RADIOFEUILLETON / KRITIK
Der
Schriftsteller und der Schlagzeuger
Der Schriftsteller Rafik Schami wurde in Damaskus geboren und
lebt seit vielen Jahren in Deutschland. Günter "Baby"
Sommer kommt aus Dresden und ist Free-Jazz-Schlagzeuger. In ihrem gemeinsamen
Projekt "Abbara" treten beide in einen Dialog ein, der nun
als Hörbuch vorliegt.
Also das
einfachste und das wahrscheinlich gleichzeitig komplizierteste: eine
Begegnung zwischen Kulturen und Künsten.
"Damaskus ..."
Es geht - unter anderem - um Damaskus.
"Damaskus ist keine Stadt. Kein Fleck auf
einem Atlas, sondern ein Märchen, das sich in Häuser und Gassen,
Geschichten, Gerüchte und Gerüche kleidet ..."
Rafik Schami beginnt. Und dann Günter "Baby" Sommer.
"Die Altstadt ist in ihrer 8000-jährigen
Geschichte unendliche Male Seuchen, Kriegen und Feuern zum Opfer gefallen.
Und wurde in Ermangelung eines besseren Platzes immer wieder am selben
Ort aufgebaut."
Mal beginnt auch der zweite, und der erste setzt sich dazu.
"Abbara" ist arabisch. Bedeutet Durchgang, Passage, auch Fähre.
In der Gasse Abbara in Damaskus ist Rafik Schami aufgewachsen.
Neu ist sie nicht, die Begegnung und die gesuchte (!) Nähe von
Literatur und Musik. Nicht wenige Schriftsteller fühlten sich geschmeichelt,
wenn ihnen in ihrem Medium - der Sprache - ein rhythmischer Fluss wie
im Jazz bescheinigt wurde. Jack Kerouac wollte gar als "Jazzdichter
betrachtet" werden. Das Sprecher-Urgestein Gerd Westphal las Heinrich
Heine zu Jazzklängen, und der Lyriker Peter Rühmkorf begab
sich live mit dem Jazzpianisten Michael Naura und dem Vibrafonisten
Wolfgang Schlüter auf die Bühne. Eine Begegnung, die nicht
auf die Live-Performance oder auf den Jazz beschränkt blieb. Bei
den "Rilke-Projekten" - Jahre nach Rühmkorf - erklang
auf CDs moderne Pop-Musik zu Rilke-Gedichten, gesprochen von mehr oder
weniger gut vortragenden, aber immer bekannten Schauspielern. Und schließlich:
Die Musiker der Konzeptgruppe LEBENdigital kombinierten ihre grooves
mit Originallesungen des Dichters Jörg Fauser.
Neu ist es also nicht, was der syrisch-deutsche Schriftsteller Rafik
Schami und der Jazz-Schlagzeuger Günter "Baby" Sommer
auf dem Hörbuch "Abbara" - aufgenommen in einem Studio
- präsentieren. Aber was heißt schon neu. Viel interessanter
ist, dass das "Abbara"-Projekt, das bei Erfolg - wie der Verlag
andeutet - eine Reihe von Hörbüchern mit solchen Begegnungen
einleiten könnte, dass dieses Hörbuch eine - ursprünglich
radiophone - Hörkunst belebt. Und da der Hörbuchmarkt inzwischen
in Mainstream eines Wustes von Lesungen, Lesungen, und
noch mal Lesungen verödet, kann man bei solch einem Projekt wie
"Abbara" gleich im Vorwege mal Beifall klatschen.
Jazzorientiertes Schlagzeug trifft auf orientalisch geprägte Erzähltradition.
In Rafik Schamis Literatur und seinem Vortrag lebt die orale Tradition
des arabischen Geschichtenerzählens fort. Rafik Schami erzählt,
"Wie das Echo auf die Erde kam". Solch ein Echo?
"In früheren Zeiten, noch lange ehe
der Mensch die Erde betrat, lebte ein Dämon, der mit seiner Frau
in den tiefen Höhlen und Schluchten umherzog. Dieser Dämon
war unter seinesgleichen dafür berühmt, dass er nicht zuhören
konnte. Am Schlimmsten aber litt seine Frau darunter. Denn er hatte
die Gewohnheit, nicht nur auf sie nicht zu hören, sondern alles,
was sie erzählte, für dumm zu erklären. In allem widersprach
er und nichts, was sie ihm aus ihrem Herzen erzählte, hörte
er."
