28. Februar 2006, Neue Zürcher Zeitung

«Jede Zeit hat ihren Soundtrack»

Das Label Intakt feiert im «Moods» sein Zwanzig-Jahre-Jubiläum

Das Zürcher Label Intakt hat sich in zwanzig Jahren international einen guten Namen geschaffen für Produktionen im Grenzbereich von Jazz, Improvisation und neuer Klassik. Vor dem Jubiläums- Festival vom 1. bis 3. März im Jazz- club Moods unterhielten sich Nick Liebmann und Ueli Bernays mit dem Label-Betreiber Patrik Landolt.

Patrik Landolt, was gab vor zwanzig Jahren den Anstoss zur Gründung des Plattenlabels Intakt?

Wir hatten vom Improvisations-Festival Taktlos, das 1984 in der Roten Fabrik Zürich zum ersten Mal durchgeführt wurde, sehr gute Aufnahmen von Irène Schweizer. Damals war ihr Schaffen nur lückenhaft auf Platten dokumentiert. Da wir kein Label fanden, gaben wir die Aufnahmen selber heraus. Wir waren so unerfahren und ungeschickt, dass wir die Öffnung der Plattenhüllen fälschlicherweise links statt rechts anbrachten. Die erste Produktion hat sich dann erstaunlich gut verkauft - beachtliche 2000 Exemplare wurden abgesetzt. Das brachte uns auf die Idee, ein Label zu gründen. Bei der ersten Platte, die wir 1986 unter dem Markennamen Intakt herausbrachten, handelte es sich um einen Zusammenschnitt des Festivals «Canaille» - ein Festival, an dem auf der Bühne der Roten Fabrik ausschliesslich Musikerinnen improvisierten.

Die Zürcher Jazzszene

Wie wichtig ist die Zürcher Jazzszene für Intakt?

Es ist spannend, in Zürich zu produzieren, weil es hier so viele hervorragende Musiker und - einmalig für die Jazzszene - Musikerinnen gibt. Lebendige, schöpferische Zirkel wie hier bilden sich ja nur, wenn eine entsprechende Infrastruktur zur Verfügung steht: Es braucht Konzertlokale, Veranstalter, und es braucht auch Plattenlabels, um Musiker zu unterstützen und zur Verbreitung ihrer Musik beizutragen. So ergeben sich Wechselwirkungen. In einer Stadt ohne vitale Musikszene wäre es undenkbar, ein Label wie Intakt zu führen.

Ist Intakt heute nicht vor allem international tätig?

Etwa die Hälfte unserer Produktionen sind international. Dank internationalem Renommee können wir auch Schweizern helfen, sich im Ausland einen Namen zu machen. Aber dazu braucht es im Label-Katalog eben eine Mischung - wir brauchen prominente Musiker und Musikerinnen aus Europa und Amerika. Ein Beispiel: Cecil Taylor. Seit wir sein bedeutendes Willisau-Konzert herausgebracht haben, sind Intakt-CDs in italienischen Geschäften wieder zu finden. Zuvor herrschte in Italien zwei, drei Jahre Flaute.

Was ist Ihre persönliche Aufgabe bei einer CD- Produktion?

Die Arbeit ist immer wieder anders. Es gibt Künstler, die wissen sehr genau, in welchem Studio, mit welchem Tonmeister sie arbeiten wollen. Andere sind froh um meinen Ratschlag. Wenn man mit amerikanischen Musikern arbeitet, erwarten sie, dass man im Studio in künstlerische und tontechnische Prozesse eingreift. Ich verstehe mich aber eher als eine Art Supervisor. Meiner Meinung nach gibt es verschiedene Kernkompetenzen. Und die Musik ist das Kerngeschäft des Musikers oder der Musikerin.

Wie viel Risiko trägt der Musiker, wenn er Aufnahmen bei Intakt herausbringt?

Ich mache ein Budget mit einer Deckungsauflage. Dann versuche ich mit den Musikern zusammen einen Weg zu finden, wie wir das finanzieren können. Wenn ein junger unbekannter Musiker zu mir kommt und wir wissen, der macht eine schöne, aber anspruchsvolle Musik, dann sagt mir die Erfahrung, dass die erste CD vielleicht 500- bis 600-mal verkauft wird. Da kann ich mir ausrechnen, was für ein Defizit bleibt. Dann gehen wir zusammen auf die Suche nach Geld.

Wie würden Sie das ästhetische Programm von Intakt charakterisieren?

Wir sind interessiert an verschiedenen Einflüssen aus Improvisation, neuer Klassik, Rock, Elektronik - generell an Musik, die heute zu Grenzüberschreitungen im Jazz führen. Ich mag den Begriff «Jazz» recht gut, weil er immer ein umkämpfter Begriff war. Es wurde immer gestritten um diesen Begriff. Innovationen wurden oft als Nicht-Jazz abgetan. Zwanzig Jahre später wurden sie aber integriert.

Wie hat sich Intakt in den letzten zwanzig Jahren entwickelt?

Es gab einerseits Wandel, anderseits Kontinuität. Wichtig für Intakt ist die Treue zu den Künstlern. Natürlich verändert sich die Musik dieser Musiker. Irène Schweizer spielt heute einerseits expressiv frei, aber gleichzeitig interpretiert sie vermehrt wieder Jazz-Standards.

Was finden Sie charakteristisch für die musikalische Gegenwart?

Jede Zeit hat ihren Soundtrack. In der heutigen Welt allerdings gibt es mehrere Soundtracks gleichzeitig, jede Kulturszene hat ihre eigenen Ausdrucksformen. Wenn man die jungen Leute beobachtet, kann man nicht mehr von einem dominierenden Stil reden, da läuft vieles parallel zwischen Klassik, Hip-Hop und Jazz.

Ist es da schwieriger geworden für ein Label, sich stilistisch zu positionieren?

Die Frage ist, ob man angesichts der Polystilistik überall kompetent sein kann. Wenn man etwa an verschiedene ethnische Stile denkt, ist es schon fraglich, ob man als Produzent noch zwischen guten und schlechten Aufnahmen unterscheiden kann. Alleine würde man da an Grenzen stossen.

Und überall droht die Beliebigkeit?

Ziel ist es, gute Musik zu produzieren. Und ich bin der Meinung, dass langjährige Hörerfahrung und eine intensive Auseinandersetzung mit Musikern und Musikerinnen, auch das Gespräch mit Leuten, die sich auskennen, einzige Garantie sind für eine entsprechende Urteilsfähigkeit. Es braucht den Diskurs und den Dialog mit Leuten, die sich ein Leben lang mit Musik beschäftigen.

Erstaunliche Erfolge

Gibt es auch Augenblicke, wo Sie sagen, das würde ich heute nicht mehr machen?

Ich würde heute vielleicht einiges anders machen, aber es hat für jede Produktion bestimmte Gründe gegeben, die heute noch nachvollziehbar sind. Es ist manchmal fast nicht zu glauben, was alles geklappt hat - beispielsweise, dass wir mit dem London Jazz Composers Orchestra von Barry Guy so viele Aufnahmen in Zürich realisieren konnten. Immerhin waren das zwanzig Musiker, die aus allen Ecken Europas nach Zürich kamen, drei Tage Studioaufnahmen realisierten. Man kann sich die Kosten ausrechnen, allein schon für die Verpflegung. Wenn ich zurückschaue, scheint es mir manchmal unfassbar, dass das gelungen ist.

 
 
 
 

 
 

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