INTAKT RECORDS – CD-REVIEWS

HANS HASSLER. Sehr Schnee - sehr Wald, sehr
Intakt CD 147

Pirmin Possart, Kulturmagazin, Luzern, 2008

 


«Ich lasse mich lieber holen»

Hans Hassler Der Volksmusiker, Virtuose, Grenzgänger, Kauz und Freigeist aus dem Kanton Zug hat seine erste Solo-CD veröffentlicht. «sehr schnee sehr wald sehr» ist die Essenz einer jahrzehntelangen Auseinandersetzung des Handorgelzauberers mit seinem Instrument.

Hans Hassler, der heute in Hagendorn im Kanton Zug lebt, wurde 1945 geboren und ist in Chur in einer traditionellen Volksmusikerfamilie in Arbeiterverhältnissen aufgewachsen. Sein Vater arbeitete als Fahrer und spielte Kontrabass in einer Ländlerkapelle, der Onkel -Handorgel.
Mit sieben bekam der kleine Hans sein erstes Akkordeon und schloss sich mangels Spielmöglichkeiten dem Orches-ter eines Musikhauses an. Ein Chauffeurkollege des Vaters gab ihm Stunden, danach brachte er sich durch Teilnahmen an Wettbewerben weiter. Dazu kamen Jamsessions mit den zahlreichen Orchestern, die damals noch traditionell in den Wirtshäusern auftraten. «Der Club in Chur war damals wahrscheinlich der einzige Ort, wo es das Ziel der Junioren war, bei den Senioren mitzumachen. Bei den Wettspielen habe ich eigentlich irgendwie immer gewonnen», sagt Hassler heute.

Mit dem Daumen spielen
Eines Tages im Jahr 1956 führte der Vater den damaligen Akkordeon-Weltmeister Kurt Heusser ins Hinterzimmer, wo sich der elfjährige Hassler nach einem Auftritt erholte. Heusser war sehr angetan vom Spiel des Jungen und lud ihn in den Sommerferien nach St. Gallen ein, brachte ihm die Klassik nahe. Damals gab es noch nicht viel Originalliteratur für Akkordeon, und das Instrument wurde über die Volksmusik hinaus nicht beachtet. Er und seine zwei Brüder tourten als Hassler Buebe durch die Ländler-szene. «Für die Volksmelodien brauchte ich keine Noten, ich habe es gehört und bin sofort eingestiegen. Im Radio liefen damals nur Ländler und Schlager, das andere gabs nicht.»
In den späten fünfziger Jahren hörte Hassler im Radio Ländlerkoryphäen wie den erst im Februar 2008 verstorbenen Klarinettisten Edi Bär oder auch den Klarinettisten und Akkordeonstimmer Jost Ribary, der damals jeden Abend im Res-taurant Konkordia im Zürcher Niederdorf spielte. «Und es gab den -Akkordeon--weltmeister Bobby Zaugg. Mein Vater hat Anfang der sechziger Jahre einen Besuch arrangiert. Von Bobby hatte ich ein Stück aus dem Radio aufgenommen und mir selbst beigebracht. Zu Hause haben mein Bruder und ich ihm vorgespielt, und er hat gesagt: Ohne Daumen geht es nicht. Seither habe ich immer auch mit dem Daumen gespielt.»
Das Akkordeon gefiel Hassler, aber er spürte ebenso früh seine Limiten. Mit fünfzehn hat sich das Instrument für ihn erschöpft. Er begann in der Knabenmusik Klarinette zu spielen. In der Mittelschule kam er in Kontakt mit Dixieland, später mit der Klassik: Strawinsky und dann vor allem Bach. Die barocke Fülle und vor allem die Chöre haben ihn sehr beeindruckt, es war ein Einstieg in eine andere musikalische Form. Um 1968 spielte er bei einem Wettbewerb Bachs G-Dur-Toccata. «Es klang überraschend, wenn man vom ‹Schneewalzer› herkommt.» Wichtig wurde ein weiterer musikalischer Lehrer: Hugo Noth, der zu der Zeit im süddeutschen Trossingen Professor für Akkordeon war. «Noth hat in einer Richtung weitergemacht, zu der ich später gekommen bin. Er steht für die Schule, die die Klassik transformiert.»
1964 wollte er eigentlich Elektroingenieur werden, doch es missfielen ihm die rigide festgelegten Arbeitszeiten. «Technik interessierte mich schon sehr, Musik auch: also Tonmeister.» Es gab die Schulen in Basel sowie in Zürich, wo ihm Tonmeister Klaus Koenig klarmachte: Wenn du wirklich gut sein willst, musst du nach Detmold. Also meldete sich Hassler im Westfälischen an. Für die Tonmeisterei lernte er Klavier spielen. «Die Prüfung war im Oktober, es war April. Zwei Wochen vor der Prüfung habe ich noch gelernt, eine Melodie zu harmonisieren. Sie sagten mir, wenn ich das schaffte, sei ich ein Genie. Die Prüfung bestand ich. Es war Wahnsinn, wie ich mir das Instrument reinklopfte.»
Ab 1966 studierte Hassler dann in Zürich vier Semester Musikwissenschaften und Anglistik. «Ich bin von Chur gekommen, und an der Uni haben sie Absenzenkontrolle geführt … bis 15 Uhr, und ab da konnte man dann ins Kino oder sonst wohin gehen. Ich brauchte damals auch diese Freiheit.»
Unterhaltungsmusik hat er zu der Zeit gemacht, um Geld zu verdienen. So tourte er 1966 bis 1968 mit dem jodelnden Schlagersänger Peter Hinnen und dessen Hit «7000 Rinder» durch alle möglichen Alp-festhütten. «Aber die klassische Musik wurde wichtiger. Ich hab in der Zeit das Akkordeon ein bisschen zur Seite gelegt und 1969 an der Musikakademie Zürich auch noch mit dem Klarinettenstudium begonnen. Mein Lehrer war von meinem Akkordeonspiel so beeindruckt, dass er mir riet, das Instrument auf keinen Fall aufzugeben. Improvisieren konnte ich eigentlich schon immer.»
Abgesehen von Dixieland war Jazz zu der Zeit kein Thema für Hassler. «1972 kam ich wieder in die Zuger Gegend und spielte mit einer sehr guten Dixieband. Da konnte ich mitspielen, ohne ständig auf den Solisten achten zu müssen.» Später folgten Jazz-Aha-Erlebnisse aus dem Radiolautsprecher: «Gerry Mulligan and his Concert Jazz Band ‹My funny Valentine›. So bin ich vom Dixieland weggekommen.» Mitte der siebziger Jahre waren Bebop und Hardbop und erst recht Freejazz immer noch weisse Flecken auf seiner Landkarte. «Dafür hörte ich die alten Helden wie King Oliver, und die bewundere ich bis heute.»

