Christoph Wagner
Soundcheck
Keine
Noten - nichts!
Im Handharmonika-Club hat sie angefangen, danach als
weibliche Exotin Jazzpiano gespielt. Heute zählt Irène Schweizer
zu den führenden Vertretern der freien Musik
In den 70er Jahren schaute Andrew Cyrille (damals Drummer von Cecil
Taylor) einmal bei einem Auftritt vorbei. Er überschlug sich mit
Komplimenten und bot eine Zusammenarbeit an. Erst Jahre später
kam Irène Schweizer darauf zurück und lud den amerikanischen
Freejazz-Drummer zu einem gemeinsamen Auftritt beim Jazzfestival in
Willisau ein. Eine CD ging daraus hervor. Sie reiht sich ein in eine
ganze Serie von Schlagzeug-Duos, die Irène Schweizer in den letzten
zwei Jahrzehnten realisiert hat, wobei Aufnahmen mit Günter Sommer,
Pierre Favre, Han Bennink, Louis Moholo und Hamid Drake entstanden sind.
Sie sind wie alle ihre Einspielungen der letzten zwei Dekaden auf ihrem
Hauslabel Intakt erschienen - insgesamt inzwischen mehr als zwanzig.
Darunter waren auch Begegnungen mit anderen Instrumentalisten wie dem
Posaunisten George Lewis oder den SaxofonistInnen Co Streiff und Omri
Ziegele. Ferner spielte Schweizer mit Les Diaboliques (mit Maggie Nicols
und Joelle Léandre) drei Alben ein und machte darüber hinaus
zahlreiche Soloaufnahmen, die ihren Höhepunkt beim Auftritt im
Kultur- und Kongresszentrums (KKL) in Luzern fanden, dem akustisch besten
Konzertsaal der Welt. Dort wurde Irène Schweizer - von der Direktorin
persönlich eingeladen - letztes Jahr von 1500 Zuhörern in
einem vom Radio übertragenen Solokonzert gefeiert. Es war das wohl
schönste vorgezogene Geburtstagsgeschenk zum 65sten, den Irène
Schweizer dieses Jahr am 2. Juni feierte.
Junior Mance Trio:
“Happy Time”.
Von der LP: Junior Mance - Happy Time. (Riverside)
Mit: Junior Mance - p, Ron Carter - b, Mickey Roker - dr. Recorded 1961.
Irène Schweizer hört längere Zeit intensiv zu.
Christoph Wagner: Ein kleiner Hinweis: Du errangst
mit einem Titel dieses Pianisten den 4. Rang im modernen Stil beim 12.
Amateur Jazz Festival in Zürich 1962.
Irène Schweizer: Dann ist es Junior Mance.
Christoph Wagner: Richtig. Hat dich solche Musik damals
begeistert?
Irène Schweizer: Ja. Ich habe Junior Mance sehr
gerne gemocht, auch Red Garland und Wynton Kelly. Diese Pianotrios haben
mich inspiriert. Später hat mir dann auch Horace Silver sehr gut
gefallen. Wir kauften deren Schallplatten und übten Stücke
davon ein. Wir haben anfangs eigentlich nur kopiert. Man wollte genau
so spielen wie die. Wir probten unheimlich viel und mussten die Harmonien
selber herauszufinden - am Klavier nach dem Ohr. Es gab ja kein Realbook
damals, keine Noten - nichts! Man musste sich das alles selber erarbeiten.
Christoph Wagner: Wer gehörte Anfang der 60er
Jahre zu deiner Band?
Irène Schweizer: Die kamen alle aus Schaffhausen,
meiner Geburtsstadt. Es war ein Trio aus dem Schlagzeuger Herbert Velder
und Urs Rohr am Bass, der damals Student war. Herbert Velder war ein
Optikerlehrling. Wir waren Amateurmusiker.
Christoph Wagner: Waren Bebop und Hardbop die Stile,
mit denen du angefangen hast?
Irène Schweizer: Nein! Ich habe davor Dixieland
gespielt, allerdings damals oft am Schlagzeug als ganz junges Mädchen.
Wir hatten eine Band in Schaffhausen, die nannte sich Crazy Stokers.
Wir spielten Dixieland und ein bisschen Swing in einer Besetzung mit
Klarinette, Trompete, Posaune, Tenorsaxofon, Banjo, Bass, Schlagzeug
und Klavier. Ich hatte Louis Armstrong 1958 “live” in Zürich
erlebt mit einer wahnsinnig tollen Band u.a. war Jack Teagarden dabei.
