INTAKT RECORDS – CD-REVIEWS


Barry Guy
London Jazz Composers Orchestra
Harmos. Live at Schaffhausen
Intakt DVD 151 / 2012

 

 

Ein schöneres Stück hätte BARRY GUY dem im Jahr zuvor verstorbenen Paul Rutherford, 1970 einer der Mitbegründer des LONDON JAZZ COMPOSERS ORCHESTRA, kaum wid men können, als das am 31. Mai 2008 beim Schaffhauser Jazzfestival wiederaufgeführte HARMOS (Intakt DVD 151). Jürg & Marianne Rufer konzentrieren sich bei ihrem Filmmitschnitt ganz ausschließlich auf die Aufführung dieser hymnischen Komposition, bei der die totale Hingabe dieses besonderen Orchesters deutlich wird. Die anderen Höhepunkte dieses Festivalabends, Guys neues Stück 'Radio Rondo' und Irene Schweizers 'Schaff hausen Concert', sind auf Intakt CD 158 (2009) zu hören. Auch HARMOS, 1987 entstanden, ist natürlich schon bekannt durch die Einspielung von 1989 (Intakt CD 013), und war zuletzt 1998 beim JazzFest Berlin aufgeführt worden. Um seinem Prachtstück gerecht zu werden, verfügt Guy aber erneut über ein Klangkollektiv, wie es hochkarätiger nicht sein könnte: Paul Lytton, Evan Parker, Howard Riley und Trevor Watts sind Männer der ersten LJCO-Stunde, Mats Gustaffsson, Simon Picard und Pete McPhail vervollständigen die Reedsection, Alan Tomlinson, Conny & Johannes Bauer geben gleich zu Anfang großen Posaunenalarm, Henry Lowther, Herb Robertson und Rich Laughlin lassen Trompeten erstrahlen, Per Åke Holmlander bläst Tuba, Phil Wachsmann spielt am anderen Ende des Klangspektrums Geige, Barre Phillips den zweiten Kontrabass, Lucas Niggli verdoppelt den Perkussionswirbel. Irrwitzige Deklarationen sind insofern nicht das Kunststück, das ist ja die natürliche Sprechweise dieser Instant Composers. Der Witz besteht darin, das Engagement all dieser Individualisten einzubetten und solidarisch mitzutragen, orchestral zu koordinieren, in den Dienst einer gemeinsamen Sache zu stellen.

HARMOS ist diese Sache, Guys Kunststück, das Harm in Harmonie verwandelt, Gram und Leid in Freude, Euphorie, Euphonie. Aus getragenem, versammeltem Duktus flackern einzelne Stimmen auf, spalten sich kleine Gemeinschaften ab, fordernd, turbulent diskutierend, Holmlander mit skurrilem Genuckel. Aber jede Stimme ist gefragt, wird gebraucht als Zündfunken, auf die schon der Zunder wartet. Dabei gehen von Guy unsichtbare Fäden aus. Was da er klingt, ist die Performanz einer Wunschvorstellung als Gesang, der im Wechselspiel von Komponiertem und Improvisiertem verlebendigt wird und, ohne das Zwitschern einer ein zelnen Geige zu unterdrücken, zu symphonischer Gestalt auswächst. Zu einem 'großen Gesang', wie Bert Noglik, 'an anthem to togetherness', wie Guy selbst es nennt. Zudem ist da eine mit der Zeit gewachsene Aura im Spiel, die von den 'Erzvätern' der Kapelle auf die Jüngeren ausstrahlt, von denen Einige über das Barry Guy New Orchestra bereits 'einge weiht' sind.

Das 'Geheimnis' von HARMOS ist jedoch paradox, nämlich ein so feuriges wie feierliches Bekenntnis zu - Melodie. Melodie ist an sich das Ägypten der Improvisation, das Goldene Kalb, nicht das Gelobte Land. Guy zelebriert eine Versöhnung von Freiheit und Melodie. Sein Ideal ist ein architektonisches, und HARMOS eine dynamische Kon struktion, die harmonische und vertikale Elemente in horizontale und flüchtige einzieht. Die melodischen Gebilde des Barock, bei Xenakis und Berio, fanden Eingang in Guys Revision von sowohl Third Stream als auch üblicher Big-Band-Arrangements. Ausgangs punkt und Energiequelle ist und bleibt bei ihm die individuelle, eigene Stimme, Gustafs sons Röhren, das Schnattern oder Schmettern einer Trompete. Ganz weg von der diszi plinargesellschaftlichen Gängelung klassischer Orchesterapparate und auch die (selbst)-kontrollgesellschaftlichen Zwänge entspan nend, praktiziert Guy mit dem LJCO die vorweggenommene Utopie eines Kollektivs, das ohne Hierarchie und Konkurrenzdruck von der Entfaltung ihrer Mitglieder belebt wird. Guy dirigiert auf Augenhöhe und liefert im wilden Trio mit Parker und Lytton auch selbst sein mitreißendes Bekenntnis zur Individualität. HARMOS und die Ver wandlung des LJCO in eine feuerzungige Banda sind sein schönstes Manifest, dem zurecht mit minutenlangen Ovationen gedankt wurde.
Rigobert Dittmann, Bad Alchemy, BA 72, 2012