Ein Meteoriteneinschlag
Ab 1974 ging es mit dem Schanfigger Ländlerquintett sogar wieder konsequent in Richtung Bündner Volksmusik. Hassler machte die Diplome für Schulmusik und fing früh an zu lehren. Eigentlich zu viel, meint er heute.
Anfang der Achtziger gab es einen Meteoriteneinschlag. «Ich hörte im Radio Mogens Ellegaard. Und deshalb bin ich jetzt hier.» Der dänische Komponist hatte mit seiner Frau Marta Bene gespielt und damit Hassler eine völlig neue Welt eröffnet, seine Musik warf ihn «total um». «So etwas hatte ich nie zuvor gehört. Sechzehntel auf dem -Akkordeon, Tongebung, Dynamik, alles, was für Musik wirklich eine Rolle spielt, alles, was bei anderen Instrumenten so selbstverständlich ist, hatte Ellegaard für das Akkordeon ‹gestaltet›. Er spielte virtuos, extrem expressiv und frei. Er ist zu vielen Komponisten gegangen und hat ihnen das Instrument erklärt, sodass sie Stücke dafür schrieben, und hat es auch in einer Fabrik in Italien technisch weiterentwickelt. Seine Rolle kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.»
Hassler fasste sich ein Herz und rief Ellegaard in Kopenhagen an. Er wurde von ihm nach Südschweden eingeladen. «Er zeigte mir Instrumente und Literatur, die über die Transkriptionen hinausging.» Das bedeutete? «Die traditionellen Akkordeonisten sagen, das freie Spiel sei doch kein Akkordeonspiel mehr. Es gab - und gibt immer noch - diese zwei Religionen beim Instrument. Mogens half mir, das Akkordeon als vollwertiges Instrument zu begreifen.»
Das Akkordeon ist als ein mobiles Instrument im Industriezeitalter erfunden worden, um das Orchester wegrationalisieren zu können. Die Ländlerkapellen wurden aus den Tanzsälen gefegt, und es gab noch einen Musiker, der alles Vorherige an Dynamik und Ausdruck ersetzen musste. Hassler befand sich damals immer noch zwischen den beiden «Religionen»: hier die Hugo-Noth-Schule mit ihren klassischen Transkriptionen, im Frack und mit der Gestik der Klassik auftretend, dort die LändlerspielerInnen, die das Instrument unprätentiös begreifen und so neue Techniken und Möglichkeiten anpeilten.
Durch das von Ellegaard mitentwickelte Konverter-, Manual-3- oder auch Einzelton-Akkordeon mit seinem mehrere Oktaven umfassenden Einzeltonmanual auf der Bassseite erfuhr er ganz neue ausdruckstechnische Möglichkeiten, die ihn immer mehr zum «Prinzip Freiheit» führten. Ellegaard half bei der Standortbestimmung, war strikt gegen das Spielen von Transkriptionen und wollte das Akkordeon als Volksinstrument begreifen, erneuern und konsequent neue Musik spielen. Hassler wurde Schüler des Dänen, merkte jedoch bald, dass das Spektrum des Instruments doch begrenzt ist. «Es ist eben nicht dasselbe, wenn ein Klavier ein dreigestrichenes ‹C› spielt, es ist nicht derselbe Ton! Das Hohe, diese Brillanz, das kriegt man nicht hin!»
Hassler hatte mittlerweile bei anderen Freigeistern angedockt: «Damals mit dem Habarigani-Projekt spürte ich, dass wir etwas anders spielen mussten. Für mich hiess das, in eine Richtung mit dem Akkordeon spielen, wo man nie denkt: Das müsste jetzt ein Klavier sein.» Die Aufnahme von 1987, auf der Hassler auch Klarinette und Bassklarinette spielte, hat er erst kürzlich wiederentdeckt.
Es war ein von Hans Kennel initiiertes Projekt - mit Kennel als mäanderndem Trompeter, Flügelhornist und Jodler, mit dem Posaunisten Roland Dahinden als Spezialist für weite, dichte und manchmal magische Stimmungen, mit Thomas Eckerts erdigem wie atmosphärischem Klarinettenspiel sowie mit Hassler, der mit der Komposition «Ballade pour Brillantine» Slavko Avsenik, Dave Brubeck, Franz Lehar und Volksmusik als Spiegelung integriert. Mit der ersten CD des Projekts Habarigani verschaffte sich Hassler beim Jazzpublikum Gehör. Man improvisierte sehr viel, spielte Thelonious Monks «Epistrophy», ohne vor Ehrfurcht zu erblassen, und schuf insgesamt eine frühe Referenz zur Volksmusik, ohne in deren Gestus oder gar Klischees zu verfallen.

