INTAKT RECORDS
Lucas Niggli ZOOM

 

Marcus Maida. Liner Notes. Zoom. Rough Ride. Intakt CD 082

Lucas Niggli Zoom. Rough Ride Wir kennen den Zoom aus Film und Fotografie: Da wird etwas, oft blitzschnell, herangefahren, und rückt die wichtigen Dinge präzise und scharf in den Fokus des Interesses. Diese Bewegung, die zu den wesentlichen Details führen kann, ist aber nicht nur eine rein technische: ihr wohnt auch eine Energie inne. Sie kann, auf die richtige und inspirierende Art ein- und freigesetzt, die Geheimnisse und Interdependenzen einer verborgenen Mechanik öffnen, auf eine gleichsam verspielt-intuitive wie pedantisch-kontrollierte Weise gar konzentriert überschreiten und so schliesslich zu etwas Neuem kommen. Alle kennen das, die selbst einmal einen Zoom gemacht oder live miterlebt haben: etwas wird aus eigenem Interesse und Erkenntnistrieb zugespitzt und verdichtet und weitet sich durch den vitalen Impuls gleichsam wieder aus, öffnet sich schliesslich und setzt durch diese neuen Bewegungen andere Wahrnehmungsweisen frei. So ergeben sich, auf das Ästhetische bezogen, erweiterte Möglichkeiten.

Der Begriff «Zoom» ist aber auch aus der Comicsprache geläufig: Wenn etwas ganz besonders schnell rasant und heftig ist, hilft zu dessen Verdeutlichung oft nur noch dieses markierende Codewort einer verschärften Bewegung. Beide Definitionen des «Zoom» als ein visuell-ästhetisches wie auch lautsprachliches Phänomen führen zu Punkten, die für ein Verständnis von dem, was auf «Rough Ride», dem Livealbum von Lucas Niggli ZOOM geschieht, prägnant sind: es geht um konzentrierte wie rauschhafte Energie, es geht um ein hellwaches und aufmerksames Bewusstsein Ð und es geht nicht zuletzt um Humor.

Denn ZOOM, jenes Trio um den Schweizer Schlagwerker und Perkussionisten Lucas Niggli, seinen kongenialen Landsmann, den schon seit langer Zeit mit ihm arbeitenden Gitarristen Philipp Schaufelberger, und den mit traumwandlerischer Sicherheit aufspielenden Posaunisten Nils Wogram aus Deutschland, hat es mit einer bewundernswert unangestrengt klingenden Leichtigkeit geschafft, die oben beschriebenen Vorgänge in einer komplexen musikalischen Sprache neu zu erschaffen und hörbar zu machen. Auf «Rough Ride» laden sie nun ein, deren lebendige Entstehungen mitzuerleben. Die Gruppe Lucas Niggli ZOOM ist ein Phänomen: Die als Trio gestartete Formation hat sich innerhalb von wenigen Jahren mit sympathischer Vehemenz ins Bewusstsein eines an innovativen Jazz interessierten Publikums gespielt, und steht nun ganz vorne innerhalb einer jungen Generation improvisierender Musiker aus der Schweiz, die mit lustvollem Drang und heftig-swingender Genauigkeit Musikstile verbinden und für ihr eigenes Interesse erforschen. Obschon Lucas Niggli bei ZOOM der Leader und Impulsgeber ist, bezeichnet er das Trio als ein Kollektiv: «Das ist mir ganz wichtig!», stellt er klar. Nicht nur, dass Niggli, der sehr hohe Ansprüche an Musik stellt, die lebendige Struktur seiner Gruppe und die Grossartigkeit ihrer einzelnen Teile, deren gemeinsame Summe logischerweise stets grösser ist, in ihrem Austausch und Aufbau des musikalischen Materials vollstens anerkennt; auch weiss er sehr wohl um die integrierende wie antreibende Rolle eines mit gelassenem Nachdruck agierenden Bandleaders mit Weitblick fürs Ganze, der das Beste aus seinen Mitmusikern herauszuholen vermag.

