IRÈNE SCHWEIZER 80 JAHRE – 2. Juni 2021

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Einladungskarte zum Geburtstagsfest Irène Schweizer, 4. Juni 2021, Kulturhaus Helferei Zürich.
Gestaltung der Karte: Jonas Schoder. Bild: Rosina Kuhn.

 

 

FEST, 4. JUNI 2021



4. Juni 2021, Kulturhaus Helferei, Zürich. Foto: Palma Fiacco

 

Begrüssung von Patrik Landolt

Liebe Irène, liebe Freundinnen und Freunde von Irène Schweizer

Was für ein Glück!
Wir können uns hier treffen, wir können gemeinsam mit dir, liebe Irène, deinen 80. Geburtstag feiern. Herzlichen Glückwunsch!

Intakt Records, der Verlag von Irène Schweizer und der Verein Freundinnen und Freunde von Irène Schweizer begrüssen die Gäste zu diesem Fest im kleinen Rahmen. Das Kulturhaus Helferei, wo sich Irène Schweizer sehr wohlfühlt, öffnet uns diese schönen Räume.

Ich freue mich sehr, die Gäste persönlich vorstellen zu dürfen: als erste die Angehörigen von Irène: die Schwester Margrit Schlatter-Schweizer, den Schwager René Schlatter. Es sind viele Freundinnen und Freunde da: Irène's Partnerin Monique Crelier, Freundinnnen Marinne Regard, Suzanne Dietler, Judith Falusi, Béatrice Breitschmid, Rosina Kuhn, Edith Kuster, Francesca und Dieter Pfeffer, Valeria Rentsch, Juliana Müller, Rosmarie A. Meier, Annette Meier, Isolde Schaad, Milena Pfister.

Irène ist glücklich, heute so viele Musikerinnen und Musiker um sich sich haben: Co Streiff, Omri Ziegele, Rüdiger Carl, Stephan Wittwer, Lucas Niggli, Tommy Meier, Dave Gisler, La Lupa.

Viele Veranstalter sind über all die Jahre gute Freunde von Irène geworden: Ems und Niklaus Troxler von Willisau, Susanna Tanner hat Irène legendäre Konzerte am Jazzfestival Zürich vermittelt, Urs Röllin vom Jazzfestival Schaffhausen.

Es ist sehr erfreulich, dass Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Öffentlichkeit und von Kulturförderinstitutionen dir mit Worten und durch ihre Präsenz die Ehre erweisen. Ich begrüsse die Regierungspräsidentin des Kantons Zürich, Jacqueline Fehr, Städtpräsidentin von Zürich Corine Mauch, Alt-Stadtpräsident von Zürich Josef Estermann und Magi Estermann, der 1991 den Kunstpreis der Stadt Zürich an Irène Schweizer verliehen hat. Herzlich Willkommen Madeleine Herzog, Leiterin der Fachstelle Kultur Kanton Zürich, Roland E. Hofer, Kulturbeauftragter des Kantons Schaffhausen, Niklaus Riegg und Tom Hellat, zuständig für Musik bei Stadt und Kanton Zürich, Steff Rohrbach, viele Jahre bei der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia.

Einige ausgewählte Journalisten, die Irène seit Jahren begleiten sind da: Manfred Papst von der "NZZ am Sonntag", der ein schönes Portrait zu Irène Schweizers 80. Geburtstag geschrieben hat. Christian Rentsch, einst "Tages-Anzeiger" Zürich, heute "Jazz'n'More". Im "Jazz'n'More" finden wir einen Schwerpunkt zum 80. von Irène. Bert Noglik aus Leipzig, der bereits in den 70er Jahren über die Musik von Irène Schweizer schrieb. Ulrich Stock, Reporter von "Die Zeit", der über all die Jahre zahlreiche hervorragende Beiträge zu Irène Schweizer verfasste.

Anwesend ist auch das ganze Team von Intakt Records mit Anja Illmeier, Florian Keller, Fiona Ryan, Stépanie O. Jaquet und Jonas Schoder. Wir bedanken uns bei dem Kulturhaus Helferei, bei Martin Wigger und Anna Huber für die Gastfreundschaft.