Der begnadete Freispieler
Ab den achtziger Jahren war Hassler vermehrt in der Improszene anzutreffen, doch es gab keine konstante Besetzung. «Ich bin nicht so der Macher», sagt er gelassen, «ich lasse mich holen.» 1986 tat dies Mathias Rüegg, und er spielte über ein Jahr im Vienna Art Orchestra. 1990 gab es eine Fortsetzung von Habarigani, 1996 eine sehr schön bewegte und rhythmisch dichte Platte im Quintett unter der Federführung des Tessiner Perkussio-nisten Ivano Torre. Marco Käppeli holte ihn in seine Selection, 2000 partizipierte er in Gebhard Ullmanns Tà Lam in Vancouver, und es gab Begegnungen mit ähnlich frei gesinnten Musikern wie Koch-Schütz-Studer. Hassler war endgültig in der freien Jazz- und Improszene angekommen. Ein Jahr später dann die Teilnahme in Peter Liechtis Doku-Roadmovie «Namibia Crossings» über das Scheitern des multikulturellen Musikensemble Hambana Sound Company, wodurch Hassler für viele Interessierte zum ersten Mal ausserhalb der Landesgrenzen als begnadeter Freispieler sicht- und hörbar wurde.
1988 gab er im Zürcher Volkshaus auf dem Jazzfestival sein erstes Solokonzert und beeindruckte Publikum und Kritiker-Innen gleichermassen. «Mein Vorgänger war ein Akkordeonist aus Frankreich: glatt und ödig.» Hassler hingegen spielte dreissig Minuten und machte danach einen Handstand. Seither ist er ein Garant für musikalische Überraschungen und Transformationen.
«In der guten Tradition fühle ich mich wohl: Es gibt gute Volksmusik, und die spiele ich sehr gern. Ich mache mich nie darüber lustig, verforme zwar, aber respektiere sie und sehe Verbindungen, die nicht für alle sichtbar sind. Volksmusik ist im Moment ziemlich in. Man entdeckt die alte Musik wieder und macht eine Art World Music daraus. Schwyzerörgeli wird da von einem Studenten gespielt, der komponiert und findet, die Volksmusik muss sich entwickeln. Und das finde ich eben nicht. Die Kühe, die machen Muh, und die fragen sich nicht plötzlich, ‹Du, müssen wir eigentlich immer nur Muh machen?› Es gibt so viel neue Akkordeonmusik, neue Ländlermusik, hervorragend gespielt, sehr virtuos, aber es -reisst mich nicht vom Hocker. Volksmusik-elemente kommen bei mir vor, aber ich möchte nicht darauf reduziert werden.»
Erstaunlicherweise gab es von Hassler noch nie eine CD, die sein Solospiel dokumentiert. Intakt-Records hat soeben mit «sehr schnee sehr wald sehr» vierzehn Stücke veröffentlicht, die aus dem Moment heraus entstanden. Das konnte er schon immer. Es ist seine Wesensart, dass ihm im Augenblick Sachen auf- und einfallen. «Ich reagiere auf sprachliche Dinge. In der Bäckerei sagt die Frau an der Theke: ‹Danke, Herr Hüssler!›, und danach kommt halt Herr Hassler. Oder im Radio heisst es ‹Stau zwischen Au und Widnau›, da sehe ich sofort Verbindungen und Assoziationen, genauso wie beim Schnee Wald Sehr. Oft gehe ich auf die Bühne, und die Situation ist eben so, wie sie ist, und daraus entsteht dann alles, das sind wirkliche Glücksmomente.»

