© Tages-Anzeiger;
12.02.2005; Seite 50
Zum Jubiläum den ganzen Monk
Das Jazzlabel
Intakt tauft am Sonntag sein 100. Album. Eine erstaunlicheLeistung angesichts
der Geschichte des Kleinst-unternehmens.
Von Frank von Niederhäusern
Dreieinhalb Stunden Musik. Die Saisoneröffnung der Fabrikjazz-Reihe
in der Roten Fabrik wird zum musikalischen Marathonlauf. Vor allem für
das Quartett des deutschen Pianisten Alexander von Schlippenbach. «Monk's
Casino» nennt er sein Programm mit allen 70 Kompositionen von Thelonious
Monk. Ein Unterfangen, das vor ihm noch niemand gewagt hat.
Dreieinhalb Stunden finden Platz auf drei CDs. Und so gibts «Monk's
Casino» am Sonntag nicht nur zu hören, sondern auch zu kaufen.
Den editorischen Schatz präsentiert das Zürcher Label Intakt
Records und feiert damit seine 100. Produktion. «Wir nummerieren
unsere Alben der Reihe nach durch, doch dem Zufall lässt sich bekanntlich
nachhelfen», gibt Intakt-Produzent Patrik Landolt schmunzelnd zu.
Denn «Monk's Casino» bringt das Intakt-Credo auf den Punkt.
Verkörperte US-Pianist und -Komponist Thelonious Monk (1917-1982)
den Aufbruch alter Traditionen auf genial-verquere Art, steht der Berliner
Alexander von Schlippenbach (geboren 1938) für den avantgardistischen
Euro-Jazz. Seine Dreierbox bringt die Lebenserfahrung einer ganzen Jazzgeneration
zum Klingen. Einer Generation, die in Landolts Verlag einen so unkonventionellen
wie treuen Partner gefunden hat.
Es weht der Geist der 80er-Jahre
Neptunstrasse, Zürich 7: Das Label, dessen Veröffentlichungen
in Zürich ebenso begehrt sind wie in Paris, New York oder Tokio,
logiert in einer Altbauwohnung. «Wir sind ein Kleinstbetrieb und
müssen sparen», sagt Patrik Landolt, der 1986 das erste Album
herausgegeben hat. Intakt 001: «Irène Schweizer live at Taktlos
Festival» - auf Vinyl -, ist längst vergriffen
.....Patrik
Landolt. BILD DOMINIQUE MEIENBERG
Landolt, 1956 im toggenburgischen Flawil geboren, organisierte seine ersten
Jazzkonzerte in Thalwil. In Zürich studierte er einige Semester Philosophie,
wechselte 1980 aber zur Gründungscrew der WOZ. 1982 lancierte er
mit Irène Schweizer und WOZ-Kollege Fredi Bosshard die Reihe Fabrikjazz,
1984 das Taktlos-Festival, 1986 Intakt-Records.
Ist Intakt ein Label mit politischem Unterbau? Landolt: «Die ersten
Alben entstanden spontan, weil wir niemanden fanden, der unsere Taktlos-Aufnahmen
herausgeben wollte. Bald aber wurde Intakt Teil des Netzwerkes, mit dem
wir damals der experimentellen Kultur einen fruchtbaren Boden unabhängig
von Marktmechanismen bereiten wollten.» Qualität statt Quantität
- diesem Grundsatz folgt der Intakt-Macher bis heute. Erschienen zu Beginn
zwei bis drei Alben jährlich, sind es heute maximal zehn.
Das künstlerische Programm definiert Landolt überraschend simpel
mit «Jazz». Jazz jedoch als historischer Streitbegriff für
Veränderungen und Erweiterungen des Musikspektrums. «Unser
Anspruch ist es, die Vielfalt der Innovation zu dokumentieren.»
Qualität auch beim optischen Auftritt: Die Covers stammen etwa von
Gottfried Honegger, Fischli Weiss, Pipilotti Rist und sind, so Landolt,
«genauso farbentrunken wie unsere Musik.» Für die Linernotes
sucht er nach ausgewiesenen Expertinnen und Experten.
Parallel zum Zürcher Netzwerk schuf sich Landolt rasch ein internationales
Beziehungsgeflecht. Je hälftig sind Jazzer aus der Schweizer Szene
und Namen aus Europa und den USA zu finden, darunter Exponenten wie Barry
Guy oder Shelley Hirsch, Cecil Taylor und Lindsay Cooper. Intakt-Alben
sind dank 15 internationalen Vertrieben weltweit erhältlich - seit
kurzem gar in China.
Die Lust am Vermitteln
Den künstlerischen Erfolg mit dem finanziellen gleichzusetzen, ist
bei Kleinlabels wie Intakt illusorisch. Die Auflagen bewegen sich zwischen
1000 und 4000 Stück. Als wichtigsten Vertriebskanal nennt Landolt
die Abonnemente. «Eine Idee, die aus einer ökonomischen Krise
heraus entstanden ist und uns schon mehrmals das Überleben sicherte.»
Das Intakt-Abo (www.intaktrec.ch) geht weltweit an mehrere Hundert Empfänger.
Zuschüsse erhält Intakt übrigens einzig von der Labelprämie
der Pro Helvetia.
Immerhin kann sich Landolt nach 15 Jahren Fronarbeit heute fast ganz auf
die Labelarbeit konzentrieren. Seine Partnerinnen - Rosmarie Meier betreut
Finanzplanung und Konzeptarbeit, Fredi Bosshard und Irène Schweizer
stehen beratend zur Seite - arbeiten noch immer gratis. «Wir verstehen
uns als moderne Mäzene, die nicht ihr Vermögen, sondern Wissen
und Erfahrung in Kunst investieren», betont Landolt. «Die
Vermittlungsarbeit ist uns noch immer grosse Lust. Der lebhafte Diskurs
darüber, was wann in welcher Positionierung erscheinen soll, entschädigt
für die ganze Knochenarbeit von Geldsuchen bis Päckli machen.»
|