INTAKT RECORDS – CD-REVIEWS

RAFIK SCHAMI - GÜNTER BABY SOMMER
Abbara
Intakt CD 140

RADIOFEUILLETON / KRITIK

Der Schriftsteller und der Schlagzeuger

Der Schriftsteller Rafik Schami wurde in Damaskus geboren und lebt seit vielen Jahren in Deutschland. Günter "Baby" Sommer kommt aus Dresden und ist Free-Jazz-Schlagzeuger. In ihrem gemeinsamen Projekt "Abbara" treten beide in einen Dialog ein, der nun als Hörbuch vorliegt.

Also das einfachste und das wahrscheinlich gleichzeitig komplizierteste: eine Begegnung zwischen Kulturen und Künsten.

"Damaskus ..."

Es geht - unter anderem - um Damaskus.

"Damaskus ist keine Stadt. Kein Fleck auf einem Atlas, sondern ein Märchen, das sich in Häuser und Gassen, Geschichten, Gerüchte und Gerüche kleidet ..."

Rafik Schami beginnt. Und dann Günter "Baby" Sommer.

"Die Altstadt ist in ihrer 8000-jährigen Geschichte unendliche Male Seuchen, Kriegen und Feuern zum Opfer gefallen. Und wurde in Ermangelung eines besseren Platzes immer wieder am selben Ort aufgebaut."

Mal beginnt auch der zweite, und der erste setzt sich dazu.

"Abbara" ist arabisch. Bedeutet Durchgang, Passage, auch Fähre. In der Gasse Abbara in Damaskus ist Rafik Schami aufgewachsen.

Neu ist sie nicht, die Begegnung und die gesuchte (!) Nähe von Literatur und Musik. Nicht wenige Schriftsteller fühlten sich geschmeichelt, wenn ihnen in ihrem Medium - der Sprache - ein rhythmischer Fluss wie im Jazz bescheinigt wurde. Jack Kerouac wollte gar als "Jazzdichter betrachtet" werden. Das Sprecher-Urgestein Gerd Westphal las Heinrich Heine zu Jazzklängen, und der Lyriker Peter Rühmkorf begab sich live mit dem Jazzpianisten Michael Naura und dem Vibrafonisten Wolfgang Schlüter auf die Bühne. Eine Begegnung, die nicht auf die Live-Performance oder auf den Jazz beschränkt blieb. Bei den "Rilke-Projekten" - Jahre nach Rühmkorf - erklang auf CDs moderne Pop-Musik zu Rilke-Gedichten, gesprochen von mehr oder weniger gut vortragenden, aber immer bekannten Schauspielern. Und schließlich: Die Musiker der Konzeptgruppe LEBENdigital kombinierten ihre grooves mit Originallesungen des Dichters Jörg Fauser.
Neu ist es also nicht, was der syrisch-deutsche Schriftsteller Rafik Schami und der Jazz-Schlagzeuger Günter "Baby" Sommer auf dem Hörbuch "Abbara" - aufgenommen in einem Studio - präsentieren. Aber was heißt schon neu. Viel interessanter ist, dass das "Abbara"-Projekt, das bei Erfolg - wie der Verlag andeutet - eine Reihe von Hörbüchern mit solchen Begegnungen einleiten könnte, dass dieses Hörbuch eine - ursprünglich radiophone - Hörkunst belebt. Und da der Hörbuchmarkt inzwischen in Mainstream eines Wustes von Lesungen, Lesungen,
und noch mal Lesungen verödet, kann man bei solch einem Projekt wie "Abbara" gleich im Vorwege mal Beifall klatschen.
Jazzorientiertes Schlagzeug trifft auf orientalisch geprägte Erzähltradition. In Rafik Schamis Literatur und seinem Vortrag lebt die orale Tradition des arabischen Geschichtenerzählens fort. Rafik Schami erzählt, "Wie das Echo auf die Erde kam". Solch ein Echo?