Marcus Maida, Die Wochenzeitung; 22.05.2008

 

 


Wenn der Ländler aus den Fugen gerät

Er kommt aus der Volksmusik und kennt die Avantgarde. Der Akkordeonist Hans Hassler stellt am Zürcher Taktlos-Festival seine erste Solo-CD vor.

Das Volk sei nicht tümlich, hat Bert Brecht gesagt. Mit Verlaub, er hat sich geirrt. Und wer eine Stubete mag, begeistert sich in aller Regel kaum für zeitgenössische E-Komponisten. Und umgekehrt. Ein unüberwindbarer Graben? Nein. Hans Hasslers neue CD «Sehr Schnee, sehr Wald, sehr» jedenfalls hat das Zeug zur grossen Versöhnungstat.
Der 1945 in Graubünden geborene Akkordeonist, heute in Hagendorn im Kanton Zug daheim, kommt aus der Volksmusik. Er trat mit seinen Brüdern schon in jungen Jahren als die Hasslerbuben auf und war bald eine Berühmtheit.
Seiner Jugend begegnet man auf Hasslers erstem Soloalbum nun wieder, ein Stück weit wenigstens. Ländlerartig und fröhlich hüpfen die Töne im Titelstück; doch nicht für lange. Perspektiven geraten durcheinander, man hört scheinbar alles gleichzeitig. Der Ländler wird kubistisch. Verblüffend. Nein, Hassler ist längst nicht mehr der Ländlerbube: In den Achtzigerjahren spielte er immer mehr Jazz und freie Improvisation, er war Mitglied des Vienna Art Orchestra, und da leuchtet es ein, dass er heute auch ein Stück wie Johann Strauss' «An der schönen blauen Donau» nicht nach dem Lehrbuch interpretiert. Das Stück des Walzerkönigs heisst auf der CD sowieso anders, nämlich «Schwups – Das ziemlich traurige Ende des letzten Cervelats».
Hassler dehnt den Klassiker des Dreivierteltakts. Lässt ihn holpern, betrachtet ihn im Zerrspiegel, zerlegt ihn in die heftigsten Dissonanzen. Als sei nicht die Donau blau, sondern der Akkordeonspieler.
Ja, dieser Musik wohnt ein ausgeprägter Spieltrieb inne. Schon die Titel der fünfzehn Stücke verweisen darauf («Lieber zu spät – als gar nie zu früh», «Wurscht, very dudel» etwa). Falsch wäre es aber, sie als Humoresken abzutun. Der Spieltrieb äussert sich vielmehr in der Freiheit des Blicks, der Unbefangenheit gegenüber dem Klangmaterial, der Lust an überraschenden Konstellationen. Hassler ist so etwas wie ein Einstein des Akkordeons, der plebejisch die Zunge rausstreckt, zugleich aber hochkomplexe Formeln entwickelt. Sein Album pendelt problemlos zwischen dem Unverblümten und dem Raffinierten.
Genauso wie Hassler eine Abendgesellschaft volkstümlich unterhalten kann, verfügt er auch souverän über die Klangsprachen der zeitgenössischen E-Musik. Sein Bart und sein langer Zopf, die ihn wie einen Bergler aussehen lassen, wirken wie eine Maskerade – eine Maskerade, die ein Avantgardisten-Hirn kaschiert.
Das Akkordeon hat bei Hans Hassler alle Beschränkungen überwunden. Seine Musik setzt da ein, wo andere sie fertig gedacht glaubten. So nuanciert und zugleich verwegen spielt er sein Instrument, dass man es als Konzertinstrument jenseits aller Behäbigkeit erlebt. In «Dino auf Hawaii» sucht er extreme Klanglagen, grollende, tiefe Töne. «SMS (SaveMySolos)» dagegen ist höchst virtuos. Der kürzlich verstorbene Györgi Ligeti hat ähnlich verrückte Dinge komponiert; aber bei ihm war es ein mechanisches Player Piano, das die fast undenkbar schnellen Tongirlanden exekutierte. Hassler macht es selber.
Christoph Merki, Tages-Anzeiger, 28. Mai 2008