Mit Musik, Ansprachen und unserem Zusammensein wollen wir dich, liebe Irène, ehren und auf dein Wohl anstossen. Zur Musik tragen Co Streiff, Rüdiger Carl und La Lupa bei. Die Regierungspräsidentin Jacqueline Fehr und die Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch werden gratulieren. Der Publizist Bert Noglik, der Irène Schweizer seit den 70er Jahren journalistisch begleitet, liest eine Hommage an Irène Schweizer.

 

Co Streiff, Saxophon Solo

 

 

Jacqueline Fehr, Regierungspräsidentin Kanton Zürich

Liebe Irène, liebe Gäste

Geburtstage sind eine wunderbare Sache. Wir, die Nimmersatten, vom Strom des Alltags Getriebenen, die an einem Tag eigentlich immer noch viel mehr erledigen wollen als wir tatsächlich schaffen, machen mal Pause. Wir lassen den Strom fliessen und klinken uns aus. Machen für einen Moment am Ufer fest. An Geburtstagen rücken wir einen uns lieben Menschen ins Zentrum. Denken über diese Freundin, diesen Freund, den Sohn, die Mutter nach. Darüber, was uns mit dieser Person verbindet. Was diese Person ausmacht. Wir widmen ihr Zeit, gratulieren und prosten der Person zu.

Aber Geburtstage haben auch unangenehme Seiten. Die des Bilanzziehens zum Beispiel. Wie weit hat es der junge Mensch bis zu seinem 20. Geburtstag gebracht? Bravo! Wo steht sie mit 50? Ja, doch! Und erst recht: Wie sieht das Lebenswerk einer 80-Jährigen aus? Anerkennung!

Dieses Bilanzieren an Geburtstagen ist Blödsinn. Denn erstens interessieren sich die grossen Ereignisse in einem Menschenleben nicht für Jahreszahlen. Sie ereignen sich dann, wenn sie reif sind. Und zweitens erwecken Bilanzen den Eindruck, als seien gewisse Tätigkeiten, Haltungen auf Lebensabschnitte beschränkt.

Liebe Irène, du beweist mit deinem Leben das Gegenteil. Du stehst als Person für Überzeugungen, für Haltungen, die du einfach lebst, immer, unbeirrt, selbstverständlich. Haltungen, die dich auszeichnen und unvergleichlich machen. Das galt, als du 20 Jahre alt warst, es stimmte für die 50-jährige Irène Schweizer und es wird über den 80sten Geburtstag hinaus gelten. Ich bewundere deine Klarheit und deine Unabhängigkeit von der gerade vorherrschenden Windrichtung.

Irène Schweizer, das ist für mich
- der Glaube an die Stärke des Individuums. Jeder und jede hat Kraft in sich und die unbedingte Freiheit, diese Individualität auch zu leben.
- Irène Schweizer steht in meinen Augen aber auch für den Kampf für Gleichberechtigung von Hautfarben, Geschlechtern, sexueller Orientierungen.
- Irène Schweizer bedeutet auch Rücksicht auf Minderheiten und das Anprangern von politischen Ungerechtigkeiten.
- Irène Schweizer hat auch keinerlei falschen Respekt vor Grenzen, künstlerischen und geografischen
- Irène Schweizer steht für Mut und Unerschrockenheit
- Und vor allem: Irène Schweizer steht für Lust am Experiment, für Freude am Leben.

Mit Geburtstagen haben all diese Haltungen nichts zu tun. Sie sind da, vorher und nachher. Sie machen einen Menschen aus. Für uns Freundinnen und Freunde sind sie Inspiration und Leitschnur.

Liebe Irène. Wir alle sagen Danke für die grosse Inspiration, mit der du uns seit viele Jahren beschenkst. Und es noch viele Jahr tun wirst. Ich gratuliere dir von Herzen zu deinem Geburtstag. Und noch viel mehr gratuliere ich dir zu dem, was du bist.