Lucas Niggli ZOOM schafft es in seiner Musik, mit Klarheit und einem oft atemberaubendem Energiepegel, Leichtigkeit und Dringlichkeit zusammen zu bringen. Die Zauberformel hierfür ist: eine enorm hohe und strukturierte Konzentrations- wie Komplexitätsdichte bei gleichzeitigem Spass am und einer nahezu wahnsinnigen Freiheit im Spiel - und nicht zuletzt eine Bandchemie, mit der man alles erklären kann. Im Zusammenspiel wird ein Reichtum an Klangkoloraturen aus-, aber bezeichnenderweise niemals überreizt. Mit einem Nuancenreichtum ausgestattet, spinnt diese Band auf der Bühne blitzschnell und sicher ihr Gewebe, in welches die einzelnen Module, mit denen sie live jonglieren kann, eingeflochten und angeordnet werden. Dabei gelingt es ihnen, bei allem passioniertem Hineinknien in den Spielrausch stets Transparenz zu wahren. Innerhalb dieser wohlbemessen-abgezirkelten und dann im Rausch überschrittenen Grenzen ergibt sich für jeden einzelnen Musiker die Gelegenheit, jeweils eigene instrumentale Dynamiken fokussiv zu gestalten - sozusagen die jeweils wichtigen Dinge akustisch heranzuzoomen. Und so vermischen sich innerhalb der intelligenten Arrangements von Niggli, die doch stets genug Freiraum zu deren kollektiven Überschreitung bieten, die drei Stimmen zu einem Ganzem. Und gerade wegen dieser Dialektik aus Expansion und Zurückhaltung und Individuum und Kollektiv gelingt es diesem Trio, in den differentesten Tempo- und Voluminawechseln einen begeisternden und bleibenden Gesamteindruck zu erreichen.

Bei so einem rauhen Ritt kann einiges geschehen. Die HörerInnen müssen auf einige halsbrecherische Aktionen gefasst sein: Weiche Anfänge rauhen sich alsbald auf, wenn Nigglis perkussiv geprägtes Drumspiel plötzliche Ausbrüche und Steigerungen einläutet. Schaufelbergers Gitarre spielt dann zunächst stoisch, fast sequenziell, aber mit Nachdruck. Man meint ihr leicht folgen zu können, bis sich ihr immer fordernder werdendes Spiel in fingerbrecherischen Läufen auflöst und aus der Hölle gen Himmel und zurück zu eilen scheint. Skalen übersteigern sich selbst und fallen schliesslich übereinander, derweil Wograms Posaune mit kalkuliertem Impressionismus durchs musikalische Neuland reitet, während Gitarre und Drums die Spitzen setzen, zwar loyal begleiten, aber auch schon mal das Dickicht sondieren und andere Richtungen akzentuieren. So kommt man zu neuen Eindrücken, und so findet man schliesslich auch zu neuen Wegen. Dann wird die Posaune geradezu wild, fordernd und launisch: a moaning trombone, loud and clear, soft and smooth, doch Nigglis Drums fallen wie Wizzards und Kobolde aus dem Hinterhalt über sie her, filigran und leicht, im Ganzen jedoch druckvoll und unerbittlich.

Unglaublich, wie sich Genre-Idiome aus Blues, Rock und Jazzstilen im kontrollierenden Gestus der Neuen Musik untereinander paaren und anders wiederfinden können. Alles schwingt und läuft in Hochspannung ineinander und ergibt doch EIN sinnvolles organisches Ganzes, das zur Begeisterung übergenug Anlass gibt, weil die Musik trotz aller Reflektion der disparaten Stile eine wunderbare Stringenz besitzt und eben kein musikalisches postmodernes Patchwork ist. Dieser ästhetische Bannfluch, der drohende Schatten der ausgehenden 90er Jahre, ist bei Lucas Niggli ZOOM lustvoll wie intelligent überwunden.

