28. Verleihung des SWR Jazzpreises an

INGRID LAUBROCK

Laudatio von Dorothea Enderle (Abteilungsleiterin SWR2 Musik)

 

Verehrte Ingrid Laubrock,
liebe Jazzfreunde,


„Ich gebe es zu. Ich schlafe oft ein bei Konzerten, besonders bei Konzerten von meinen Freunden, und am besten schlafe ich, wenn ich in einem bequemen Sessel in einem warmen, dunklen Raum sitze. Ich sage immer, daß ich nur einschlafe, wenn es gute Musik ist, aber wie kann ich das wissen, da ich ja schlafe?“

Mit diesem frechen – und bei näherer Betrachtung sehr raffinierten Satz macht das Booklet auf zu der CD „Sleepthief“ – „Schlafräuber“, eine Veröffentlichung von Ingrid Laubrock zusammen mit ihren Partnern Liam Noble und Tom Rainey, die den Anlaß bildet, weshalb wir uns heute hier treffen.

Ja, wie kann ich wissen, daß es gute Musik ist, da ich ja schlafe?
Wissen kann ich es wohl nicht, aber doch wahrnehmen, denn Wissen ist nur eine Form von Wahrnehmung, mächtiger aber ist sicher das, was wir unbewußt wahrnehmen.
Das Unbewußte ist , fast trivial klingt diese Anmerkung, ein mächtiger Motor, lebensbestimmend nicht nur für jeden von uns, sondern Inspirationsquelle Nummer eins für jeden kreativen Menschen.


Ingrid Laubrocks Draht zu dieser bei ihr derzeit heftig sprudelnden Quelle ist direkt und ungestört .
Sie schöpft daraus originäre Inspiration zu einer Musiksprache, die unverkennbar persönlich ist, so persönlich, wie das heute im improvisierten Jazz kaum mehr vorkommt.

Harry Lachner, Ihnen allen wohlbekannt als Autor unzähliger Jazzsendungen und Mitglied der Jury, sagt:
„Wann konnte man in den letzten Jahren einer so blendend neuen Stimme begegnen; einer so präzise kultivierten Tonkultur, die so ganz anders, die bei aller Vielfalt so unbeirrbar persönlich klingt? Aber der Klang allein wiederum wäre nichts ohne jenes konzentrierte, rational-kühle Formgefühl, das Ingrid Laubbrock gerade in den frei improvisierten Passagen ihrer Musik unter Beweis stellt. Sie verknüpft virtuos und mit einer geradezu atemberaubenden Selbstverständlichkeit Bezüge auf die Jazztradition mit Kompositionsmodellen der zeitgenössischen komponierten Musik. Dabei ist es gerade jene scheinbare Leichtigkeit, mit der sie sich über die Grenzen hinwegsetzt, eine Leichtigkeit, die erst aus einem hartnäckigen, arbeitsvollen Ernst heraus zu gestalten ist.“
Soweit das Zitat.


Ingrid Laubrock, 1970 in Westfalen im Münsterland geboren, kannten bis zur Ankündigung dieses Preises sicher nur wenige von uns.
Ganz einfach deshalb, weil sie schon jung Deutschland verlassen hat und ins Herz der britischen Jazzszene, nach London, ging. Und dort blieb. Denn dort ist sie spätestens seit ihrem Debut-Album 1997 „Who is it“ eine feste, unverzichtbare Größe.
Sie hat der gerne als dogmatisch und humorlos geltenden alten Free-Jazz-Szene eine neue Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit gegeben.
Es gibt bei ihr keine Verbote, keine Berührungsängste, auch keine Überheblichkeit gegenüber älteren oder populären Modellen mehr.


Möglicherweise ist diese neue, unverkrampfte Freiheit , die Souveränität gegenüber der Tradition und die Echtheit und Originalität des eigenen Ausdrucks doch eine der Leistungen, für die heute besonders die Frauen im Jazz stehen.


2007 ist Ingrid Laubrock mit ihrem Nonett in Berlin beim Jazzfest aufgetreten.
Und erregte damit auch die Aufmerksamkeit der Jurymitglieder.
Als dann die Trio-CD „Sleepthief“ erschien, in der Besetzung, wie wir sie heute abend hören, war sich die Jury einig, daß Ingrid Laubrock ihre prominenten Mitbewerber um den diesjährigen SWR Jazzpreis um Längen schlägt.


Die BBC war allerdings schneller als wir. Denn sie hat Ingrid Laubrock bereits mehrmals geehrt.
2004 erhielt sie den „BBC Award for Innovation“, 2006 ein Stipendium der britischen Arts Foundation“.
Und heute habe ich die Ehre, Ingrid Laubrock mit dem mit 15.000 Euro dotierten SWR Jazzpreis, der gemeinsam vom SWR und dem Land Rheinland-Pfalz verliehen wird, auszuzeichnen.
Die Begründung der Jury lautete:
„Ingrid Laubrock hat auf dem Tenor- und Sopransaxophon eine ganz eigenständige und unverwechselbare Stimme entwickelt, die sich flexibel den verschiedensten Kontexten anzupassen vermag. Mit dem Trio “Sleepthief“ ist es ihr gelungen, völlig freien Improvisationen formal strukturierte Abläufe zu verleihen, in denen sich zugleich inhaltliche Komponenten spiegeln: die Zerrissenheit albtraumartiger Situationen, die Diskontinuität zeitlicher Abläufe in rasenden Traumsequenzen und der beständige Wechsel des narrativen Tonfalls. In Ingrid Laubrock, die im Umfeld von Django Bates zu einer der gefragtesten Jazzmusikerinnen in Großbritannien zählt, findet der deutsche Jazz in London eine seiner kreativsten und eigenwilligsten Künstlerinnen.“

(Donnerstag, 2. Juli, 19.30 Uhr, Landesfunkhaus Mainz)


 

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Ingrid Laubrock: Saxophones
Liam Noble
: Piano
Tom Rainey: Drums

Recorded Agust, 30, 2007 at Radley College, London by Andrew Tulloch
Linernotes: Steve Beresford, Christoph Wagner
Cover art: Malene Bach
Graphic design: Jonas Schoder

Intakt CD 146

 

 

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