Allerdings war Dixieland für uns nur für kurze Zeit interessant.
Danach schalteten wir ziemlich schnell auf modernen Jazz um: Cool Jazz,
das Dave Brubeck Quartett, Gerry Mulligan. Darauf folgte die Hardbop-Phase,
wo wir Art Blakey’s Jazz Messengers kopiert haben.
Christoph Wagner: Was war der Impuls, die modernen
Richtungen aufzugreifen?
Irène Schweizer: Man hörte diese Musik
ab und zu im Radio und in einem Plattengeschäft in Schaffhausen
waren die Schallplatten von Art Blakey zu haben. Wir haben einfach die
Musik gemacht, die damals “in” war - das Allermodernste.
Christoph Wagner: Wo seid ihr damals aufgetreten?
Irène Schweizer: In Schaffhausen in meinem Elternhaus.
Meine Eltern hatten ein grosses Restaurant mit Saal. Da haben wir oft
gespielt, so alle zwei Monate ein Konzert gegeben. Auch in anderen Kneipen
und Sälen in Schaffhausen konnte man auftreten, in Singen in Deutschland
ebenfalls. Und dann natürlich beim Amateur-Jazzfestival in Zürich,
wo wir fast jedes Jahr dabei waren. Man bewarb sich, nahm dann an den
Vorausscheidungen teil, wo man vor einer Jury vorspielen musste. Ich
hab’ sogar einmal den 1. Platz gewonnen im Trio mit Mani Neumeier
und Uli Trepte. Damals war ich schon von McCoy Tyner und Bill Evans
inspiriert.
Mary Lou Williams: “Kool”
Von der Do-LP: Mary Lou Williams - The Ash Recordings 1944-47 (Fokways
FA 2966).
Mit: Mary Lou Williams - p, Kenny Dorham - tr, John H. Smith - gt, Grachan
Moncur - b. Recorded 1947.
Irène Schweizer (hört zu): Ich hab’
keinen Schimmer.
Christoph Wagner: Ich muss zugeben, dass diese Nummer
ein recht aussergewöhnliches Stück von Mary Lou Williams ist
mit Cooljazz-Anklängen. Sie war damals eine der wenigen Frauen
auf der Jazzszene. Wie waren deine Erfahrungen als Frau?
Irène Schweizer: Ich war lange Zeit die einzige
Musikerin. Nur in Zürich gab es noch Elsi Bianchi, die war zehn
Jahre älter und ist dann nach Amerika ausgewandert. Sie hatte ein
Trio und trat gleichfalls beim Amateur-Jazzfestival auf und hat Preise
gewonnen. Die spielte sehr modern - ein richtig tolles Klaviertrio mit
Charly Antolini am Schlagzeug. Eigentlich gab es im Jazz außer
uns nur noch ein paar Sängerinnen, und das war es dann auch schon.
Ich war immer eine Exotin. Als Instrumentalistin war ich lange die einzige.
Christoph Wagner: Wurden deinen musikalischen Aktivitäten
von deiner Familie akzeptiert?
Irène Schweizer: Mein Vater ist sehr früh
gestorben und hat das gar nicht mehr miterlebt. Und meine Mutter hat
gearbeitet, die hat das nur so am Rande mitgekriegt. Ich war ganz auf
mich alleine gestellt. Man hat mich aber machen lassen, wenn man auch
kein grösseres Interesse zeigte. Ich war angefressen vom Jazz und
wollte einfach spielen, und meine männlichen Musikerkollegen haben
mich unterstützt. Die fanden das toll.
Christoph Wagner: Hast du die Jazzcombo als Männerzirkel
erlebt?
Irène Schweizer: Das war schon hart manchmal,
obwohl, als ich so 18, 19 oder 20 war, da ging es noch. Erst in den
70er Jahren wurde es richtig schlimm mit den Freejazzern auf Tour. Das
war manchmal schon ziemlich schwierig für mich, vor allem wegen
der Saufereien, die ich nicht mitmachen wollte. Da fühlte man sich
doch ziemlich alleine.
Guru Guru: “LSD Marsch”.
Von der LP: Guru Guru - Hinten (Ohr).
Mit: Mani Neumeier - dr, Uli Trepte - b, Ax Genrich - g. Recorded 1971.
Irène Schweizer: Das klingt schon sehr modern
und recht europäisch.