"In früheren Zeiten, noch lange ehe der Mensch die Erde betrat, lebte ein Dämon, der mit seiner Frau in den tiefen Höhlen und Schluchten umherzog. Dieser Dämon war unter seinesgleichen dafür berühmt, dass er nicht zuhören konnte. Am Schlimmsten aber litt seine Frau darunter. Denn er hatte die Gewohnheit, nicht nur auf sie nicht zu hören, sondern alles, was sie erzählte, für dumm zu erklären. In allem widersprach er und nichts, was sie ihm aus ihrem Herzen erzählte, hörte er."

East meets west; Orient Okzident. Schami Sommer. Der Free Jazzer spielte schon zu DDR-Zeiten - geboren ist Günter "Baby" Sommer in Dresden - mit Christa Wolf und Christoph Hein zusammen. Er gestaltete, begleitete, unterlegte oder gab mit seinem Rhythmus des Schlagzeugs dem des Textes einen zusätzlichen, fremden oder vertrauten Klang - wie jetzt den Erzählungen von Rafik Schami.

"Seitdem wiederholt Echo, so hieß der Dämon, jeden Ruf und jeden Satz der Menschen, Dämonen oder Tiere in den Schluchten, Höhlen und Abgründen. Er überhört nicht einmal das Geräusch eines rollenden Kieselsteins."

Solch eines Kieselsteins?!
Zwei Künste treffen aufeinander in "Abbara"; es begegnen sich zwei Erzähler.
Zwei subjektive Rhythmen, die sich angleichen, in diesem Hörbuch einander suchen, um weg zu gehen und wieder zu kommen. Wohl wissen beide - der Schriftsteller wie der Schlagzeuger -, dass sie gut ohne einander existieren würden. Aber sind das nicht die besten Begegnungen in Beziehungen, wo eben jeder auch ohne den anderen gut könnte und das Gemeinsame eben genau für diesen Moment des Dialogs zur Bereicherung wird?
Als vor vielen Jahren die Altvorderen dieser Synthese, Michael Naura, Wolfgang Schlüter und der Lyriker Peter Rühmkorf, gemeinsam loslegten mit Jazz & Lyrik, kommentierte dies eine Zeitung mit der Schlagzeile: "Musik stört Dichterlösung". Rafik Schami und Günter "Baby" Sommer kann man bei "Abbara" nur kritikerarrogant bescheinigen: "Musik befördert Dichterlesung" oder das Ganze umdrehen und sagen: "Dichterlesung befördert Musik". Immerhin geht es um einen gelungenen (!) Dialog.
Hartmut Tegeler, Deutschlandradio Kultur, 15.08.2008

Direkter Link zum Bericht im Deutschlandradio

 

 

 

 


Rafik Schami erzählt und Günther Baby Sommer trommelt

Zwei Klangmaler im Dialog

Der Dichter Rafik Schami erschafft im intensiven Dialog mit dem Jazz-Schlagzeuger Günther Baby Sommer eine poetische Welt voll von Klang und Melancholie.

Der musikalische Dialog ist eines der spannendsten Genres des Jazz. Zwei – im besten Falle gleichberechtigte – Partner treten in ein intensives Zwiegespräch, schmeißen sich gegenseitig die Bälle zu, improvisieren gemeinsam und dringen zum Kern der Musik vor: zuhören und gehört werden. Oftmals jedoch bezieht eine Duoaufnahme ihren Reiz gerade aus dem Fehlschlagen dieses kanonisierten Regelwerks. Die Beteiligten hören eben nicht aufeinander, sie schmeißen sich die Bälle lediglich zu, um ihren nächsten persönlichen Höhepunkt zu planen, sie spielen gegen- und nicht miteinander.
Beide Konzepte haben ohne Zweifel ihren Reiz. Während übertriebene Harmonieseligkeit viele Duovariationen oft zur zahnlosen Hausmusik verkommen lässt, verspricht der Kampf zweier Musiker zumindest Spannung – auch wenn er oftmals im heillosen Durcheinander endet. Irgendwo im Zwischenraum von Harmonie und Differenz muss sich ein gelungener Dialog bewegen; er muss Unterschiede zulassen und trotzdem Gemeinsamkeiten betonen.
Das Zusammentreffen eines Dichters mit einem Jazz-Schlagwerker kann im Idealfall ebenfalls jenen Regeln folgen. Der Wort- und der Trommelkünstler hören aufeinander, ergänzen sich behutsam und entwickeln im Dialog jeweils ihre eigene persönliche Sprache weiter. Dies hätte dann auch nichts mit dem leicht bräsigen bildungsbürgerlichen Hintereinander von Text und Musik zu tun, das man auf Lesungen leider viel zu oft zu hören bekommt.
Gottlob ist „Abbara“ das genaue Gegenteil einer derartigen Veranstaltung: Keinem der beiden Protagonisten liegt an einer bloßen Einzelrepräsentation, sie agieren als dichterisch-musikalisches Duo, das zusammen einen neuen, klingenden Sinn erschafft.