 

 

CD-Tipp von Beat Blaser, DRS2, 30.5.2008

 

 

Perhaps in an effort to avoid confusion with the 16th century German composer/organist who shares his name, the Hassler under scrutiny herein attaches his instrument as an instructive postscript. Common ground still exists in the occasional pipe organ parallels of his sound and the Baroque patina that tints some of his compositions. Hassler’s bushy facial foliage and ruddy features also work as handy hints to his solo accordion approach. There’s high drama in his musical musings, as on the tellingly-titled “Akkordplosion”, but cheap bombast never factors in. Call and response colloquies and a full array of split tones and effects thread through his improvisations. The percussive rattle of buttons, bellows-born drones and self contained counterpoint, even Hassler’s raspy voice, itself imbued with an endearing Joe Maneri-like quality- all are employed in the service of erecting an immersive musical environment that effectively shuts out distractions. The understanding that at no point is Hassler taking himself too seriously aids in this regard. The music, though highly personalized, also serves as a means of audience identification and stress release.
Tracks tick by in steady procession, many of them merging together to create a medley-like structure to the set. They range from interstitial snippets to the extended title suite which occupies over a quarter of an hour. Tango and other melodic and rhythmic fragments regularly roll by. Polka is fair game too, along with revolving mutations of other folk forms that bubble up and recede amidst more texture-oriented stretches. Hassler manages to braid everything together into a convincing whole, encircling a spectrum that runs from beer hall to recital hall. He proves that two need not be all that removed and that the accordion is the ideal emissary between them. In the final sum, consideration of larger context seems largely incidental to Hassler’s world. Even so, the past couple years have been unusually generous in terms of solo accordion recitals with innovators like Guy Kluscevsek and Ute Völker embracing the format. Hassler’s entry certainly deserves consideration and inclusion within that esteemed congress.
Derek Taylor, Bagatellen, June 20, 2008

 

Sie denken, Sie wissen, wie eine Handorgel klingt? Dann kennen Sie Hans Hassler nicht! Hans Hassler erfindet das Akkordeon neu, jedes Mal, wenn er spielt. Hassler kommt aus der Bündner Volksmusik; in den 50er-Jahren spielte er mit seinen Brüdern als Hassler-Buaba, später hütete er mit Peter Hinnen 7000 Rinder. Jetzt, mit 63, gibt er die erste CD als Solist heraus. Hassler ist zwar ein Virtuose, aber kein Melomane. Seine Musik hat immer etwas Unfertiges, in seinem Kopf sind Klänge quer durch alle Genres abgespeichert, Substrat seiner Erfahrungen bei der Opera Factory, beim Vienna Art Orchestra, in tausend anderen Projekten. Und so kann er innerhalb einer Minute 250 Jahre Musikgeschichte aufblitzen lassen, Ländler, Bach, Jazz, neue E-Musik, Schlager – all das so raffiniert verwoben, dass daraus etwas Eigenes wird. Hans Hassler steht für musikalische Abenteuer der besonderen Art, waghalsige und schräge, und doch wundersam schöne!
Beat Blaser, Aargauer Zeitung, 10. Juni 2008

 

Fram for flenga!
Trekkspillet er blant de mest utskjelte instrumentene i jazzkretser. Hans Hassler er blant dem som kan gjøre noe med det.

Den 63 år gamle sveitseren Hans Hassler spiller trekkspill – eller flenge blant innvidde – på et vis som forteller oss at instrumentet absolutt har noen innen moderne kunstmusikk å gjøre. Her hjemme har jo Stian Carstensen og Frode Haltli gjort det samme og Hassler forteller oss at det er et lite, men svært så oppegående miljø der ute som åpner nye dører.
På mitt aller første møte med Hassler gir han oss godt og vel 70 minutter med musikk for trekkspill – eller akkordeon i finere lag – og mutters aleine greier han på alle slags vis å holde på oppmerksomheten min.
Hassler er en virtuos som har studert med Mogens Ellegaard, danskenes mester på akkordeon, som også blir hylla på cdens åpningsspor. På hjemmebane har Hassler hatt et stort navn i 30 år med musikk som har henta inspirasjon fra sveitsisk folkemusikk, jazz, filmmusikk, friimprovisasjon og moderne klassisk musikk.
Det er også i alle disse grenselandene vi får møte Hassler her. Med et helt eget tonespråk og masse humor tar han oss med inn i et landskap få har vært inne i tidligere og som det er spennende å være på besøk i.
Det sier seg nesten sjøl at musikk med solo trekkspill aldri vil bli noe for de store massene. De som derimot har ønske om å åpne opp sanseapparatet for noe ganske annerledes, vil finne mye å glede seg over hos Hans Hassler.
Tor Hammerø, Side2, Norway, June 10, 2008