Christoph Wagner: Das sind deine beiden ehemaligen
Mitstreiter, Mani Neumeier und Uli Trepte, mit ihrer Gruppe Guru Guru.
Das Stück heisst LSD-Marsch.
Irène Schweizer: Guru Guru ist das ? Oi-joi-joi!
Christoph Wagner: Wie habt ihr zusammen zu musizieren begonnen?
Irène Schweizer: Wir spielten Bill Evans und McCoy Tyner und
hatten dann lange ein Quartett mit dem Saxofonisten Alex Rohr aus Zürich.
Da haben wir dem John Coltrane Quartett nachgeeifert. Wir spielten viele
Stücke von Trane nach. Wir waren damals Amateure. Trepte arbeitete
als Buchhändler, Neumeier als Sanitärmonteur. Und Alex Rohr
hat Psychologie studiert, später wurde er Dozent an der Universität.
Christoph Wagner: Wie ging der Übergang zum freien
Jazz vor sich?
Irène Schweizer: Wir haben natürlich immer
die neusten Platten gekauft: Paul Bley, Ornette Coleman. Das haben wir
uns angehört. Auch die grössere Gruppe von Archie Shepp. Wir
investierten unser ganzes Geld in Schallplatten. Die Stücke von
Carla Bley, die Paul Bley interpretiert hat, haben mich stark beeinflusst.
Dann haben wir uns gelöst von der Tonalität und der Funktionsharmonik
und dem Rhythmus. Bei einer Probe haben wir plötzlich ganz frei
gespielt. Nichts war abgemacht. Es ist einfach passiert. Wir fanden
das viel spannender als Stücke zu spielen, die immer ungefähr
gleich abliefen.
Christoph Wagner: Wie hat das Publikum reagiert?
Irène Schweizer: Nicht sehr gut! Einige fanden
es schade, dass wir uns vom Swing lösten. Andere fanden es schrecklich.
Wir wurden dann aber bald zu einem Festival nach Frankfurt eingeladen,
wo wir gut bei den Kritikern ankamen. In den Clubs gab es immer zwei
Lager: Leute, die es mochten und andere, die uns ablehnten. Die sind
oft aus den Konzerten rausgelaufen. Wir wurden attackiert: ‘Das
hat doch weder Hand und Fuss. Wir wissen nicht, was ihr eigentlich wollt!’
Im Trio mit Neumeier und Trepte haben wir beim ersten Montreux Festival
1967 Yusef Lateef begleitet. Eine Agentur hat uns zusammengebracht.
Wir fungierten als seine Begleitband und spielten eine Art freier Musik
mit ihm, aber immer tonal. Ein bisschen wie Coltrane, also modal. Das
Zusammenspiel klappte prima. Ich fand Lateef wahnsinnig gut und er hatte
- glaube ich - auch Spass an unserem Trio, eine eingespielte Truppe.
Nach Montreux sind wir noch nach Deutschland gefahren für ein paar
Club-Auftritte.
Christoph Wagner: Warum sind Neumeier und Trepte weggegangen?
Irène Schweizer: Mani Neumeier wollte abspringen
vom Jazz. Ihm war das zu wenig Publikum. Er wollte ein Star werden,
gross rauskommen. Er hat dann Guru Guru gegründet und Uli Trepte
ist mitgegangen. Sie wollten einen anderen Weg einschlagen. Ich dagegen
wollte beim Jazz bleiben, weil mir das wichtig war und ich es eine tolle
Musik fand. Aber das Jazzpublikum war natürlich immer klein.
Selbstverständlich habe ich die ganze Rockmusik der 60er Jahre
mitbekommen, vor allem schwarzen Soul von Aretha Franklin über
Otis Redding und Wilson Pickett bis zu James Brown. Auch die Rolling
Stones, die Beatles, Frank Zappa, Bob Dylan - all diese Leute. Doch
wollte ich diese Musik nicht selber spielen. Das hat mich nie interessiert.
Aber ich hab’ sie gehört und fand sie toll.
John Coltrane: “Shifting Down”
Von der LP. John Coltrane - Coltrane Time. (United Artists).
Mit: John Coltrane - ts, Cecil Taylor - p , Chuck Israels - b, Kenny
Dorham - tp, Lewis Hayes - dr. Recorded 1958.
Irène Schweizer: Das muss aus den 50er Jahren
sein. Der Pianist ist kein normaler Bebop-Spieler. Es könnte Cecil
Taylor sein. Das ist ein banales Blues-Thema. Zuerst dachte ich, es
wäre vielleicht Duke Ellington. Der hat manchmal recht schräg
gespielt, deshalb kamen Red Garland oder Wynton Kelly nicht in die engere
Wahl. Taylor spielt hier wunderbar. Ich kannte die Platte nicht.