 

 

Rüdiger Carl, Akkordeon

 

 

Corine Mauch, Stadtpräsidentin Zürich

Liebe Irène Schweizer

Liebe Freundinnen und Freunde von Irène Schweizer

Ich freue mich und es ist mir eine Ehre, an der Feier zum 80sten Geburtstag der bedeutendsten Zürcher Musikerin zu sprechen.
Dass Zürich ist eine weit über seine Grenzen hinaus bekannte Kulturstadt ist, dazu tragen Künstlerinnen vom Range von Irène Schweizer mit ihrer internationalen Ausstrahlung ganz wesentlich bei. Irène ist als eine weltweit tätige und in hohem Masse international anerkannte Musikerin eine grosse Bereicherung und schon fast ein Markenzeichen für unsere Stadt.

Zum urbanen Leben gehört, dass es Raum gibt für Avantgarde-Szenen. Zu dieser Avantgarde gehört Irène Schweizer zweifellos. So hat sie die heute virulenten Diskussionen längstens vorweggenommen und lebt Diversität als Haltung seit jeher: Dazu gehören die Stichworte: Gender und Race.

Irène spielte schon ganz früh in ihrer musikalischen Karriere kontinuierlich und selbstverständlich mit Musikern aus Südaf¬rika. Viele von ihnen lernte sie im legendären "Africana" in Zü¬rich kennen, wie etwa Johny Dyani, Dollar Brand oder Louis Moholo. Mit Louis Moholo gab sie 1986 am Zürcher Jazzfestival eines ihrer unvergesslichen Konzerte.

In die späten 80er Jahre fällt mein erstes persönliches Zusammentreffen mit Irène – in Damvant, in der Villa Kassandra, einem Frauenbildungs- und Ferienzentrum im Jura. Seither sind wir uns in unterschiedlichen Kontexten immer wieder begegnet, im Quartierladen "Sassa Frass" im Kreis 4, wo ich zeitweise gejobbt habe, oder in der Roten Fabrik und im Kanzlei-Zentrum.
In der Frauenszene an der Mattengasse oder im Frauenstock des Kanzlei-Zentrums oder in der erwähnten Villa Kassandra war Irène eine Grösse. Und gleichzeitig immer so grad, bodenständig du direkt.

Der Chicagoer Saxophonist Fred Andersson sagt in der Biografie über Irène Schweizer: "Musik ist eine Sprache, in der man mit Menschen kommuniziert, das ist keine Frage der Hautfarbe. Irène Schweizer spricht unsere musikalische Sprache, sie kennt sich da aus." Irène ist bei ihren schwarzen Mitmusikern beliebt und angesehen, sie ist eine der ihren, "eine weisse Frau mit schwarzer Seele", wie es in ihrer Biografie heisst.

Die zweite grosse Leidenschaft in ihrem musikalischen Leben ist das Zusammenspiel mit Musikerinnen.

Ende der 70er Jahre entstanden die ersten Frauenmusikfestivals. 1977 gründeten Lindsay Cooper, Georgie Born und Maggie Nicols die FIG, die Feminist Improvising Group, bei welcher Irène bald ein wichtiges Mitglied war. Einige Musikerkollegen ärgerten sich zwar über den, wie einer sagte, "ganzen Frauenquark". Für den Theoretiker und Musiker George Lewis hingegen waren die Konzerte der FIG und später auch des Trios "Les Diaboliques" – mit Joëlle Léandre, der virtuosen Bassistin - und Maggie Nicols - einzigartig, voller Kraft und Dynamik. Die Auftritte brachten eine unglaubliche Synergie und Authentizität zum Ausdruck. Irène wurde dadurch zu einer wichtigen Inspiration für jüngere Musikerinnen und Musiker.

Irène engagiert sich über die ganze Zeit für die Jazzszene in Zürich. Sie hat mit zahlreichen Musikerinnen und Musikern gespielt, immer wieder mit dem grossartigen Pierre Favre, mit Omri Ziegele, Co Streiff oder Jürg Wickihalder. Sie hat aber auch das Bewusstsein, dass es Institutionen braucht, die den Jazz fördern und Orte, wo die Musikerinnen und Musiker auftreten können. So war sie langjähriges Mitglied des Taktlos-Festivals, des OHR-Musiker-Kollektivs, des unerhört!-Festivals und des Plattenlabels Intakt. Wie beliebt sie in diesem Umfeld ist, zeigt ihre Ehrenmitgliedschaft bei all diesen Institutionen. Und basic: Am liebsten sielt sie immer noch in der WIM, in der Werkstatt für Improvisierte Musik, gerade um die Ecke von ihrem Wohnort im Kreis 4.