 

Dominic Buchli, Bündner Tagblatt, 9. Juli 2008

 

Isabell Teuwsen, Schweizer Illustrierte, 14. Juli 2008

 

Frank von Niederhäusern, Radiomagazin, Schweiz, Juni 2008

 

 

Der Akkordeonist HANS HASSLER ist von den Bartfransen bis in die hintersten Winkel seiner Lachfältchen ein Original. Den 1945 geborenen Spross volksmusikalisch engagierter 'kleiner Leute‘ näher zu charakterisieren, fällt nicht leicht. Er hat Bündner Volksmusik gespielt, Schlager, Bach und Dixieland und wollte sogar weg vom Akkordeon, als ihm Anfang der 80er der dänische Virtuose Mogens Ellegaard die Ohren öffnete für ein avanciertes, nämlich freies Spielen. Wenn das Akkordeon nicht mehr volksmusikalisch eingebunden ist und auch nicht als Orchester-‘Ersatz‘ Transkriptionen dudelt, was ist es, was kann es dann? Als Antwort darauf huldigte Hassler zunehmend dem 'Prinzip Freiheit‘ mit Habarigani, M. Käppelis Selection oder G. Ullmans Tâ Lam. 2001 war er sogar beim im Sand verlaufenen Projekt Namibia Crossing dabei und sagt dort zwischen Eine-Welt-Idealismus, Frustration und Melancholie den schönen Satz:Vielleicht ist Wehmut das deutsche Wort für Blues. Mit 'Lieber zu spät - als gar nie zu früh‘ eröffnet er sein spätes Solodebut Sehr Schnee - Sehr Wald, Sehr (Intakt CD 147) in Erinnerung an Mogens Ellegaard. Hasslers näheste Geistesverwandten sind vielleicht Otto Lechner und sein Landsmann Rüdiger Carl im Verbund mit Sven-Åke Johansson, sein Horizont ist definitiv ein unbegrenzter, sein Stil ein totaler, seine Technik atemberaubend, sein Humor einigermaßen skurril. In 'Wald, sehr‘ steckt ein Walzer, sogar der 'Schneewalzer‘, aber ob Walzer, Tango ('für Majion-Fitzja‘), ('Luft‘)-Polka oder sein 3/4-Takt-Abgesang auf die Cervelat, Hassler verwurstet alles zu 'Wurscht, very dudel‘, selten in Zeitlupe wie der 'Zitlupa-Schpächt‘, meist als 'Akkordplosion‘, mitreißend, haarsträubend, stupend virtuos und dennoch so selbstverständlich, als wäre das und nur so und nur so sehr so - Volksmusik. Die 17 1/2-min. Tour de force seiner Schneewalzerverwurstung bläst, zerrt, staucht, wirbelt einen direkt auf sämtliche Akkordeongipfel, mit Fingern so quick wie die eines Scratchwizards, nur dass Hassler seine Samples aus dem Hirn und aus der Luft fingert. Wie das zerstotterte 'SoGeKü - UpMi!‘ 'lokale Musik‘ (im Geiste Walter Zimmermanns) ins 21. Jhdt. düsen lässt, das ist sagenhaft.
Rigobert Dittmann, Bad Alchemy, 59/2008

Martin Schuster, Concerto, Österreich, Aug-Sept 2008

 

Freistil, Österreich, August 2008

 

Reiner Kobe, Jazzpodium, Deutschland, September 2008

 

Wolf Kampmann, Jazzthing, Deutschland, September/Oktober 2008

 

Marcus Maida, Jazzthetik, Deutschland, September 2008

 

 

Reiner Kobe, Jazz'n'more, September 2008

 


Jazz
So schuf der liebe Gott die Welt
Aus seinem Akkordeon zaubert Hans Hassler alles, was das Instrument hergibt, und manchmal noch ein bisschen mehr.