Christoph Wagner: Wann wurdest du auf Cecil Taylor
aufmerksam?
Irène schweizer: Das war erst Ende der 60er
Jahre. In Stuttgart beim Süddeutschen Rundfunk gab das Taylor Trio
1966 ein Konzert und da sind wir hingefahren, unsere ganze Band. Da
bin ich fast umgefallen. Das war Wahnsinn, hat mich richtig beeindruckt.
Ich wollte fast aufhören, weil das so übermächtig war.
Was will man da noch am Klavier machen? Es ging dann aber doch irgendwie
weiter und ich habe mich dann später von seinem Einfluss gelöst.
Seine Technik war phänomenal, dazu die Power und Energie. Ich hatte
noch nie so etwas gehört. Diese total freie Musik war völlig
neu, weil es bei Archie Shepp und Ornette Coleman ja immer noch Themen
gab. Taylor praktizierte dagegen die totale Freiheit.
Als ich in den 70er Jahren mit den Musikern aus Wuppertal zu spielen
begann, stand ich immer noch unter Taylors Einfluss. Bei den Berliner
Jazztage haben dann beide einmal solo gespielt: Cecil Taylor und Monk.
Da hat mich Monks Spiel viel mehr berührt und der Groschen ist
gefallen: Monk hatte keine Technik, aber musikalisch mehr zu sagen.
Ein Augenöffner für mich.
Christoph Wagner: War dein Trio mit Peter Kowald und
Pierre Favre die erste Band mit der du kompromisslosen Freejazz spieltest?
Irène Schweizer: Ja. Kowald hatte ich in Wuppertal
getroffen. Er ist dann mit seiner Frau und seinem Kind in die Schweiz
gezogen, wo er auch gearbeitet hat. Er hat in Nottwil gewohnt, wo Pierre
Favre und ich bei Paiste angestellt waren. Kowald hat dort auch ab und
zu Jobs gemacht. Pierre Favre hat bei Paiste den Drummer-Service geleitet.
Ich war seine Sekretärin. Wir haben manchmal jeden Abend nach der
Arbeit geprobt. Wir spielten total frei und hofften, dass sich mit der
Zeit ein Zusammenhang ergibt .
Christoph Wagner: Wie kam Evan Parker dazu?
Irène Schweizer: Kowald kannte ihn und hat ihn
in die Band gebracht. Wir spielten dann bei verschiedenen Festival im
Quartett. Das ging vielleicht so drei Jahre - Powerjazz von A bis Z.
Joachim Kühn Trio: “Traffic Madness”
Von der LP: Joachim Kühn Trio - Interchange. (MPS)
Mit: Joachim Kühn - p, Pierre Favre - dr, Peter Warren - b. Recorded
1971.
Irène Schweizer: Es hört sich an, als ob
die Platte zu schnell laufen würde. Noch so ein Techniker. Ist
es das Ganelin-Trio?
Christoph Wagner: Nein, es ist Joachim Kühn mit
Pierre Favre an den Drums von 1971. Mit Favre hast du ja länger
gearbeitet?
Irène Schweizer: Ja, recht lange. Wir hatten
die Band mit Kowald und Evan Parker. Trevor Watts stieg eine Zeit lang
ein. Favre hat dann Paiste verlassen und ist nach Zürich ins Radio-Orchester.
Er hat auch in Zürich gewohnt. Ich erhielt dann von Rüdiger
Carl einen Anruf, ob ich nicht eine Formation mit ihm gründen möchte?
Zuerst gab es ein Quartett mit Arjen Gorter (bass) und Heinrich Hock
(Schlagzeug), danach ein Trio mit Louis Moholo. Mitte der 70er Jahre
hatte ich das Gefühl, jetzt wird es Ernst und hab’ mit den
Nebenjobs aufgehört.
Roswell Rudd, Steve Lacy, Misha Mengelberg, Kent Carter, Han
Bennink: “Monk’s Mood”.
Von der LP: Roswell Rudd, Steve Lacy, Misha Mengelberg, Kent Carter,
Han Bennink - Regeneration. (Soul Note). Recorded 1982.
