eine Eine Hommage
Werner Lüdi zum zehnjährigen Bestehen von Koch-Schütz-Studer

 



Was Verwaltungsräte in Jubiläumsreden kritische Würdigung des Erreichten, Analyse des Standpunktes, Rückblick, Standortbestimmung, Aufdeckung einiger Aspekte für die Zukunft oder Besinnung auf die gestellte Aufgabe nennen, findet meist im 10. Jahr eines Unternehmens statt. So fahre ich denn Ð als Jubiläumsredenschreiber Ð nach Biel, treffe am Bahnhof Fredy Studer, werde von Martin Schütz abgeholt, von Hans Koch begrüsst und von Koch-Schütz-Studer in einer ruhigen Ecke einer gemütlichen Beiz bewirtet: Nachdem wir zwei Beutel Gras, fünfundsiebzig Kügelchen Meskalin, fünf Löschblattbogen extrastarkes Acid, einen Salzstreuer mit Kokain, ein ganzes Spektrum Upper, Downer, Heuler, Lacher, eine Flasche Tequila, eine Flasche Rum, einen Kasten Bier, einen Liter unverdünnten Äther und zwei Dutzend Knick-und-Riech intus haben, drücke ich die Rec.-Taste: «Band läuft!»

Was willst du hören? Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit? Für wen? Wie laut? Okay. Ð Der weitaus grössere Teil der Zeit, die wir in diese Formation investieren, geht fürs Vermarkten der eigenen Sache drauf. Klingeln gehört zum Tingeln. Die jüngere Generation nimmt dies bereits als gegeben hin, als einen Teil des unabdingbar Notwendigen. Sich in Szene setzen. Wir, die Älteren, mokieren uns manchmal darüber, denken gerne, eigentlich sollten wir die volle Zeit einsetzen für das, was wir am liebsten machen: Musik. Das aber kannst du glatt vergessen. Allein für die fünf Konzerte mit Roots and Wires braucht es unseren vollen Einsatz. Und ohne beträchtlichen finanziellen Support könnten die fünf Konzerte nicht stattfinden. Was wir machen, ist ja nicht unbedingt angesagt. Manchmal ist ein Ding angesagt, entweder weil es irrsinnig gut ist oder weil es gerade irrsinnig zum Zeitgeist passt. Nach zehn Jahren lässt sich sagen: Ein ästhetischer Gegenentwurf, als widerständiges Zeichen gegen das für den schnellen Verbrauch-bis-Verschleiss hingewixte Konsumprodukt, ist ein mit viel Wahnsinn und Mühe unternommenes Sammelwerk, und als solches möchte es leuchten. Das heisst: Unsere Vorstellung von Musik braucht, damit sie klingt, die Infrastruktur einer Rockband. Und hier haben wir ein Riesenproblem. Erinnern wir uns an unser Konzert am Jazzfestival Willisau mit Roots and Wires: Für viele war unser Auftritt ein Schock, schwer verdaubar, andere meinten, dagegen würde Masada alt aussehen. Mag sein, weil Masada (John Zorn) bereits vertraut ist, während wir neu und ungewohnt klingen. Da waren also diese 1500 Leute, die uns gehört haben, gut, an die fünfhundert konnten damit nichts anfangen, aber den tausend hat es irrsinnig gefallen, also war das doch in einem gewissen Sinne angesagt. Denkst du.

Diese Musik fasziniert (und verstört zuweilen) durch Risikobereitschaft, Erfindungsreichtum und Mut zur Regelverletzung. Koch-Schütz-Studer arbeiten mit einem extremen Soundspektrum, lassen tobende Klanggewitter zu einer trügerischen Beinahe-Stille implodieren, lösen Brachial-Grooves durch freies Pulsieren ab. Seit 1990 arbeitet dieses Trio zusammen, geht unbeirrbar seinen Weg, die Ohren an den Sounds der Zeit Ð so entsteht nicht Zeitgeist-, sondern zeitgenössische Musik. Musik, die das Bewusstsein der ZuhörerInnen erschüttert. Tom Gsteiger, «Der Bund»