East meets west; Orient Okzident. Schami Sommer. Der Free Jazzer spielte
schon zu DDR-Zeiten - geboren ist Günter "Baby" Sommer
in Dresden - mit Christa Wolf und Christoph Hein zusammen. Er gestaltete,
begleitete, unterlegte oder gab mit seinem Rhythmus des Schlagzeugs
dem des Textes einen zusätzlichen, fremden oder vertrauten Klang
- wie jetzt den Erzählungen von Rafik Schami.
"Seitdem wiederholt Echo, so hieß der
Dämon, jeden Ruf und jeden Satz der Menschen, Dämonen oder
Tiere in den Schluchten, Höhlen und Abgründen. Er überhört
nicht einmal das Geräusch eines rollenden Kieselsteins."
Solch eines Kieselsteins?!
Zwei Künste treffen aufeinander in "Abbara"; es begegnen
sich zwei Erzähler.
Zwei subjektive Rhythmen, die sich angleichen, in diesem Hörbuch
einander suchen, um weg zu gehen und wieder zu kommen. Wohl wissen beide
- der Schriftsteller wie der Schlagzeuger -, dass sie gut ohne einander
existieren würden. Aber sind das nicht die besten Begegnungen in
Beziehungen, wo eben jeder auch ohne den anderen gut könnte und
das Gemeinsame eben genau für diesen Moment des Dialogs zur Bereicherung
wird?
Als vor vielen Jahren die Altvorderen dieser Synthese, Michael Naura,
Wolfgang Schlüter und der Lyriker Peter Rühmkorf, gemeinsam
loslegten mit Jazz & Lyrik, kommentierte dies eine Zeitung mit der
Schlagzeile: "Musik stört Dichterlösung". Rafik
Schami und Günter "Baby" Sommer kann man bei "Abbara"
nur kritikerarrogant bescheinigen: "Musik befördert Dichterlesung"
oder das Ganze umdrehen und sagen: "Dichterlesung befördert
Musik". Immerhin geht es um einen gelungenen (!) Dialog.
Hartmut Tegeler, Deutschlandradio
Kultur, 15.08.2008
Direkter
Link zum Bericht im Deutschlandradio
Rafik Schami erzählt und Günther Baby
Sommer trommelt
Zwei Klangmaler im Dialog
Der Dichter Rafik Schami erschafft im intensiven Dialog mit
dem Jazz-Schlagzeuger Günther Baby Sommer eine poetische Welt voll
von Klang und Melancholie.
Der musikalische Dialog ist eines der spannendsten Genres des Jazz.
Zwei – im besten Falle gleichberechtigte – Partner treten
in ein intensives Zwiegespräch, schmeißen sich gegenseitig
die Bälle zu, improvisieren gemeinsam und dringen zum Kern der
Musik vor: zuhören und gehört werden. Oftmals jedoch bezieht
eine Duoaufnahme ihren Reiz gerade aus dem Fehlschlagen dieses kanonisierten
Regelwerks. Die Beteiligten hören eben nicht aufeinander, sie schmeißen
sich die Bälle lediglich zu, um ihren nächsten persönlichen
Höhepunkt zu planen, sie spielen gegen- und nicht miteinander.
Beide Konzepte haben ohne Zweifel ihren Reiz. Während übertriebene
Harmonieseligkeit viele Duovariationen oft zur zahnlosen Hausmusik verkommen
lässt, verspricht der Kampf zweier Musiker zumindest Spannung –
auch wenn er oftmals im heillosen Durcheinander endet. Irgendwo im Zwischenraum
von Harmonie und Differenz muss sich ein gelungener Dialog bewegen;
er muss Unterschiede zulassen und trotzdem Gemeinsamkeiten betonen.
Das Zusammentreffen eines Dichters mit einem Jazz-Schlagwerker kann
im Idealfall ebenfalls jenen Regeln folgen. Der Wort- und der Trommelkünstler
hören aufeinander, ergänzen sich behutsam und entwickeln im
Dialog jeweils ihre eigene persönliche Sprache weiter. Dies hätte
dann auch nichts mit dem leicht bräsigen bildungsbürgerlichen
Hintereinander von Text und Musik zu tun, das man auf Lesungen leider
viel zu oft zu hören bekommt.