 

 

Jedes Mal, wenn Musik- und Jazzfreunde den seit einigen Jahren in der Schweiz lebenden Kontrabassisten, Komponisten und Orchesterleiter Barry Guy live erleben, sind sie begeistert, ja hingerissen von seiner Vitalität, Musikalität und seinem Ideenreichtum. Er sprüht geradezu vor lauter kommunikativer Action. Besonders gut erinnere ich mich an den Abend im Stadttheater Schaffhausen, an dem Barry Guy im Rahmen des Schaffhauser Jazzfestival 2008 mit seinem London Jazz Composers Orchestra ein Konzert gab. Aufgeführt wurde Barry Guys Komposition "Harmos" und mitgewirkt haben viele Musiker, die schon bei den Aufnahmen von 1989 beim Zürcher Taktlos Festival dabei waren, einige spielten sogar bei der ersten Besetzung von 1970 mit. "Dies hat dem Orchester eine Stammlinie gegeben, eine Art roten Faden, und mir persönlich ein wohltuendes Gefühl von Unterstützung für eine Vision, die über die Jahre Bestand behalten hat, selbst, wenn sich die Methodik gewandelt hat", sagt Bary Guy zu diesen Aufnahmen und weiter: "Auch wenn die Jungs seit dem das eine oder andere graue Haar bekommen haben war die Kraft des Spieleinsatzes bei der Schaffhauser Aufführung von 'Harmos' ungebremst". Wenn man dieses Konzert miterlebt hat, kann man sich Barry Guys ungebremster Begeisterung nur anschliessen. Höchst eindrücklich die Wechselspiele zwischen Freiheit und Form, zwischen Soli, Kollektivimprovisationen und notierten Tuttipassen. Und immer wieder das expressive, hymnisch-melodische Themenmaterial, das in seinen Varianten das ganze Stück wie eine Art Atem prägt. Wie hochemotional und erfrischend diese Versammlung grösstenteils prominenter Spieler der europäischen und vor allem englischen Modern-Jazzszene agierte, angefeuert von ihrem Leader, kann man auf der bei diesem Anlass entstandenen, sehr gut aufgenommenen und geschnittenen DVD nachvollziehen. Barry Guy widmete diese Aufführung dem 2007 verstorbenen Posaunisten und Mitbegründer des LJCO Paul Rutherford. - Intakt Records und Barry Guy laden übrigens zu einer Filmvernissage ein: Sie findet statt am Samstag, den 31. März, 2012, 14 Uhr im Kino Xenix, Zürich. Vor der Filmvorführung spielt Barry Guy auf dem Bass ein Intro.
Johannes Anders, andersmusic.ch, Februar 2012

 

Alfred Wüger, Schaffhauser Nachrichten, 16. Februar 2012, Schweiz

 

Duncen Heining, Jazzwise, London, April 2012

 

Johannes Anders, Jazz n' More, März/April 2012, Schweiz

 

Thoman Hein, Concerto, April/Mai 2012, Österreich

 

Reiner Kobe, Jazzpodium, April 2012, Deutschland

 

Jan Granlie, jazznytt, nr. 2 / 2012, Norway

 

James Hale, Downbeat, June 2012, Great Britain

 

Ken Vos, Jazzism, Mei 2012, Nederlande

 


Beim Jazzfestival Schaffhausen 2008 widmeten Bassist Barry Guy und das London Jazz Composers Orchestrat das von Guy komponierte "Harmos" dem 2007 verstorbenen Orchestra-Gründungsmitglied und Posaunisten Paul Rutherford. 1989 erschien das Werk erstmals mit Rutherford und den Posaunisten Radu Malfatti und Alan Tomlinson auf CD. Die Melodie ist das Gerüst, auf dem Barry Guy seinen architektonisch gedachten Ansatz für ein orchestrales Großwerk darstellt. Er nennt melodische Elemente und improvisatorische Entwicklungen denn auch "Bausteine" in einem gewaltigen Epos aus am Wegesrand liegenden Geräuschen und Klängen. Barry Guy gebraucht eine Wechselwirkungsstrategie, in der lyrische Passagen und hervorbrechende Gewaltpartitionen sich versammeln. Die musikalische Vielfalt verstärkt das imposante Hör-Gefühl in den Filmbildern von Jürg und Marianne Rufer. Vor allem die körperliche Präsenz von Barry Guy und wie er das Orchester leitet, führt den Zuhörer zum Impuls der Klangquellen.
Klaus Hübner, Westzeit, 1. Oktober 2012

 

 

Des contours flous et quel autre effet détachent étrangement la musique de l'image dans cette captation d'Harmos du London Jazz Composers Orchestra, donné en 2008 au festival de jazz de Schaffhausen.