Für ihr grosses Engagement erhielt sie 1991, verliehen vom damaligen Stadtpräsidenten Josef Estermann, den Kunstpreis der Stadt Zürich, und 2014 wurde sie mit dem höchsten Musikpreis der Schweiz, den Schweizer Grand Prix Musik, geehrt.

Bei all diesen Ehrungen: Irène war sich nie zu schade, auch auf kleinen Bühnen aufzutreten, an "Soli"-Veranstaltungen, Frauen-Anlässen, politischen Veranstaltungen, deren Anliegen sie teilte. Immer begegnete man einer engagierten Musikerin, die dezidierte Haltungen vertrat und für die einstand.

Heute feiern wir, liebe Irène, deinen 80. Geburtstag. Ich stelle mir, dass dein Leben den letzten Jahren einen anderen Rhythmus bekommen hat, dass es für Dich als Pianistin etwas ruhiger geworden ist. Vielleicht kannst Du jetzt Zürich noch mehr geniessen, im See schwimmen und an Konzerte gehen, im Quartier flanieren. Das jedenfalls wünsche ich Dir von Herzen.

Im Namen des Stadtrats und im Namen der Zürcher Bevölkerung, im Namen der Frauen und im Namen der Musikerinnen danke ich für das, was Du für die Kulturstadt Zürich erreicht hast. Wir sind stolz auf Dich. Wir sind stolz, dich, die grosse Jazzpianistin Europas, hier in Zürich zu haben. Du hast als junge Frau den Weg auf die Bühne freigemacht. Das war damals aussergewöhnlich. Es zeigt Deine Kraft und Deine unbedingte Liebe zur Musik. Du warst und bist es noch immer: ein grosses Vorbild für Musikerinnen.
Liebe Irène, herzliche Gratulation zum 80sten! Und alles Gute!
(Es gilt das gesprochene Wort.)

 

 

Bert Noglik, Musikpublizist

Verehrte und Liebe!
Und vor allem natürlich liebe Irène Schweizer,

wie großartig, sich an diesem Tag und hier an diesem besonderen Ort versammeln zu dürfen, um eine Musikerin zu feiern, die wir alle so verehren. Und man muss ja in den Zufall keine Kausalität hineininterpretieren, aber es tut gut, das in einer Zeit zu tun, in der die Pandemie ihren Schrecken verliert. Eine gelungene Koinzidenz. Wollte man das Prinzip Hoffnung abkoppeln von Religion und Ideologie, könnte man es als Methode der praktischen Lebensbewältigung begreifen.

Und so gibt es nun neben Rückblenden auch Perspektiven -Ausblicke auf das Schaffen einer Pianistin, das sich mit dynamischer Kraft über Jahrzehnte spannt und zugleich auf uns und andere ausstrahlt als Wegbegleitung und als Ermutigung.

Über Irène Schweizer ist schon so viel Kluges, Erhellendes, Berührendes gesagt und geschrieben worden, so dass es fast unvermeidlich erscheint, einige dieser Gedanken erneut aufzunehmen. So erinnere ich mich der Rede, die ich vor dreißig Jahren halten durfte, als Irène mit dem Kunstpreis der Stadt Zürich ausgezeichnet wurde. Damals sprach ich von Kontinuität ohne Kompromiss. Das erscheint mir noch immer zutreffend ebenso wie das folgende, seinerzeit formulierte: Sie kann sehr sanft sein, gut sein zu sich selbst und zu ihresgleichen. Und sie ist widerborstig zugleich – die Renitenz der Sinne, der Widerwille zur Anpassung, das Ethos der Unbedingtheit, der Luxus der Unkorrumpierbarkeit.