Gottlob ist „Abbara“ das genaue Gegenteil einer derartigen
Veranstaltung: Keinem der beiden Protagonisten liegt an einer bloßen
Einzelrepräsentation, sie agieren als dichterisch-musikalisches
Duo, das zusammen einen neuen, klingenden Sinn erschafft.
Der schwermütig-poetische Schami-Ton
„Abbara“ nennt sich jene Gasse im christlichen Viertel von
Damaskus, in der Rafik Schami aufwuchs. In ihr lebten Araber, Armenier,
Turkmenen, Kurden, Palästinenser, Aramäer und andere Volksgruppen
friedlich nebeneinander. Dieser Titel ist durchaus programmatisch zu
verstehen. Der syrisch-deutsche Schriftsteller Rafik Schami erinnert
sich an sein Damaskus; er verwebt orientalische Weisen mit einer seltsam
gebrochenen westlichen Distanz. Dies führt zu jenem unverwechselbaren,
schwermütig-poetischen Schami-Ton, der sein literarisches Schaffen
von Anfang an wie ein roter Faden durchzieht. Selbst seine Kinderbücher,
die im Übrigen immer schon Bücher für jedermann waren,
sind von dieser tiefen Melancholie geprägt – Schami ist der
Erzähler einer farbenfrohen und friedlichen, einer längst
untergegangenen Welt.
Diese Welt spiegelt auch der poetische Essay „Damaskus“,
der diese CD folgerichtig eröffnet, wider. Der Hörer muss
sich allerdings erst an den spezifischen Gestus dieser Einspielung gewöhnen:
Schami deklamiert nicht gerade langsam; geradezu enervierend klingen
seine melancholischen Kleinode hier. Sommer treibt Schami zusätzlich
mit hektisch-diffizilen Beats voran. So ist Schamis Damaskus-Loblied
eben auch eine Klangmalerei, die das hektische Treiben der Stadt im
musikalischen Dialog einfängt. Schlagwerk und Stimme ergänzen
sich, lassen aber stets genug Raum für den Dialogpartner.
Es sind noch einige Geschichten zu erzählen
Schami und Sommer haben sich viel zu erzählen: Märchenhaft-Archaisches
(„Wie das Echo auf die Erde kam“), verträumt-melancholische
Idyllen („Das Gedächtnis der Hühner“) und leider
auch Heutiges („Der Gottesstaat“). Vollends zur Musik wird
„Abbara“, wenn Schamis Vortragssprache auf Arabisch wechselt
und die meisten seiner deutschen Hörer nur noch den Klang und nicht
mehr den Sinn der Worte verstehen dürften. Doch gerade hier erwächst
ein ungemein starkes Band zwischen Percussion und Wort; hier spürt
man, dass man es tatsächlich im wahrsten Sinne des Wortes mit zwei
Klangartisten zu tun hat.
Leider hält die CD nicht durchgehend das hohe Niveau dieser Stücke.
Dafür sind die Texte nicht homogen genug, dafür kommt einem
manches doch zu sehr als Füllmaterial vor. Was beispielsweise die
E-Literatur-Satire „Der E-Furz“ in dieser Sammlung zu suchen
hat, weiß wohl nur Rafik Schami selbst. Alles in allem bleibt
„Abbara“ jedoch eine gelungene Duoaufnahme, die zwei Großmeister
ihres Faches im fruchtbaren Dialog zeigt. Auch das Klangbild genügt
höchsten audiophilen Ansprüchen. Sommers vielfältiges
– oft auch melodieführendes – Schlagwerk erklingt ungemein
transparent und akzentuiert. Man darf auf weitere Gemeinschaftsarbeiten
von Schami und Sommer hoffen. Sie haben sich sicherlich noch nicht alles
gesagt.