Qu'importe. Le temps pour Barry Guy de présenter la pièce – enregistrée déjà en 1989 pour Intakt – et de la dédier à Paul Rutherford, disparu quelques mois plus tôt, et voici trois trombones (Connie Bauer, Johannes Bauer, Alan Tomlinson) entamant la partition. Celle d'une composition aux airs de vaisseau d'envergure que dirige Guy avec le concours d'Howard Riley : mélodies lustrées à l'unisson, progressions dramatiques, morceaux de classique sévère ou d'opéra bouffe, convocations de jazz – orchestral, swing (dont l'éclat peut parfois décontenancer : intervention de Pete McPhail), free… – et inévitables charges héroïques (Mats Gustafsson, Phil Wachsmann, Evan Parker).

Au jeu des comparaisons, si cet Harmos n'atteint pas les sommets de son prédécesseur – vingt ans plus tôt, Howard Riley, Barre Phillips, Paul Lytton, Evan Parker, Trevor Watts et Phil Wachsmann donnaient déjà de leur personne auprès de Guy, en présence de Paul Rutherford, Paul Dunmall et Radu Malfatti –, sa hauteur n'est pas non plus à négliger : qui le fait dépasser tout autre orchestre du genre d'au moins une quinzaine de têtes.
Gauillaume Belhomme, Le son du Grisli, Octobre, 2012

 

For those who thought they had missed their chance to see one of the most impressive agglomerations of talent in European improvisation, the 2008 appearance of the London Jazz Composers Orchestra in Switzerland was manna from heaven. Having last played in Berlin a decade previously, it seemed the opportunity had well and truly passed, with the challenging economics and the practical difficulties inherent in keeping a 18 strong orchestra in good working order overwhelming. However, following a commission by the Schaffhauser Jazz Festival of a new piece-"Radio Rondo," (documented on the CD of the same name (Intakt, 2010))-leader and composer, bassist Barry Guy once more assembled his crew, with a few fresh faces, American as well as European. Thanks to the efforts of producer Jürg and Marianne Rufer, the latest incarnation of the band can now be seen, as well as heard, far more widely.

"Harmos" can almost be considered one of the LJCO's greatest hits. Composed in 1987, it was first chronicled on Harmos (Intakt, 1989), has also appeared in a trio version with pianist Marilyn Crispell on Odyssey (Intakt, 2002), and was the last chart performed by the LJCO prior to its Swiss reunion. In common with all the Englishman's works for the LJCO, it seeks novel resolutions to the conundrum of how to allow improvisation and composition to coexist. But the secret to its enduring popularity may lie in Guy's statement that "the essential idea behind "Harmos" was to create a piece of music based upon melodies." In that he succeeds, the glorious anthemic upwelling early on over which alto saxophonist Trevor Watts soars in impassioned ecstasy is one of the highlights. But there are many others, not least the opening trombone duet between the ebullient Alan Tomlinson and the not easily overshadowed Johannes Bauer.

Guy, a master of dynamics in both conducting and playing bass, draws from both ends of the sonic spectrum, from the wispiest of tuba susurrations by Per Ake Holmlander to full force orchestral might. But from flat out the band morphs into a lilting goodtime swing, underpinned by Howard Riley's angular piano comping and Pete McPhail's sweetly wiry alto saxophone. The temperature inexorably rises to a climax whereupon it cuts to leave Evan Parker's serpentine soprano saxophone over a knotty horn riff. This in turn becomes a feature for the celebrated Parker/Guy/Lytton trio, until it is gradually enveloped by a return of the grand anthem.

Five cameras are discreetly deployed to capture proceedings, making visible the interactions and mechanics of the piece. However the number of options in terms of viewpoints and personnel often results in the focus cutting away from the main action to switch around the various sections of the orchestra. So for example, Watts incantatory alto excursion is heard but only periodically glimpsed, and the same is true elsewhere when prolonged attention would serve the narrative of the music better. However that is a relatively minor gripe which hardly detracts from a monumental performance which bears both repeated watching and listening.
John Sharpe, www.allaboutjazz.com, November 18, 2012, USA

 

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