Also, Willisau ist doch die grösste Plattform der Schweiz, da sind die Journis da, da sind die Medien da, da sind die Veranstalter da. Man möchte annehmen, das wäre eine Riesenchance, das Trio g-l-o-b-a-l zu buchen. Durchbruch auf der ganzen Linie. Du hast Einfälle, Ideen, Inspirationen, Befeuerungen, Erleuchtungen, Hochgefühle Ð Hörmusik hat Konjunktur!!! Bald merkst du aber, das funktioniert doch nicht, oder nicht, wie es sollte. Also fragst du dich, welche Umstände müssen mitspielen, dass dieses Trio mal selbstlaufend wird. Und dann machst du die Rechnung: Roots and Wires bestehen aus einer Musikerin, vier Musikern plus einem Techniker. Also müssen pro Gig mindestens 300 Leute kommen, die je zwanzig Franken bezahlen, damit sich das rechnet. Und ein Veranstalter wird diese Rechnung auch machen. Und dann wird subito klar, dass dies ein heikles Unterfangen ist. Denn es wird dem Veranstalter auch mit Riesenanstrengungen nicht gelingen, diese 250 bis 300 Leute zu mobilisieren. Einzelkonzerte haben es schwierig. Wir können da nicht von Tschechien oder Polen ausgehen, da kommen die Leute, weil da etwas stattfindet. Da ist noch nicht diese Übersättigung. In Polen ist es wie bei uns vor dreissig Jahren, als wir noch für ein einzelnes Konzert aus allen Himmelsrichtungen nach Willisau pilgerten. Hier und heute ist everything everytime available. Es ist zu viel los. Auch in Biel oder Luzern kannst du über das Wochenende unter zwanzig Events wählen. Und wir machen ja nicht gerade etwas, was süffig reingezogen werden kann, wie beispielsweise Paganini mit umgedrehten Notenblättern.

Also, da gibts schon so etwas wie eine Bilanz nach zehn Jahren, da ist eine Band, die nicht mehr aus der Welt zu schaffen ist, da ist ein Stellenwert, den wir uns erarbeitet haben, da ist der finanzielle Terror, der dich knüttelt. Da heisst es immer, euch geht es doch gut, ihr spielt ja laufend. Aber die Frage nach einem Vertrag mit einem Majorlabel ist nervspaltend. Fest steht, David S. Ware flog schon nach einer Produktion wieder raus aus seinem Deal mit Sony, weil die Zahlen nicht stimmten. Der junge Stockhausen bei der Deutschen Grammophon, du denkst, megacool, aber dann wechselt der Chef auf dem Chefsessel, und weg ist der Chef, und weg ist Stockhausen. Es gibt sie schon, die Labels, die Renngäule im Stall haben, die tüchtig galoppieren und einen Haufen Mist abwerfen (Mist = Kohle), so dass sich auch die Rosinantes durchfüttern lassen, denn sie machen eine Mischrechnung, die Produzenten. Bestes Beispiel: Ken Pickering in Vancouver. Der macht ein Riesenfestival mit Dr. John und Herb Alpert, damit randständige Musik, die übrigens seine liebste ist, einen Platz findet. Das aber ist rar. Klar? Vor fünf Jahren kam «Hardcore Chambermusic» raus.

Diese CD steht wie eine Bühne in der Flut anbrandender Neuerscheinungen. Was hat der Hörer seither nicht alles durch seine Tuben gespült? Und doch ist die Kammermusik des harten Kerns immer wieder aufgetaucht: als ein Gipfel ästhetischer Ambition ... Ulrich Stock, «Die Zeit»

Auf «Heavy Cairo Traffic» ... ist seit langem der spannendste Diskurs, der mir untergekommen ist: klug komponiert, in keinem Punkt beliebig, immer offen und überraschend ... Peter Rüedi, «Die Weltwoche» spielten wir mit einem festen Ensemble. Als wir die Ägypten-CD gemacht hatten, wurde uns klar, dass wir diese Art von Zusammenarbeit und insbesondere die Studionachbearbeitung der aufgenommenen Tracks auf einem nächsten Projekt entscheidend weitertreiben wollten. Das geschah bei «Fidel». Hat ein enormes Echo ausgelöst.

... Mehr als eine Addition von guten Ideen, ist das eine Reflexion über Zusammenhang und Heterogenität Ð sicherlich inspiriert durch Teo Macero, geboren aus dem solidarischen Gestus der Improvisation und verliebt in kubanische Musik. Dieser Flow aus unzähligen Edits und Cuts, Brüchen und Überlagerungen ist es, von denen die Restrukturalisierung des Jazz ausgeht. Dabei steht noch nicht mal was von irgendwelchen Neukonzeptionen auf dem Cover. Felix Klopetek, «Spex».