Sebastian Karnatz, Titel
Magazin, Deutschland, 11. September 2008
Wolf
Kampmann, Jazzthing, Deutschland, September/Oktober 2008
Christian
Rentsch, Jazz'n'more, Zürich, September 2008
Frank
von Niederhäusern, Radiomagazin, Zürich, 39/2008
Manfred
Papst, NZZ am Sonntag, 28. September 2008
RAFIK SCHAMI, der vor allem
für Die dunkle Seite der Liebe (2004) geschätzte deutschsprachiger
Bestsellerautor, erzählt auf ABBARA (Intakt CD 140) 9 Geschichten,
GÜNTER BABY SOMMER paraphrasiert sie 'mit anderen Worten‘,
spinnt sie lautmalerisch aus. Mit seinen klingenden Händen, die
über Trommeln, Paulen, Becken, Gong gestikulieren, bringt er Fell,
Metall und Holz zum Reden. Eine Partnerschaft, so alt wie das Erzählen
selbst. Unterwegs zwischen Damaskus und Dresden - Abbara heißt
auf Arabisch Passage oder Fähre, aber auch eine Gasse in Damaskus
- erzählt Schami, der in dieser Gasse als Kind Murmeln spielte,
während die Touristen an ihm vorbei spazierten, zuerst natürlich
von seinem 'Damaskus‘, dann davon 'Wie das Echo auf die Erde kam‘,
eine Fabel, in der statt einer Nymphe ein zum Widerhall verpflichteter
Dämon die Titelrolle spielt. 'Die Palme‘ ist ein Lob der
Dattel - als Gott sich in der Lehmmenge für Adam verschätzte,
formte er aus dem Überschuss die Palme, Adams 'Schwester‘,
den arabischen Weltenbaum. Auf Arabisch folgt die Satire, dass ein Geburtsdatum
in Syrien Verhandlungssache sein kann. 'I.N.R.I.‘ entschlüsselt
in einem islamisch-christlichen Religionsdialog dieses Akronym als verschwörerische
Geheimbotschaft à la Dan Brown. In 'Der Gottesstaat‘ diskutiert
Legenden über die Assassinen, die Wirkung von Haschisch und 'Sendungsbewusstsein‘
als grösster Droge: Wehe, wenn man nicht in den neuen 'Gottesstaat‘
passt. In der Parabel 'Der Wald und das Streichholz‘ lassen sich
rivalisierende Pinien und Olivenbäume vom Streichholz so lange
aufhetzen, bis ein Feuer beide verbrennt. Mit 'Der E-Furz‘ veräppelt
Schami Kollegen, die vor lauter deutschem Bierernst keinen Furz taugen.
Und schließlich erfährt man noch, wie das kurze 'Gedächtnis
der Hühner‘ die Geschäftsbeziehungen zwischen Mensch
und Huhn vereinfacht. Mir kommt Schami manchmal wie die Zweitbesetzung
von Kischon vor. Vielleicht sollte man mich nicht als 'Kind jeden Alters‘
ansprechen.
Rigobert Dittmann, Bad Alchemy, Oktober 2008
Frank
von Niederhäusern, zuritipp, Tages-Anzeiger, 2. Oktober 2008
Reiner
Kobe, Jazzpodium, Deutschland, November 2008
Bei einem Zürcher Jazzfestival
fand sich 2006 diese Geistesverwandschaft: der deutsch-syrische Autor
und der Dresdner Drummer sind beide begnadete, leidenschaftliche und
humorvolle Erzähler. Die 9 Stücke sind fabulös und können
hier nur in Beispielen anempfohlen werden: in "Der Gottesstaat"
wacht ein Selbstmordattentäter schwer verletzt im Krankenhaus auf
und wähnt sich angesichts der weiß gekleideten Krankenschwestern
im Paradies. Im "E-Furz" macht sich Schami über die E-Kultur
und -Literatur her, dass es eine Furzfreude ist. Bei all der Textfreude
sollte man jedoch die kongeniale Spielfreude des großen Riesenbabys
nicht überhören: so ein Traumteam aus Ton und Wort hat sich
lange nicht mehr eingefunden.
Music Made My Day by Honker, Terz, Stattzeitung für
Politik und Kultur, Düsseldorf, 3.1.09
M.
Scheiner, Passauer Neue Presse, Deutschland, 31. März 2009
Michael
Scheiner, Jazzzeitung, Regensburg, Nr. 5-2009
To Intakt Website: home
|