Geht nun wirklich alles mit allem? Im Prinzip nicht, es sei denn, es handle sich um die Musik von Hans Hassler, 63, der aus seinem Akkordeon eine ganze Welt zaubert: unterschiedlichste Zeitzonen, die unwahrscheinlichsten Klimas (oder heisst es Klimata? Jedenfalls: klirrende sibirische Schneestürme, sengendste Sahara-Sanddünen, sattgrüne Alpen und Wiesengründe). Widersprüchlichste Gefühlslagen: spirrige dadaistische Humoresken, grummelnde Nachdenklichkeiten, sentimentale Anwehungen, aggressive Zornausbrüche und feingesponnene Poesien. Erleben wir dieses Trumm von einem bärtigen Mann hinter seinem Balg auf der Bühne, geraten wir leicht auf blasphemische Abwege: So irgendwie muss es gewesen sein, als der liebe Gott die Welt erschuf. Lauter Schöpfungsgeschichten, lauter Weltuntergänge. Wie im Stück «Schwups - Das ziemlich traurige Ende des letzten Cervelats»: «Dies ist die tragische Geschichte vom letzten Cervelat, der dem Domenic bei einem sommerlichen Grillieren in Tschlin (im Unterengadin gelegen) anlässlich einer kleinen Unachtsamkeit aus der Hand schlüpfte, den Berg hinunter bis in den Inn kollerte und weiter flussabwärts den Weg in die Donau fand und zu guter Letzt im schwärzesten aller Meere für alle Zeiten und für immer und ewiglich versank!» Voilà. Die Nummer dauert eine Minute und 27 Sekunden, eine Dekonstruktion von Straussens «schöner blauer Donau» inklusive.
Der Lauf von Hasslers musikalischer Biografie ist weniger gradlinig als des traurigen Cervelats Reise ans Ende der Welt (das die Römer am Schwarzen Meer vermuteten). Wir folgen dem Text von Pirmin Bossart im Booklet von Hasslers neuer CD mit dem schönen Titel «Sehr Schnee sehr Wald, sehr»: als Jugendlicher eine Art Kinderstar im Ländlertrio mit seinen Brüdern, den Hassler-Buoba. Von 1966 bis 1968 unterwegs mit dem Schlagersänger Peter Hinnen («7000 Rinder»). Studium an der Musikakademie Zürich (Klavier, Klarinette, Kontrabass). Dixielandmusiker. Mitglied des Schanfigger Ländlerquintetts. Studien beim Akkordeonisten Mogens Ellegaard in Kopenhagen. Mitglied von Hans Kennels Habarigani, der Marco Käppeli Selection, dem Vienna Art Orchestra. Theatermusiken, Tourneen mit der Sängerin La Lupa. Beschäftigung mit zeitgenössischer E-Musik.
All das gärt im Bauch dieses Akkordeons und tropft, sprudelt, quillt heraus, aber in einem neuen Aggregatszustand, in einem Ablauf von erschütternder Unvorhersehbarkeit. Das hat eine organische, leibliche, leibhaftige Qualität und ist weit entfernt von intellektueller Collagenschnipselei. Mag sein, dass er sich gelegentlich in Fitzeleien eines Spitzenklöpplers verliert, aber nur, um die Fallhöhe zum nächsten Ausbruch herzustellen. Hassler, der Vulkan. Seine Titel sind verspielt: «Lieber zu spät - als gar nie zu früh», «Akkordplosion», «SMS (Save My Solos)», «Wurscht, very dudel», «Dino auf Hawaii» (ein abgründiges Gegrummel in den Tiefenschichten der musikalischen Geologie), das Titelstück (ein über eine Viertelstunde langes Klangpoem), «Zitlupa-Schpächt». Das könnte zum Fehlschluss verleiten, hier handle es sich abermals um ein Beispiel des an der Schnittstelle zwischen Improvisation und «Volksmusik» ziemlich verbreiteten Sauglattismus. Irrtum. Wie Ernst Jandls Dichtung ist Hans Hasslers Tonkunst zwar ein Spiel, aber ein todernstes, und die Grenze zwischen Magie und Schaubudenzauber ist nie auszumachen.
In den rasendsten virtuosen Passagen lässt Hassler alles hinter sich, was ein Handorgelkonstrukteur in seinen schönsten Wunsch- und schlimmsten Alpträumen je gehört hat (da erschafft sich der liebe Gott auch gleich noch seinen Widerpart und Satansbraten).Hassler spielt hier keine Neue Volksmusik, keine New Musette, keinen Tango Nuevo (was alles zur Renaissance des Akkordeons beigetragen hat), er steigt tiefer hinab, höher hinauf, weiter hinaus, als alle konventionellen Vorstellungen von seinem Instrument gehen. Er will das Ganze, inklusive der Elemente, aus denen es besteht. Manchmal kommt er ihm sehr nahe.
Peter Rüedi, Die Weltwoche, 26, 2008

 