Aber dann gibt es nicht wenige, die vor allem diese raffiniert gesetzten Kubasamples bewundern. Du denkst, du hörst nicht richtig, von was für Samples reden die? Tatsache ist, wir haben nichts gesampelt, wir haben mit den KubanerInnen gespielt. Und die CD hat ein dickes Booklet, in dem jedes Detail explizit angegeben ist, wer was mit wem spielt. Nützt alles nichts. H Wir haben nichts mit dieser Kubawelle zu tun, wir hatten das Kuba-Projekt schon lange geplant. Wir waren 1991 als Trio für ein paar Konzerte in Kuba. Das Erlebnis hat uns nie mehr ganz losgelassen. Also sind wir nach Kuba gefahren, ohne auch nur einen Musiker vorher zu kennen. Wir wussten nicht, was uns erwartet. Wir wussten nur, was wir nicht wollten, nämlich ein weiteres Latin/Salsa- Fusionsprojekt. Uns interessierten Leute, die traditionelle Musik spielten, etwa in der Yoruba-Tradition, oder solche, die sich auch in zeitgenössischer Musik und Improvisation auskennen. Zu Hause programmierten wir verschiedene Rhythmusmuster auf dem Computer, teilweise extrem komplexe Sachen. Diese «Clicks» nahmen wir mit. Den Rest haben wir mehr oder weniger dem Zufall überlassen. Es war Instant Composing. Wir haben parallel zu unseren Konzerten und Workshops und Impro-Einspielungen dauernd Ideen gewälzt und diskutiert, was wir noch hinzufügen, anders gestalten oder weglassen wollten. Gewisse Sequenzen sind annähernd so zustande gekommen, wie wir uns das zu Hause vorgestellt haben, andere sind völlig neu entstanden. Ja, wir wissen um die Diskussionen, die geführt werden: ist das noch legitim oder bereits schamlose Ausbeutung? Die ÄgypterInnen und KubanerInnen wurden ja nicht gefragt, die wussten nicht, was da schliesslich herauskommen würde. Das stimmt so nicht. Wir haben ihnen von Anfang an klar gemacht, wir haben dieses und jenes im Sinn. Habt ihr Lust mitzumachen, wollt ihr eure Spielfähigkeiten einbringen? Wir können euch zwar nicht sagen, wie das Endergebnis klingen wird, das wissen wir selbst nicht. Wir wissen nur: wir wollen uns ständig in Neuland bewegen. Doch traditionelle ägyptische oder kubanische MusikerInnen haben dieses Befürfnis nicht, sie sind total zufrieden mit dem, was sie schon immer machten. Und dagegen ist doch nichts zu sagen. Uns aber interessiert das Zusammentreffen beider Welten, ein gemeinsames Feeling oder auch ein kontroverses. Nimm den Dokumentarfilm. Der läuft auch nie so ab, wie er gedreht worden ist. Da wird geschnitten, neu zusammengefügt, überblendet, retouchiert. Warum soll das bei der Musik anders sein? Heute ist Sampling und Remixen an der Tagesordnung. Wir betrachten diese Möglichkeiten wie Instrumente.

Bei «Hardcore Chambermusic» haben wir die Samples alle korrekt angegeben, obwohl sie nicht im Einzelnen erkennbar sind. Das wurde uns als Wichtigtuerei vorgehalten. Wir aber halten das für eine Provokation, für ein Spiel mit der Realität. Beim HipHop muss ein Sample-Clearing gemacht werden, der Produktionsverantwortliche oder der Anwalt und der Berater des Labels müssen sich das genau anhören.