Lucas Niggli ZOOM gelingt es nicht nur, Komplexität und Klarheit zusammenzuführen und zu verbinden, sondern eben auch inspiriert weiterzutreiben. «Präzision alleine», so Niggli einmal, «reicht da nicht aus.» Das transparente Spiel voller konzentrierter Stärke bleibt bei aller Komplexität und Multidirektion stets «straight» und ist geprägt von einer treibenden Schärfe und Dringlichkeit, die besonders dann deutlich wird, wenn das Trio umso befreiter und offener aufspielt, nachdem sich die Spannung der Engführung endlich aufgelöst hat. Das ist die Dialektik von Zoom: einmal warmgespielt, bewegen sich die Drei im formalistischen Korpus des Stückes und erweitern diesen zugleich. Und dabei entsteht dann auch noch jene Intensität, die vom Gesamtgestus neben der kompakten Energie eine überraschende «fliessende» Leichtigkeit innehat und ermöglicht deren inspirierenden Momente alles andere als bedächtig, sondern vielmehr Funkenflüge für neuen Zunder sind. Und abermals überrascht das Trio mit herrlichen Wendungen...

Wir hören auf «Rough Ride» diese lässige Virtuosität und Artistik, die niemals, auch in den höchsten Höhen nicht, angestrengt klingt! Lucas Niggli ZOOM ist ein entspanntes wie straff geknüpftes Netzwerk, das stets in Bewegung bleibt. In einem Gestus zwischen Expressivität und Kalkül entsteht jenes hellwache fliessende Suchen, das stets zugleich immer ein Finden ist.

Nur wenn etwas richtig gut ist, kann es sich in einem Rausch öffnen und erweitern und zu einem Fest werden, an dem auch die Anderen teilhaben können. «Rough Ride» ist ein lebendiges Abbild von einigen der besten ZOOM-Konzerte des Jahres 2002. Ein wichtiges Kapitel des zeitgenössischen Jazz ist in all seiner Live-Intensität nachzuerleben. Und beim Anhören dieser Musik wird sehr schnell klar, dass es eigentlich nur eines gibt, das besser ist als ZOOM: ZOOM LIVE!

Marcus Maida


 

Lucas Niggli Zoom. Rough Ride We know zoom from film and photography: something, often fast as a flash, is brought in closer and brings the important things precisely and sharply into the focus of our interest. This movement, which can lead to the essential details, is not only a purely technical one: there is an energy inherent in it. It can, if used and set free in the right and inspired way, open the secrets and interdependencies of hidden mechanisms. In an equally playful-intuitive as well as pedantic-controlling way, it can, in concentration, even transgress and arrive at something new in the end. Everyone who has made a zoom themselves or experienced it live knows this: something from its own interest comes to a head on its own and from its own drive to knowledge, it gets dense and expands via a vital impulse, and opens itself in the end; it sets other ways of perceiving free via these new movements. Thus results, with reference to the aesthetic, expanded possibilities.

The concept of «zoom» is also common in comics language: when something is especially fast, breakneck and vehement, the only help we have is via this striking code word of a heightened movement. Both definitions of «zoom» - as a visual-aesthetic as a phonetic phenomenon - lead us to points that are succinct for an understanding of what happens on Rough Ride, the live album from Lucas Niggli's Zoom: it is a matter of a wide-awake and attentive consciousness - and it is not least a matter of humor.

Since ZOOM, this trio of the Swiss drummer and percussionist Lucas Niggli, with his kindred countryman, who has been working with him for a long time, the guitarist Philipp Schaufelberger, and the German trombonist Nils Wogram, who plays with uncanny certainty, has been able to make the processes described above audible and to create them anew in a complex musical language, all with an admirable unstrenuous sounding lightness. On Rough Ride, they invite us to co-experience their living creations. The group Lucas Niggli ZOOM is a phenomenon: the trio formation has played into in the consciousness of a public interested in innovative jazz with a sympathetic vehemence all within a few years. Now it stand right in front within a young generation of improvising musicians from Switzerland, who, with a voluptuous desire and fiercely swinging precision, connect musical styles and investigate for their own interests. Although Lucas Niggli is the leader of ZOOM and gives the impulses, he clearly describes the trio as a collective: «that is very important to me!» Not does Niggli have high demands upon music, upon the living structure of his group and the greatness of its individual parts, whose common structure is logical always greater, in its exchange and build of the musical material completely recognizes, but he also knows very well what it means to play the integrating as well as the driving role of a bandleader, with calm emphasis, who has a view of the whole, who is able to get the best out of his musicians.

