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CD-REVIEWS
MARILYN CRISPELL - GERRY HEMINGWAY
AFFINITIES
Intakt CD 177
Article about Gerry Hemingway, Ted Panken, Downbeat, Great Britain, July 2011
Wenn MARILYN CRISPELL und GERRY HEMINGWAY gemeinsame Sache machen, dann kommen unwillkürlich die Jahre 1983 - 1994 in Erinnerung, als sie zusammen im Anthony Braxton Quartet spielten, aber auch im Trio mit wechselnden Bassisten und zuletzt 1997 im Ivo Perelman Quartet. Seitdem hat der 1955 in New Haven geborene Drummer eigene musikalische Vorstellungen umgesetzt, mit seinem beständigsten Wegbegleiter, dem Posaunisten Ray Anderson, in BassDrumBone und diversen Quar tetten. Dazu leitete er europäische Quintette mit den üblichen Verdächtigen, spielte mit Frank Gratkowski und auch in gewagteren Konstellationen etwa mit John Butcher oder Thomas Lehn. Die Pianistin aus Philadelphia fand ihrerseits große Beachtung durch ihre Music of Annette Peacock im ECM-Trio mit Gary Peacock & Paul Motion und durch das Intakt-Trio mit Barry Guy & Paul Lytton. Die Wiederbegegnung der beiden ist nun auf Affinities (Intakt CD 177) zu hören, aufgenommen 2009 in Baltimore und 2010 in Tel Aviv. Intakt bestätigt seinen Ruf als erste Adresse speziell auch, Dank Irene Schweizer, für Piano-Drums-Duette, wobei sich auch Crispell schon mit Louis Moholo da eingereiht hat. Nur wenige Minuten des Auftaktes 'Shear Shift', der Zusammenklang von sprung haft komplexen und sperrig ostinaten Pianofiguren mit erst unerwartet swingenden, dann auch repetitiven Beats, genügen, um selbst Pianoskeptikern die Augenbrauen hoch zu ziehen. Wenn dann noch das Tempo anzieht, Hemingway den Swing und den knatternde Drive nur mit Mühe zügelt, während seine Partnerin turbulent die Tasten quirlt und zielstrebig dahin sprintet, zuletzt aber ganz entspannt austrudelt und wie eine im Flug verlorene Feder ins Gras sinkt, da hält man schon mal die Luft an. 'Axial Flows' ist danach ein zartes Glockenspiel mit Vibraphonklingklang. Eine leichte Brise spielt Triller, das Cymbal beginnt mitzuschwirren, ein dunkler Hauch rollt über die Trommel. Bei 'Starlings' picken Schnäbel im Innenklavier, Stare trippeln über die Tasten, Heming way lautmalt vogelig mit, perlt auch wieder übers Vibraphon und flattert in gemeinsamer luftig-sprunghafter Unbändigkeit. Bei 'Threadings' zieht Hemingway hinkend ein Bein nach, hält aber dennoch mit Crispell mit, die so tausendfüßlerisch dahin wuselt, dass das Geschirr im Schrank klirrt. Hemingway rollt und rappelt zwei Minuten allein hinter her. Das lyrische 'Air', eine Komposition des Pianisten Frank Kimborough, schwebt dann schwerelos als himmlisches Kind. 'Permeations' zeigt, dass Gedanken nicht nur klingen, sondern auch tanzen können. 'Finis' schließlich setzt mit metallischem Kling klang, mysteriös summend und schabend, von Bassnoten bedongt, einen geheimnis vollen, leicht unheimlichen Schlusspunkt. Teufel noch eins! [BA 70 rbd]
Pirmin Bossart, Jazz n' More, Schweiz, Juli/August 2011
John Fordham, The Guardian, GB, 15th July 2011
Zwei Granden des modernen Jazz wagen ein riskantes Spielchen im Kleinformat des Duos miteinander. Immerhin waren die beiden Musiker lange Jahre wichtige Komponenten beim Anthony Braxton Quartett (eindrucksvoll nachzuhören z.B. auf ‚Live In Willisau', Hat Art-4 CD-Box oder ‚Live In London', Leo-3 LP-Box). Und wie sie das machen! Crispell gibt mit wuchtigem Anschlag und kräftiger Verve die emotionale Charakteristik vor. Hemingway, ein sensibler Tonkünstler an den Fellen und am Blech, folgt diesen halsbrecherischen Vorgaben natürlich leichtfüßig und nützt seine musikalische Eloquenz für ein logisches Fortschreiten, eine dynamische Entwicklung, ein Drängen und Pochen, das nach Erlösung sucht und das man gemeinsam auch immer wieder findet. Nachzuhören z.B. bei ‚Shear Shift', wo sich die beiden Musiker überraschend und doch nachvollziehbar zu einem Finale der Gemeinsamkeit zusammenfinden. Grandios. Ein vertrautes Miteinander, ohne in selbstgefällige Virtuosität zu verfallen. Nach ‚Sibanye', der Zusammenarbeit mit Louis Moholo, dokumentiert auf Intakt 145, ein weiteres Bravourstück der Pianistin aus Philadelphia. Motto: Forever young.