Stellen sie fest, hier ist ein Sample der Beatles, kannst du gleich alles vergessen, für so was gibts gar keine Vertragsmöglichkeiten, so was kommt nie auf den Markt. Bei andern lässt sich verhandeln, ein Preis ausmachen. Dann gibts noch die Wildcards, da könnte es eventuell Probleme geben, also stellst du schon mal 10 000 Dollar bereit. Anderes Zeug ist vernachlässigbar. Bei uns sind die sequenzierten, bis zur Unkenntlichkeit bearbeiteten Samples in homöopathisch kleinen Dosierungen vorhanden, so dass sie kaum wahrgenommen werden. Sie sind aber vorhanden, als Teil einer Substanz. Die Welt als Schneideraum, Schnitte, denen wir uns fügen müssen. Und im gleichen Sinn verfahren wir auch als Musiker. Wie geht man eigentlich mit Einfluss um, das ist doch die Frage. Da geht doch keiner hin und studiert und übt die Licks der andern. Aber das Spiel der andern wird aufgenommen, assimiliert sich mit deiner Musik und wird dann spürbar, du hörst irgendwie Ornette Coleman, aber dann doch nicht. Uns interessiert die Assimilation, nicht die Kopie. Klar, wir hätten uns die exakte Auflistung der Samples schenken können. Aber unser Ziel ist es auch, dass wir unsere Musik in einen Zusammenhang stellen. Du liest das Booklet, stösst auf Jimi Hendrix, Elliot Sharp, John Cage usw. und du weisst, Koch-Schütz-Studer beschäftigt sich mit diesem und jenem. Knallharte Gegensätze miteinander zu vereinbaren ist der Anspruch dieses wohl mittlerweile wichtigsten europäischen Avantgarde-Trios. Wolf Kampmann Es geht um Geistesverwandschaft. Und: Wir denken, dass wir den Musikern mehr Respekt zollen, wenn wir ihr Material ernst nehmen und versuchen, in die Tiefe zu gehen, als wenn wir es bloss als Unterlage benützen, um so genannt stilistisch angepasste Soli darüberzulegen. H Wir machen unsere Musik nicht aus einem Kalkül heraus. Unsere Musik ergibt sich auf Grund der Dinge, die uns interessieren. Daraus resultiert «Hardcore Chambermusic», «Heavy Cairo Traffic», «Fidel» und jetzt «Roots and Wires».

Auf die eine oder andere Weise sind das alles grenzüberschreitende Erkundungen, denen etwas Entscheidendes zu Grunde liegt: «Wir-Wollen-es-so». Dies macht uns zur letzten Rockband der Schweiz Ð von der Haltung her. Dass wir dabei zwangsläufig immer zwischen Stuhl und Bank fallen, ist auch klar. Denn wir spielen keinen reinen Stil wie etwa Bebop, sondern einen Bastard, wobei Jazz grundsätzlich, das nur so nebenbei, ein Bastard ist. Wir kennen das noch von früher, zum Beispiel bei OM, das galt als Eklektizismus, was als Schimpfwort gemeint war. Heute heisst dies Crossover oder grenzüberschreitend und wird eher positiv gesehen. Roots and Wires, das neueste Projekt, hat keine stilistische Einschränkungen. Unsere Vorstellung von Sound trifft sich prima mit den Ideen der PlattenlegerInnen aus der New Yorker «Illbient»-Szene. DJ I-Sound (Craig Willingham) ist seit seiner Ankunft in New York vor zwei Jahren zu einer zentralen Figur der dortigen experimentellen DJ-Szene geworden. Er arbeitet vor allem im Umfeld des Soundlab. Seine Art, HipHop, Musique concrète, freie Improvisation und dunkle, harte Break-Beats zu einem dynamischen Ganzen zu mixen, machen seinen ganz persönlichen Sound aus. DJ M. Singe (Beth Coleman) ist Mitbegründerin des «Cultural Alchemy/Soundlab», ein nomadisches, offenes System, das in New York seit 1995 elektronische und andere MusikerInnen sowie visuelle KünstlerInnen zusammentreffen lässt. Sie entwickelt «Audio-Netze» mit Wort-Samples, Geräuschen und Beat-Strukturen, mixt Hardcore, Break-Beats, Abstrakte Elektronik, Underground-HipHop und futuristisches Dub. Ob das nun erfolgreich ist oder wird, hat mit der Musik an sich nicht viel zu tun.

Wie auch immer: Wer vor Publikum spielt, muss ganz da sein, da, wie der junge Mozart, der mittlere Liszt, der alte Bach, und wer wieder mal seine Bestform verfehlt, soll in sich gehen und nicht in die Kneipe. Andrerseits darf auch die Frage gestellt werden: Sind wir denn auf der Welt, um vor Leuten, die sowieso nicht richtig zuhören, bleibende Eindrücke zu hinterlassen? Peter Rühmkorf

 

Werner Lüdi, Februar, 2000