Contrairement à certains instruments insuffisamment présents dans le jazz (hautbois, vielle, flûte, violoncelle), on ne peut prétendre que l’accordéon n’y a pas sa place ; sans doute est-ce dû à l’originalité des couleurs apportées par le clavier à bretelles et la qualité des musiques qu’ils ont popularisées, à commencer par les valses musettes.
Si quelques musiciens font appel aux accordéonistes pour intensifier et élargir la palette sonore de leur orchestre, on aurait tort de ne leur affecter qu’un rôle d’accompagnateurs ou de coloristes. On ne peut leur attribuer de fonction unique, comme l’ont prouvé ceux qui ont su imposer leur instrument dans des contextes variés. Histoire de montrer que ce dernier peut aussi être soliste, Jean-Louis Matinier, David Venitucci, Pascal Contet, Luciano Biondini, Richard Galliano etc. se sont frottés au solo. Citons également Lionel Suarez, Frédéric Daverio, Alain Bruel, Jean-François Baëz, Vincent Peirani, autres figures marquantes, ainsi que le poly-instrumentiste Bernard Lubat, chacun sachant, à sa manière, développer son langage et sa vision personnelle de l’instrument. Il est donc clair aujourd’hui que dans le jazz l’accordéon ne saurait être qu’une extension du musette [1]. Car s’il s’inspire aussi des musiques traditionnelles ou du tango [2] ll est aussi présent dans l’univers infini des musiques improvisées, avec Didier Ithursarry, Pascal Contet, Otto Lechner... et le Suisse Hans Hassler.
Avec Sehr Schnee Sehr Wald Sehr, le Zürichois lance un nouveau défi en se livrant à l’exercice périlleux et aventureux du solo. Considéré comme le maître suisse de l’accordéon, son parcours en dit long sur la diversité de ses collaborations : folk, musiques de films, jazz [3], classique et bien sûr musiques improvisées, ce dont il est question ici. Ce disque se présente comme une succession de pièces alternées avec de courts intermèdes, ce qui donne l’impression d’une suite. Les thèmes longs [4] lui permettent de creuser la masse sonore de l’instrument dans sa globaité ; alors toutes les explorations deviennent possibles, et avec la plus grande attention. Le premier titre, qui introduit fidèlement la couleur d’ensemble, incite l’auditeur à se concentrer sur la suite. On devine que Hans Hassler écrit aussi pour le cinéma tant la charge affective est forte, même en l’absence des images. Il expose ce que l’instrument peu aussi être, en laissant de côté le registre des musiques traditionnelles [5], et sur « SoGeKü-UpMi ! », on identifie de loin la décomposition d’une valse qui aurait pu être « musette » si Hassler ne se l’était pas autant appropriée. Car, décomplexée, loin de tous souci de classification, la musique fait preuve ici d’une maturité et d’une liberté exemplaire. Une façon assez symbolique de concevoir la musique en solo.
Armel Bloch, Citizen Jazz, France, September 2008


[1] même si Marcel Azzola, Galliano ou René Sopa ont su le faire à merveille
[2] pour lequel certains préfèrent utiliser le bandonéon (petit frère de l’accordéon au son plus fin) comme Olivier Manoury, Michel Portal et le méritant Marc Perrone
[3] avec entre autre Marco Käppeli, le Vienna Art Orchestra ou Gebhard Ullmann
[4] maximum 17 mn
[5] même si quelques clins d’oeils sont présents avec les thèmes « Luft-Polka » ou « Tango für Majion-Fitzja »...

 

Der Schweizer Godfather des freien Akkordeons ist Hans Hassler. Der Moondog nicht unähnlich sehende Handorgel-Zauberer ist schon lange dabei. Sehr bodenständig, sehr unakademisch, sehr bewusst und avanciert geht Hassler seit jeher seinen Weg als Ziel. Die freie Improvisation fand ihn in den 80er Jahren, seitdem dockt er in verschiedenen Projekten - besonders erwähnenswert ist "Habarigani" - an, am originellsten indes ist der Virtuose solo. Auf dieser CD ist sein Solo-Spiel zum ersten Mal dokumentiert: 15 Stücke, die samt und sonders aus dem Moment heraus entstanden sind. Expect the Unexpected!
Made my Day by Honker, www.terz.org, Oktober 2008

 

15 titres improvisés en solitaire par un accordéoniste. Un pensum ? Au contraire : de la bonne musique traversée de parfums folk et qui donne toute sa mesure dans les pièces les plus longues. En tout état de cause un must pour les amateurs de l’instrument.
Philippe Elhem, FOCUS/VIF numéro 40, 3 octobre 2008, Belgium

 

Short Cuts, Jazzwise, Great Britain, October 2008

 

Lars Mossefinn, Jazznytt 57, Oslo,


To Intakt Website: home