Lucas Niggli ZOOM is able to create music that brings lightness and urgency together with clarity and an often breathtaking level of energy. The magic formula for this is an enormously high and structured concentration and complexity while having fun at the same time playing with a near mad freedom, an not last, a band chemistry with which one can explain everything. When they play together, a richness of tonal colors is thrashed out, but significantly never overcast. Equipped with a richness of nuances, this band securely spins out its web like lightning, in which the individual modules, with which they juggle live, are woven together and organized. They always remain transparent while they passionately get into the delirium of playing. Within these limits, well measured, encircled and then exceeded in the delirium, each musician has the opportunity to focus his own instrumental dynamics - so-to-speak to zoom into the important things acoustically. And thus the three voices mix into a whole, within Niggli's intelligent arrangements which constantly offer enough freedom to collectively exceed them. Because of this dialectic of expansion and reservation, and individual and collective, the trio is able to reach an enthusiastic and staying collective impression, in the most varying tempi and volume changes.

During such a rough ride lots can happen. Listeners have to brace themselves for several hair-raising actions: soft beginnings slowly roughen up when Niggli's percussive drum playing rings in sudden outbursts and aggravations. Schaufelberger's guitar initially plays stoic, almost sequential, but with emphasis. One thinks one can follow it easily, until its growing expect play dissolves into blindingly fast runs and appears to hurry out of hell up to heaven and back. Scales overcome and fall into each other. Meanwhile Wogram's trombone rides through a new musical country with calculated impressionism, during which guitar and drums bring it all to a peak, loyally accompanying, but also probing the labyrinth and accentuating other directions. Thus one comes to new impressions, and thus one also finds new paths. Then the trombone becomes virtually wild, imperious and moody: a moaning trombone, loud and clear, soft and smooth, but Niggli's drums fall down on it like wizards and goblins from a trap, filigrane and light, as an entirety however, pressing and relentless.

Unbelievable how genre idioms from blues, rock and jazz style pair up in the controlling gestures of new music and can be found again differently. Everything swings and runs in high voltage in each other and results, nonetheless, in ONE meaningful organic entirety, that gives enough cause for enthusiasm, because the music contains a wonderful stringency in spite of the reflection of all the disparate style. And it is not a musical postmodern patchwork. This aesthetic excommunication, the threatening shadows of the 90's, has been joyfully as well as intelligently overcome by Lucas Niggli ZOOM.

Lucas Niggli ZOOM does not only succeed in bringing and binding complexity and clarity together, but also to push it on inspired. «Precision alone,» said Niggli once, «is not enough.» The transparent playing full of concentrated strengths constantly remains «straight» with all its complexity and multi-direction. It is formed by a driving sharpness and urgency, which especially becomes clear when the trio play all the more open and free, after which the tension of restriction had finally dissolved. That is the dialectic of Zoom: once warmed up, the three move into the formalistic corpus of the piece and expand it at the same time. Thereby an intensity originates, that has an inherent and surprising «flowing» lightness, from the entire gesture next to the compact energy, which makes possible their inspiring moments without circumspection, but rather sparks of flight for new fuses. And once more, the trio surprises with fantastic turns É

On Rough Ride, we hear this non-chalant virtuosity and artistry, which never, even in the highest heights, sounds strained! Lucas Niggli ZOOM is a relaxed as well as tautly woven network that constantly remains moving. In a gesture between expressivity and calculation, a wide-awake flowing searching originates, which is constantly a finding at the same time.

Only when something is really good can it open up in a delirium and expand and become a feast on which others can take part. Rough Ride is a living image from one of the best ZOOM concerts of 2002. An important chapter of contemporary jazz can be relived in all its live intensity. And when listening to this music it becomes quickly clear, that there is only one thing better than ZOOM, namely ZOOM LIVE!

Marcus Maida
Translation: Bruce Carnevale