Zu Irène Schweizers eigener Devise zählt: das Leben improvisieren. Und da wäre nun auch alles angelegt, was man in ihrem Zusammenhang erörtern kann und diskutieren muss, was sich aber doch eben nur aus dem Erleben heraus in Kunst, in Musik verwandeln lässt. Alles, was uns beschäftigt und umtreibt, um diese Welt ein wenig freier, ein wenig freundlicher, ein wenig gerechter zu gestalten, all die mit den Jahren immer stärker ins Zentrum gerückten Fragen, tauchen in diesem Kontext auf mit Vokabeln wie "respekt", "race", "sex" und "gender" als Leitmotiven.

Und doch gibt es da eine Dimension, die nicht aufgeht in Erklärung. Das exzellente Buch von Christian Broecking rückt es in den Titel: dieses unbändige Gefühl der Freiheit. Und natürlich hat das mit dem Jazz zu tun, mit der Gemeinsamkeit, mit der Solidarität und mit dem Selbstfinden – mit alledem, was Irène Schweizer so innig mit ihren Mitspielerinnen und Mitspielern verbindet, insbesondere eben auch mit den Afroamerikanern und den schwarzen Südafrikanern. Dieses Gefühl der Freiheit und diese alle Grenzen transzendierende, spontan ausbrechende Freude, die Spielende und Zuhörende vereint.

Etwas Leichtes und etwas Schwebendes, abgehoben und zugleich geerdet im Groove – eine Plattform für das Tänzerische mit fließenden Übergängen zum Abheben in den Zustand von Trance. Gewiss auch, so hat es der Pianist Alexander von Schlippenbach einmal beschrieben, ein gutes Antidepressivum. Das Leben improvisieren oder, über das der Dichter Peter Rühmkorf befand: "Ach Mensch, so verrückt wie das Leben soll erstmal was anderes sein."

Eines der wichtigsten Antriebs- und Transportmittel ist für Irène Schweizer dabei das Rhythmische, das sich besonders eindrücklich in ihren Piano-Schlagzeug-Duos manifestiert. Was für ein Reichtum, wenn sich Rhythmisches und Klangliches ineinander verschränken, wenn sich das Europäische im Afrikanischen spiegelt und umgekehrt, so dass sich schließlich der Blick auf das Universelle öffnet.

Irène Schweizer spielt das Klavier mit dem Wissen einer Schlagzeugerin, mit dem Sinn für die europäische Klangtradition aber eben auch mit dem Insistieren auf der Behandlung des Pianos als Perkussionsinstrument im Sinne von achtundachtzig gestimmten Trommeln. Thelonious Monk hat es so formuliert: "Die Tatsache, dass du nicht Schlagzeug spielst, bedeutet doch nicht, dass du nicht auch für den Rhythmus verantwortlich bist." Und an anderer Stelle als Rat für Pianisten/Pianistinnen, hier zitiert aus "Monk's advice", notiert von Steve Lacy: "Spiele so, dass der Schlagzeuger gut klingt. / Make the drummer sound good." Ja, das tut sie, diese Pianistin. Und bei den Schlagzeugern, die sie sich aussucht, kann man sicher sein, dass diese auch das Klavier gut klingen lassen.

Mit ihrem Tun und Tönen hat Irène Schweizer enorm viel dazu beigetragen, dass sich die Klangwelt und die Jazzwelt verändert haben. Auch wenn es allzu simpel wäre, eine Parallele zwischen der Diversität der Klänge und der Diversität der Szenen zu ziehen, so lässt sich doch Bemerkenswertes nachverfolgen: In der Neuen Musik, die auch auf den Jazz ausgestrahlt hat, sprach man von der Emanzipation der Dissonanz. Im Free Jazz ging es um die Befreiung von einem normativen harmonisch-rhythmischen Bezugsrahmen. Je stärker sich die Musik ausdifferenzierte, desto mehr Nischen gab es, desto fragwürdiger wurde der Mainstream. Schließlich sind es Minderheiten, aus denen sich Mehrheiten zusammensetzen. Und generell, was die Frauen in der improvisierten Musik anbelangt: Wenn wir heute erfreut feststellen, dass die Jazzszene weiblicher geworden ist, dann ist das auch Irène Schweizer zu danken, die unerschrocken voranging und für Jüngere zum Vorbild wurde.