"Affinities" titeln die Pianistin Marilyn Crispell und der Schlagzeuger Gerry Hemingway ihre aktuelle Duo-Veröffentlichung auf dem intakt-Label - und lassen 15 Jahre nach ihrer gemeinsamen Zeit bei Anthony Braxton die Wiederbelebung ihrer künstlerischen Verbindung aufregende Früchte tragen. Verbindendes Element, sozusagen der Nährboden für sämtliche Affinitäten, ist nicht zuletzt jener dezidiert perkussive Ansatz im Klavierspiel von Marilyn Crispell, der immer wieder Einflüsse etwa von Cecil Taylor durchschimmern lässt.
Martin Schuster, Concerto, August/September 2011, Österreich
Christoph Wagner, NZZ (Neue Zürcher Zeitung), 22.7.2011, Schweiz
Diese beiden Spieler tauschten ihr Improv-Vokabular ausgiebig im Anthony Braxton Quartet aus. Eine noch konzentriertere Begegnung, zudem entfernt vom doch sehr bestimmenden ‚System Braxton', lässt also Bestes, Neues und Frisches erahnen. Und so ist es denn auch: Bereits in der Mitte des Openers ‚Shear Shift' ist Feuer unterm Dach. Und wie das Stück dann doch noch poetisch und völlig klar ins Ende abrauscht, da haben sie dich schon. Diese großartige Begegnung erinnert vom Feuer her an das kongeniale Piano-Drum-Duo, das Crispell vor zwei Jahren mit Louis Moholo-Moholo zelebrierte. Bestechend vor allem, wie sie sich den geläufigen Improv-Klischees versagen und bei aller Minimalität das meiste aus dem Material herausholen, durch Energie, Impuls und Formbewusstsein. Etwas Neues entsteht durch das Aufwärmen des Alten. Allerdings: das kann schon mal verbrennen dadurch.
Jörg Konrad, Jazzpodium, September 2011, Deutschland
Stefan Pieper, Jazzzeitung, September-Oktober 2011, Deutschland
Stefan Pieper, Jazzthetik, Sept./Okt. 2011, Deutschland
Pachi Tapiz, bun.tomajazz.com, 10/07/2011, Spain
Artikel von Tobias Richtsteig, Jazzpodium, Deutschland, Dezember 2011/Januar 2012
Kevin Le Gendre, Jazzwise, April 2012, Great Britain
With so much shared history it should be no surprise that pianist Marilyn Crispell and percussionist Gerry Hemingway prove so well attuned to each other's moves. Both came of age as key parts of Anthony Braxton's legendary late '80s/early '90s quartet and have since confirmed themselves as masters of their craft. Over the nearly two decades since they left Braxton, reunions have happened sparingly.
La comune esperienza modellata per oltre un decennio nello storico quartetto di Anthony Braxton negli anni tra gli '80 e i '90 (completando la line-up con Mark Dresser) ha determinato una fisiologia simbiotica nella dualità armonico-melodico-ritmica (con tutte le peculiarità applicabili al caso de quo) costituita dalla pianista Marilyn Crispell e del batterista Jerry Hemingway, di cui non è mancato di seguire le estese attività individuali. Il tandem (a parte il notevole trio Cascades con Barry Guy) aveva già segnato una prima operazione "di coppia" nell'eponimo album del 1992 (per le polveriere di Knitting Factory), ma già le note di copertina avvertono come il ventennale gap, così come i caratteri delle fantasmagorie braxtoniane del periodo rappresentino un "punto di partenza troppo distante" per accostare le premesse e la genesi del presente Affinities. Interview mit Gerry Hemingway, Jürg Solothurnmannm, Jazz 'n' More, Juli/August 2012, Schweiz
With so much shared history it should be no surprise that pianist Marilyn Crispell and percussionist Gerry Hemingway prove so well-attuned to each other's moves. Both came of age as key parts of reed multi-instrumentalist Anthony Braxton's legendary late '80s/early '90s quartet, and have since confirmed themselves as masters of their respective crafts. Assembly from two different live dates has enabled the creation of a program that coheres in satisfying fashion. Ultimately, the pair transcends its instruments in a wonderful twinning, where preternatural communication is allied to unfettered imagination |