Der schwermütig-poetische Schami-Ton
„Abbara“ nennt sich jene Gasse im christlichen Viertel von Damaskus, in der Rafik Schami aufwuchs. In ihr lebten Araber, Armenier, Turkmenen, Kurden, Palästinenser, Aramäer und andere Volksgruppen friedlich nebeneinander. Dieser Titel ist durchaus programmatisch zu verstehen. Der syrisch-deutsche Schriftsteller Rafik Schami erinnert sich an sein Damaskus; er verwebt orientalische Weisen mit einer seltsam gebrochenen westlichen Distanz. Dies führt zu jenem unverwechselbaren, schwermütig-poetischen Schami-Ton, der sein literarisches Schaffen von Anfang an wie ein roter Faden durchzieht. Selbst seine Kinderbücher, die im Übrigen immer schon Bücher für jedermann waren, sind von dieser tiefen Melancholie geprägt – Schami ist der Erzähler einer farbenfrohen und friedlichen, einer längst untergegangenen Welt.
Diese Welt spiegelt auch der poetische Essay „Damaskus“, der diese CD folgerichtig eröffnet, wider. Der Hörer muss sich allerdings erst an den spezifischen Gestus dieser Einspielung gewöhnen: Schami deklamiert nicht gerade langsam; geradezu enervierend klingen seine melancholischen Kleinode hier. Sommer treibt Schami zusätzlich mit hektisch-diffizilen Beats voran. So ist Schamis Damaskus-Loblied eben auch eine Klangmalerei, die das hektische Treiben der Stadt im musikalischen Dialog einfängt. Schlagwerk und Stimme ergänzen sich, lassen aber stets genug Raum für den Dialogpartner.

Es sind noch einige Geschichten zu erzählen
Schami und Sommer haben sich viel zu erzählen: Märchenhaft-Archaisches („Wie das Echo auf die Erde kam“), verträumt-melancholische Idyllen („Das Gedächtnis der Hühner“) und leider auch Heutiges („Der Gottesstaat“). Vollends zur Musik wird „Abbara“, wenn Schamis Vortragssprache auf Arabisch wechselt und die meisten seiner deutschen Hörer nur noch den Klang und nicht mehr den Sinn der Worte verstehen dürften. Doch gerade hier erwächst ein ungemein starkes Band zwischen Percussion und Wort; hier spürt man, dass man es tatsächlich im wahrsten Sinne des Wortes mit zwei Klangartisten zu tun hat.
Leider hält die CD nicht durchgehend das hohe Niveau dieser Stücke. Dafür sind die Texte nicht homogen genug, dafür kommt einem manches doch zu sehr als Füllmaterial vor. Was beispielsweise die E-Literatur-Satire „Der E-Furz“ in dieser Sammlung zu suchen hat, weiß wohl nur Rafik Schami selbst. Alles in allem bleibt „Abbara“ jedoch eine gelungene Duoaufnahme, die zwei Großmeister ihres Faches im fruchtbaren Dialog zeigt. Auch das Klangbild genügt höchsten audiophilen Ansprüchen. Sommers vielfältiges – oft auch melodieführendes – Schlagwerk erklingt ungemein transparent und akzentuiert. Man darf auf weitere Gemeinschaftsarbeiten von Schami und Sommer hoffen. Sie haben sich sicherlich noch nicht alles gesagt.
Sebastian Karnatz, Titel Magazin, Deutschland, 11. September 2008

 

 

 

 

Wolf Kampmann, Jazzthing, Deutschland, September/Oktober 2008

 

 