Sicher, da gab es viele Kämpfe, viele Auseinandersetzungen und fraglos auch Verletzungen, Wunden, Blessuren. Aber an einem solchen Geburtstag darf man doch zugleich ohne Beschönigungen festhalten, dass es für die Jubilarin und mit ihr gut gelaufen ist. Wie viele Musikerinnen vor ihr konnten sich nicht verwirklichen, konnten gar nicht erst antreten oder sind zerbrochen an den Hierarchien, am kommerziellen Druck, an den Machtverhältnissen – Musikerinnen wie Jutta Hipp, Deutschlands führende Jazzpianistin in den fünfziger Jahren, die in den USA resigniert das Klavierspielen aufgab und fortan bis ins Alter als Näherin in einer Fabrik arbeitete.

Einige andere vor Jutta Hipp schafften es zwar, aber wurden in den Schatten abgedrängt. Die Pianistin Lil Hardin Armstrong etwa, jene Frau, der Louis Armstrong wesentlich seinen frühen Erfolg zu verdanken hatte. Sie schrieb, auf ihr Leben zurückblickend: "Ich stand am Fuß der Leiter, hielt sie fest und sah ihn nach oben klettern." Später, als sie schon geschieden war, hat man Lil Hardin auf Plakaten als Mrs. Louis Armstrong angekündigt und das Mrs. so klein geschrieben, dass es zu unliebsamen Fragestellungen und Verwechselungen kam.

Bei der Pianistin Mary Lou Williams stellte man anfangs die Frage, ob sie als Frau überhaupt in der Band ihres Mannes mitspielen dürfe. Als man sich dazu durchgerungen hatte, riet man ihr, Männerkleidung zu tragen. Schlussendlich entschied man sich dafür, sie als Frau auftreten zu lassen – mit dem Argument, das sei doch eine Attraktion, wenn eine Frau gut Klavier spielen könne.

Da passt es fast noch dazu, dass Irène Schweizer ein paar Jahrzehnte später, 1960, beim Amateurjazzfestival in Zürich als beste weibliche Teilnehmerin ausgezeichnet wurde. Und auch wenn die Episode vielleicht schon allzu oft erzählt wurde, sei sie hier wegen ihrer Pointe noch einmal in Erinnerung gerufen: als Preise, gestiftet von Schweizer Firmen, gab es eine Schachtel Zigaretten, ein Päckchen Kaugummi und ein Herrenhemd.

Ja, von da war es ein weiter Weg zur international gefeierten Frauen-Improvisationsgruppe "Les Diaboliques", zum umjubelten Solokonzert im KKL Luzern und zum Grand Prix Musik. Ein weiter Weg und ein Hürdenlauf mit einem erfolgreichen Spurt in der Zielgeraden. Das darf man doch eine glückliche Verlaufsform nennen, gelungen, wie eine gute Improvisation. Von den wilden Señoritas, die den Hexensabbat zelebrierten, zu einer Musik, die die Power immer noch mitschwingen und die Klänge zugleich atmen lässt. Auch dazu noch einmal Thelonious Monk: "Spiele nicht alles aus. Was du auslässt, kann bedeutender sein als das, was du spielst. Lass einiges in der Musik offen für die Phantasie." Das hat sie, die Pianistin, die wir heute feiern, auf faszinierende Weise mit ihrer eigenen, facettenreichen Klangwelt realisiert. Ihre Musik wirkt in die Gegenwart hinein als Ermutigung für uns und für andere, eigene Wege zu gehen.

Schön, dieser Tag, und schön auch, so habe ich es vor dreißig Jahren formuliert und brauche es heute nicht zu revidieren, "schön auch die alltäglichen Verzauberungen durch die nonkonformistischen Klänge, die solidarischen Gesten und die spontanen Beifallsbekundungen." Kein Ende in Sicht, kein Abdriften ins Belanglose, kurzum: keine Entwarnung. Dank der improvisierten Musik, Dank Intakt und dank dieser Pianistin. Danke, Irène Schweizer.

 

 

La Lupa, Stimme

 

 

 

Irène Schweizer, Piano