischen Feld ab, so dass neben einigen faszinierenden
Momenten gar vieles einfach nebeneinander stehen bleibt. Eine nächste
Station hiess DJ-Kultur: Obwohl wieder näher an der eigenen Tradition
bleiben die beiden New Yorker DJs bezüglich differenzierter Artikulation
gegenüber den ausgeprägten Instrumentalisten zu sehr im Hintertreffen.
Koch-Schütz-Studer setzten sich auch mit dem Wortartisten Christian
Uetz zusammen, spielten mit der Basel Sinfonietta, stehen mit dem Schauspieler
Christian Wolff im Projekt Antenne Karger auf der Bühne ... In
allen Kombinationen gab das Trio faszinierende Beweise seines musikalischen
Potenzials, doch es blieb der zweiten Trio- Veröffentlichung Live
tied (2004) vorbehalten, das Label «Hardcore Chambermusic»
wieder in seiner ganzen Kraft, Geschmeidigkeit und Raffinesse aufleben
zu lassen. Life tied markiert gleichzeitig einen tiefgreifenden Wandel,
den Hans Koch, Martin Schütz und Fredy Studer in der Ausrichtung
von «Hardcore Chambermusic» vorgenommen haben.
ZUR POETIK DES INSTANT COMPOSING
Das Trio hat nämlich inzwischen Abschied genommen von vorstrukturierten
Musikteilen und sich ganz der Improvisation verschrieben.5 Das mag insbesondere
klassisch orientierte Musikerinnen und Musiker irritieren, die sich
an die Arbeitsteilung zwischen Komponist und Interpret gewöhnt
haben. Vor dem Hintergrund einer werkzentrierten Ästhetik erscheint
es eine unhintergehbare Voraussetzung, dass sich jemand Zeit nimmt,
um seine musikalischen Ideen zu ordnen und zu einem Ganzen, dem musikalischen
Werk, zusammenzufügen. Die Improvisation ist demgegenüber
mit dem Stigma des Unreflektierten, Unfertigen und Fragmentarischen
behaftet. Doch beim Anhören von hochstrukturierten Kompositionen,
die wortreich angekündigt im Konzert nie zu einer entschlüsselbaren
Form finden, wird sich manche Zuhörerin und mancher Zuhörer
schon gefragt haben, ob das Fragmentarische immer nur ein Nachteil sein
muss. Denn während Kompositionen durch musikalisch vernetzte Raffinessen
faszinieren mögen, eignet insbesondere freien Improvisationen ein
Hauch von musikalischem Abenteuertum und - wenn die Musiker über
das notwendige Potenzial verfügen - es können sich ohne fixe
Vorgaben zwingende Momente ergeben. Wie die 30-tägige Langzeitperformance
in der Schlosserei Nenninger in Zürich gezeigt hat, ist es Hans
Koch, Martin Schütz und Fredy Studer in all den Jahren ihrer Zusammenarbeit
gelungen, ihre Improvisationserfahrungen zu einer musikalischen Praxis
zu formen, die sich zwar chamäelon artig wandelt, aber trotzdem
oder gerade deswegen qualitativ überzeugt. Das Spiel der drei Musiker
dreht sich nicht um Solo und Begleitung, auch nicht mehr um das Wechselspiel
mit vorgegebenen Strukturen irgendwelcher Art (das Trio hat auch mit
graphisch notierten Werken gearbeitet), sondern darum, solche Strukturen
im Rahmen des musikalischen Prozesses während eines Konzerts erst
zu schaffen. Dieser Prozess wird von allen drei Musikern gleichberechtigt
gestaltet, beeinflusst und gesteuert. Der Begriff «Instant Com
posing» umschreibt diese Musizierhaltung treffend, indem er das
Improvisieren als Komponieren aus dem Moment heraus bestimmt.