Christian Rentsch, Jazz'n'more, Zürich, September 2008

 

 

Frank von Niederhäusern, Radiomagazin, Zürich, 39/2008

 

Manfred Papst, NZZ am Sonntag, 28. September 2008

 

 

RAFIK SCHAMI, der vor allem für Die dunkle Seite der Liebe (2004) geschätzte deutschsprachiger Bestsellerautor, erzählt auf ABBARA (Intakt CD 140) 9 Geschichten, GÜNTER BABY SOMMER paraphrasiert sie 'mit anderen Worten‘, spinnt sie lautmalerisch aus. Mit seinen klingenden Händen, die über Trommeln, Paulen, Becken, Gong gestikulieren, bringt er Fell, Metall und Holz zum Reden. Eine Partnerschaft, so alt wie das Erzählen selbst. Unterwegs zwischen Damaskus und Dresden - Abbara heißt auf Arabisch Passage oder Fähre, aber auch eine Gasse in Damaskus - erzählt Schami, der in dieser Gasse als Kind Murmeln spielte, während die Touristen an ihm vorbei spazierten, zuerst natürlich von seinem 'Damaskus‘, dann davon 'Wie das Echo auf die Erde kam‘, eine Fabel, in der statt einer Nymphe ein zum Widerhall verpflichteter Dämon die Titelrolle spielt. 'Die Palme‘ ist ein Lob der Dattel - als Gott sich in der Lehmmenge für Adam verschätzte, formte er aus dem Überschuss die Palme, Adams 'Schwester‘, den arabischen Weltenbaum. Auf Arabisch folgt die Satire, dass ein Geburtsdatum in Syrien Verhandlungssache sein kann. 'I.N.R.I.‘ entschlüsselt in einem islamisch-christlichen Religionsdialog dieses Akronym als verschwörerische Geheimbotschaft à la Dan Brown. In 'Der Gottesstaat‘ diskutiert Legenden über die Assassinen, die Wirkung von Haschisch und 'Sendungsbewusstsein‘ als grösster Droge: Wehe, wenn man nicht in den neuen 'Gottesstaat‘ passt. In der Parabel 'Der Wald und das Streichholz‘ lassen sich rivalisierende Pinien und Olivenbäume vom Streichholz so lange aufhetzen, bis ein Feuer beide verbrennt. Mit 'Der E-Furz‘ veräppelt Schami Kollegen, die vor lauter deutschem Bierernst keinen Furz taugen. Und schließlich erfährt man noch, wie das kurze 'Gedächtnis der Hühner‘ die Geschäftsbeziehungen zwischen Mensch und Huhn vereinfacht. Mir kommt Schami manchmal wie die Zweitbesetzung von Kischon vor. Vielleicht sollte man mich nicht als 'Kind jeden Alters‘ ansprechen.
Rigobert Dittmann, Bad Alchemy, Oktober 2008

 

Frank von Niederhäusern, zuritipp, Tages-Anzeiger, 2. Oktober 2008

 

Reiner Kobe, Jazzpodium, Deutschland, November 2008

 

 

Bei einem Zürcher Jazzfestival fand sich 2006 diese Geistesverwandschaft: der deutsch-syrische Autor und der Dresdner Drummer sind beide begnadete, leidenschaftliche und humorvolle Erzähler. Die 9 Stücke sind fabulös und können hier nur in Beispielen anempfohlen werden: in "Der Gottesstaat" wacht ein Selbstmordattentäter schwer verletzt im Krankenhaus auf und wähnt sich angesichts der weiß gekleideten Krankenschwestern im Paradies. Im "E-Furz" macht sich Schami über die E-Kultur und -Literatur her, dass es eine Furzfreude ist. Bei all der Textfreude sollte man jedoch die kongeniale Spielfreude des großen Riesenbabys nicht überhören: so ein Traumteam aus Ton und Wort hat sich lange nicht mehr eingefunden.
Music Made My Day by Honker, Terz, Stattzeitung für Politik und Kultur, Düsseldorf, 3.1.09

 

M. Scheiner, Passauer Neue Presse, Deutschland, 31. März 2009

 

Michael Scheiner, Jazzzeitung, Regensburg, Nr. 5-2009


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