Gegen
die Download-Fastfood-Kultur
Ausstellung „Wechsel der Sinne“ in Berlin verdeutlicht
Miteinander von Jazz und Kunst
Von Mathias Bäumel
Ausstellungskarte: Intakt-Covers von Strawalde, Hans Scheuerecker, Gerda Lepke, Penck, Marion Stille
„Wechsel der Sinne“ heißt eine Ausstellung in der Berlin-Köpenicker
Galerie Grünstraße, die sowohl dem schweizerischen Jazz-CD-Label
INTAKT Records als auch einer ganzen Reihe von mit dem Label verbundenen Künstlern
gewidmet ist. Gezeigt werden noch bis zum 23. August sowohl alle etwa 150 CD-Cover
als auch Malerei und Grafik einiger jener Künstler, deren Werke für
die Covergestaltung der INTAKT-CDs genutzt wurden: A.R. Penck, Strawalde (der
nach Auskunft von Label-Inhaber Patrik Landolt auch extra Originale für
die CD-Cover schuf), Hans Scheuerecker, Marion Stille, Gerda Lepke und Max Bill.
Zustande gekommen ist diese einzigartige Ausstellung durch Aktivitäten
der Galerie selber. „Wir wollten“, so die Galeristin Brigitte Denecke,
„auch in diesem Jahr mit einer geeigneten Ausstellung das bei uns in Köpenick
laufende Jazzfestival Jazz in Town begleiten.“ Bei der Suche nach geeigneten
Ausstellungsthemen und Objekten seien sie per Internet auf den Jazzclub Neue
Tonne Dresden und dessen Kabinettausstellung zu CD-Covergestaltungen und schließlich
auf das schweizerische Label INTAKT Records und die Dresdner Künstlerin
Gerda Lepke gestoßen. Einer der Kuratoren, Hinrich Beermann, selbst als
Saxofonist in der Berliner Szene aktiv, und Chef des Galerie-Fördervereins,
hat dann den Kontakt zu INTAKT-Chef Patrik Landolt hergestellt.
Das Motto von Patrik Landolt für die visuelle Gestaltung der INTAKT-CDs
lautet: „Jeder CD ihr eigenes Gesicht!“ Die Musik jeder CD sei so
einzigartig, „dass ihre Singularität auch bei der visuellen Präsentation
ausgedrückt werden soll“, so Landolt. Einige hervorragende Grafiker,
allesamt ausgewiesene Kenner der Musik, arbeiten seit vielen Jahren regelmäßig
für Intakt Records: Die ersten Platten und CDs gestaltet Ruedi Wyss, Dozent
an der Zürcher Hochschule für Gestaltung und Kunst sowie Veranstalter
des Taktlos Bern und von Ton Art. Seit vielen Jahren prägt der Zürcher
Grafiker, Jazzkenner und passionierte Konzertbesucher Eugen Bisig das Erscheinungsbild.
In jüngster Zeit bereichert der typografische Gestalter Jonas Schoder,
Mitglied der Zürcher Musikerorganisation OHR, das INTAKT-Design. Viele
international bekannte Künstler steuern Bilder für die INTAKT-Cover
bei, darunter A.R. Penck, Max Bill, Peter Frey, Niklaus Troxler und Strawalde.
„Fast immer schlagen die Musiker Maler oder Grafiker vor, deren Arbeiten
für die visuelle Seite ihrer Musik verwendet werden sollten“, sagt
Landolt. Gerade die auf INTAKT vertretende Elite des ostdeutschen Freejazz lege
großen Wert darauf, dass das Hörbare mit einem adäquaten Sichtbaren
korrespondiere. „Häufig“, so Landolt, „sind diese Musiker
auch gut mit den bildenden Künstlern befreundet und deswegen mit deren
Werken und deren Malweise vertraut.“ Künstler wie A. R. Penck, Strawalde,
Marion Stille (der Lebensgefährtin von Johannes Bauer), Gerda Lepke oder
Hans Scheuerecker sind bestens für solche Kooperationen geeignet, haben
sie doch allesamt eine enge Beziehung zu heutiger improvisierter Musik und zu
Freejazz, waren oder sind selbst nebenher noch musikalisch-improvisierend tätig.
Mit ihnen wird das Motto lebendig, das auch über der Tätigkeit Landolts
und seiner Musiker stehen könnte: „Nur was ins Morgen weist, ist
wirklich heutig.“
Während sich viele andere Kleinlabels, die sich ebenfalls der Förderung
innovativer zeitgenössischer Improvisationsmusik verschrieben haben, mit
ihren Covergestaltungen aus marketing-strategischen Gründen vor allem die
jeweilige Label-Identity bedienen und ausprägen (zum Beispiel HatHut, Winter
und Winter, ECM...), wird Landolt mit den Coverdesigns der CDs seines Labels
den individuellen Qualitäten der jeweils veröffentlichten Musik am
besten gerecht. Und so gehört Intakt seit mehr als zwei Jahrzehnten zu
jenen Aktivisten, die öffentlich immer wieder durch praktisches künstlerisches
Tun zeigen, um welches audio-visuelles Anspruchsniveau insgesamt es in der Musik
eigentlich gehen sollte. Dies kann man lustvoll beim Gang durch die Ausstellung
„Wechsel der Sinne“ nachvollziehen und erleben. Es geht dabei nicht
nur um das Zusammenspiel zwischen Kunst und Free Jazz in der DDR (wie eine Zeitung
schrieb), sondern – weiter gefasst – um das Finden visueller Entsprechungen
für Musik, das Wahrnehmen des Melodischen und Rhythmischen im Visuellen
und letztlich auch darum, dass das Visuelle vom Wesen improvisierter Musik nicht
zu separieren ist. Im Kontext heutiger Download-Fastfoodkultur eine wichtige
Ausstellungs-Tat.
Infos:
„Wechsel der Sinne“ - Sommer-Jazz-Ausstellung , Galerie Grünstraße
, Grünstraße 16 , 12555 Berlin
Die Ausstellung ist bis zum 23. August 2008 zu sehen
(Der Text erschien
am12. August 2008 in den Dresdner Neuesten Nachrichten)
Blick auf die Intakt-Covers in der Galerie Grünstraße in
Berlin Köpenick
..
Galerie Grünstraße:
Luten Petrowsky vor dem Bild von Strawalde
Hinrich Beermann (links), Luten Petrowski (hinten) Patrik Landolt, Brigitte
Denecke.