So ist der Beginn jedes Konzertes dadurch charakterisiert, dass alles
offen ist, alles geschehen könnte. Wurde der Prozess durch eine
meist unscheinbare Klanggeste in Gang gesetzt, besteht die Faszination
der frei improvisierten Trioarbeit darin, zu verfolgen, wie sich dieser
Prozess auf allen musikalischen Ebenen polyphon, vielschichtig und komplex
strukturiert. Alle Triomitglieder verfügen in hohem Masse über
die Fähigkeit, situativ so zu «entscheiden», dass bereits
vorhandene Ideen modifiziert oder neue eingebracht werden, die kontrastierend,
kontrapunktierend oder in Parallelführung den musikalischen Fluss
spannungsvoll halten. Diese Spannung kann die verschiedensten Formen
annehmen, pflegen Koch-Schütz-Studer doch das gesamte Spektrum
zwischen abstrakter und konkreter, lauter und leiser, einfacher und
komplexer Musik, pendeln unablässig zwischen Extremen und vielschichtigen
Mischungen.
Jedes Konzert zeichnet sich auf diese Weise aus durch ein spezifisches
Mass an expressiver Gestik oder reduziertem Minimalismus, an mehr oder
weniger geraden Beats, an Geräuschhaftigkeit oder klangmalerischer
Ausgestaltung. Jenseits jeder sportlichen Gipfelstürmerei geht
es Koch-Schütz-Studer darum, eine verbindliche und authentische
Musik zu schaffen. Authentizität meint in diesem Fall die kreative
Vernetzung von Musikern auf der Bühne, auf Musik und Raumakustik
reagierenden Tontechnikern und dem Publikum. Es ist auch fester Bestandteil
dieser musikalischen Praxis, dass nicht jeder Moment ein Höhepunkt
sein kann. Da keine übergeordnete Instanz Gewähr für
eine logisch überprüfbare Entwicklung bietet, ist der jeweils
aktuelle Moment die einzige Möglichkeit, sich zu orientieren. Sicher
zieht der Verzicht auf vorgegebene Strukturen eine Abnahme dramaturgischer
Formgebung nach sich. Trotzdem besticht diese Musik durch ihre Offenheit
gegenüber dem echt-zeitig Gegenwärtigen und dessen Potenzial
an überraschenden Wendungen, unmerklichen Verschiebungen und stringenten
Entwicklungen. Gewiss, die Musik von Koch-Schütz-Studer lässt
sich nicht feinsäuberlich in Stücke tranchieren, die die Zuhörerinnen
und Zuhörer nach Hause tragen könnten. Dazu ist und bleibt
diese Musik zu sehr im Fluss.
PANTA RHEI
«Wir spielen nicht improvisierte Musik, wir improvisieren Musik»,
sagt Fredy Studer. Bei aller Aufmerksamkeit der Instrumentalisten auf
den Prozess des Instant Composing sind und bleiben Brüche ein wichtiger
Bestandteil der «Hard core Chambermusic». Neben den stilistischen
Kehrtwendungen trägt insbesondere die Elektronik zur Untergrabung
fixer Rollen bei. Dies geschieht ohrenfällig, wenn Koch oder Schütz
Drumssamples einspielen, welche den Schlagzeuger unvermittelt in seiner
Rolle verdoppeln und seine Spielausrichtung völlig ändern.
Die Laptops gehören bei Hans Koch und Martin Schütz fest zum
Instrumentarium.
Sie dienen einerseits als Effektlieferanten zur Klangverfremdung, andererseits
zum Einsatz von Samples, die zu neuen Stimmen geformt wie virtuelle
Mitspieler wirken oder als Loops zusätzliche Klangflächen
liefern. Die Samplesoftware erweitert das Instrumentarium des Trios,
führt aber nicht dazu, dass die Musik in Richtung Elektronik driftet.
Dafür sind sowohl Koch als auch Schütz zu ausgeprägt
Instrumentalisten.
30 Tage intensive Konzerttätigkeit an einem Ort, 30 Tage musikalische
Praxis: das Experiment hat sich gelohnt. Die musikalische Textur des
Trios ist noch reicher und vielschichtiger geworden, die Spielmöglichkeiten
wurden weiter differenziert, der musikalische Prozess überraschte
immer wieder in unerwarteten Wendungen, kurz: «Hardcore Chamber
music» hat sich als abenteuerliche Reise in die Klanggefilde von
Koch-Schütz-Studer bestens empfohlen ... und bleibt eine der spannendsten
Herausforderungen im Bereich der experimentellen Musik von heute.
Dissonanz, 17.3.2006
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