Irène Schweizer: Der Titel ist Monk’s
Mood. Ich bin mir nicht sicher, wer das hier spielt. Ich glaub nicht
einmal, dass Monk am Klavier sitzt. Das sind Europäer. Ich höre
Steve Lacy. Das ist die Platte mit Han Bennink und Misha Mengelberg.
Die beiden sind bis heute mein Lieblingsgespann. Sie haben mich wahnsinnig
beeinflusst. Alles was Misha Mengelberg macht, finde ich unheimlich
toll - sehr inspirirend. Die erste LP der beiden “Eine Partie
Tischtennis” auf FMP hat mich angeregt, es auch einmal mit Duos
zu versuchen.
Christoph Wagner: Du hast etliche Duos mit Drummern
gespielt. Was war das Reizvolle daran?
Irène Schweizer: Ich bin sehr angetan vom Schlagzeug,
weil ich auch ein bisschen Schlagzeug spiele, als Hobby. Ich hatte ein
Quartett in Zürich, mit dem wir ein Monk-Programm gemacht haben
und da hab ich Drums gespielt. Deshalb hab’ ich zum Schlagzeug
eine Affinität, das zum Klavier - einem Harmonieinstrument - als
Rhythmusinstrument gut passt. Es ist viel leichter mit einem Schlagzeuger
zu kooperieren als - sagen wir - mit einem Bläser.
Thomas Mabiletsa: Zulu Piano Medley No 1
Von der CD: From Marabi to Disco - 42 Years of Township Music. African
Classics. (Gallo Music). Recorded 1944.
Irène Schweizer: Keine Ahnung. Das ist mir fremd.
Christoph Wagner: Das ist südafrikanische Zulu-Musik.
Irène Schweizer: Das klang gar nicht typisch
für mich.
Christoph Wagner: Eine Verbindung zu Südafrika
entstand für dich durch die Exil-Musiker, die in Zürich eine
Zeit lang lebten.
Irène Schweizer: Das stimmt, durch die Blue
Notes. Zuerst kam Dollar Brand mit Makaya Ntshoko (Drums) und Jonny
Gertze (Bass). Die fingen an, im Züricher Club Africana zu spielen.
Danach kamen die Blue Notes nach Zürich, wo sie vielleicht ein
Jahr wohnten. Sie haben hier im Quintett gespielt, was für uns
unglaublich war. Sie brachten einen ganz anderen Wind rein. Wir sind
sehr gut mit ihnen ausgekommen und Louis Moholo kam immer zu unseren
Auftritten, wenn wir Coltrane-Nummern spielten. Er war begeistert von
unserem Quartett. Damals fing die Verbindung mit Louis Moholo an. Später
gingen sie dann nach London. Von Chris McGregor habe ich sehr viel gelernt.
Er kannte alle Monk-Stücke und hat mir die Harmonien gezeigt.
Doch es war nicht immer nur Sonnenschein. Oft gab es Stunk, weil sie
zuviel gesoffen haben. Dann wurden sie aggressiv. Vor allem Dudu Pukwana
ist oft regelrecht ausgeflippt. Es gab wüste Szenen. Doch musikalisch
fand ich sie irrsinnig.
Louis Moholo-Moholo & Stan Tracey: “Links”
Von der CD: Louis Moholo-Moholo & Stan Tracey: Khumbula -Remember.
(Ogun). Recorded 2004.
Irène Schweizer: Komm’ ich nicht drauf.
Christoph Wagner: Das ist einen neue CD von Louis Moholo
und Stan Tracey.
Irène Schweizer: Die hab’ ich.
Christoph Wagner: Was faszinierte dich am Spiel von
Louis Moholo?
Irène Schweizer: Er hat einfach einen ungeheuren
Drive. Die Fusstrommel geht echt ab. Sein Vorbild war Elvin Jones. Und
Moholo ist der einzige, den ich kenne, der in der Art von Elvin Jones
treiben kann. Unglaublich stark! Durch die Begegnung mit Evan Parker
und Trevor Watts hat er auch das freie Spiel erlernt. Das war eine tolle
Mischung. Denn auch wenn er frei spielt, ist es immer stark, hat immer
Punch. Er klingt nicht so blutleer-perkussiv wie Schlagwerker der zeitgenössischen
Musik.
Ich blieb mit ihm in Kontakt, als er später in England lebte und
reiste oft nach London, wo ich auch mit Harry Miller, Mike Osbourne
und Radu Malfatti musizierte. Mit Trevor Watts und John Stevens habe
ich ebenfalls sehr viel gespielt. Meistens privat - nur für uns.
Christoph Wagner: Was für ein Drummer war John
Stevens?
Irène Schweizer: Den fand ich auch sehr gut,
obwohl er ungefähr das Gegenteil von Louis Moholo war.
Christoph Wagner: Und was hälst du von Stan Tracey
als Pianisten?
Irène Schweizer: Tracey habe ich oft im Ronnie
Scott’s gehört. Er war ja der Hauspianist dort. Er war total
eigenständig, mit niemanden zu vergleichen, obwohl er stark von
Monk beeinflusst war. Er ist mehr ein tonaler Spieler geblieben, doch
kann er auch frei improvisieren.
Joelle Leandre &
Rüdiger Carl: Derek
Von der CD: Joelle Léandre & Rüdiger Carl: Blue Goo
Park. (FMP) Recorded 1992.
Irène Schweizer: Das ist Rüdiger Carl auf
dem Akkordeon mit Joelle Léandre.
Christoph Wagner: Du hast in deiner Jugend gleichfalls
Akkordeon gespielt?
Irène Schweizer: Ja. Die diatonische Handharmonika
war mein erstes Instrument, als ich acht Jahre war. Ich bin jede Woche
zum Musikunterricht und war Mitglied des Handharmonika-Clubs Schaffhausen.
Wir sind öffentlich aufgetreten und haben an Umzügen teilgenommen.
Ich war sehr stolz darauf und hab’ auch schweizer Volksmusik gespielt:
Ländler und Märsche. Ich hab’ dann zu Weihnachten von
meinem Vater ein Pianoakkordeon bekommen, als ich ungefähr zehn
Jahre alt war. Das hat mir überhaupt nicht behagt, weil man die
Tasten so schräg spielen musste. Und da wir ein Klavier im Hause
hatten und meine ältere Schwester ja klassisch ausgebildete Pianistin
war - nicht beruflich, aber sie hat jahrelang Unterricht gehabt und
konnte sehr gut Bach, Beethoven und Chopin interpretieren - da hab’
ich mir gedacht, ich will’s auch mal versuchen. Das Klavier hat
mir viel besser gefallen als das Schifferklavier. Bei den Dixieland-Bands,
die bei uns Restaurant geprobt haben, war immer ein Pianist dabei. Ich
hab also angefangen, solche Musik zu spielen - ein bisschen Ragtime,
Boogie-Woogie. Ich bekam dann regulären Klavierunterricht, Privatunterricht.
Mein Lehrer war recht aufgeschlossen und hat mir Dave Brubeck Stücke
und Benny Goodman beigebracht.
Christoph Wagner: Mit Joelle Léandre verbindet
dich eine lange Zusammenarbeit.
Irène Schweizer: Ganz am Anfang unserer Frauenmusik
mit der Feminist Improvising Group war Joelle Léandre noch nicht
dabei. Da waren nur die Engländerinnen: Maggie Nicols, Lindsay
Cooper, Georgie Born und Sally Potter. Die bildeten die Kerngruppe.
Daraus ist dann später das Trio Les Diaboliques entstanden. Joelle
Léandre hat uns mit der Feminist Improvising Group in Paris gehört.
Sie hat mich eingeladen nach Paris zu kommen, um ein Konzert zu spielen.
Von den ganzen Frauengeschichten ist heute nur noch die Zusammenarbeit
mit Joelle Léandre und Maggie Nicols übrig geblieben. Les
Diaboliques feierten letztes Jahr 20-jähriges Jubliäum. Das
war ein kleiner Schock, weil wir merkten, wie schnell die Zeit vergeht.
Neuerscheinungen:
Irène Schweizer: First Choice - Piano Solo KKL Luzern. Intakt
108. (www.intaktrec.ch)
Schweizer - Anderson - Drake: Willisau & Taktlos. Intakt 104 (erscheint
im Herbst 2006)
Auswahldiskographie:
Irène Schweizer: Portrait. Intakt Records 105.
Les Diaboliques: Live at the Rhinefalls. Intakt 059.
Irène Schweizer - Louis Moholo. Intakt 006.
Irène Schweizer - Andrew Cyrille. Intakt 008.
Irène Schweizer - Pierre Favre: Ulrichsberg. Intakt 084.
Irène Schweizer - Co Streiff: Twin Lines. Intakt 073.
DVD: Irène Schweizer - Ein Film von Gitta Gsell. (75 Min, Switzerland
2005) (www.reckfilm.ch)
Christoph Wagner, Jazzthetik,
Deutschland, Juli/August 2006
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