Sinnlich, vertrackt, abstrakt
Warum Trios aus Klavier, Bass und Schlagzeug so populär sind. Was viele so langweilig macht. Wie es anders geht
Welche Fülle! So viel Jazz drängt in den Handel, dass niemand gezwungen ist, aus Mangel an Nachschub auch nur ein Album zweimal zu hören. Vom Streaming gar nicht zu rexlen. Herrliche Zeiten, zum Schwelgen wie zum Entdecken! Die Flur der Veröffentlichungen ist allerdings auch reifsend: Wer kommt mit dem Hören noch hinterher? Und wer hätte noch den Überblick? Sitzen zwei Jazzkenner beisaramen und erzählen sich, was sie gerade toll finden: Kennt der eine noch nicht mal den Namen nach, was den anderen begeistert. Gut möglich, dass vor Monaten oder Jahren Alben herausgekommen sind, von denen man später einmal sagen wird, die seien herausragend gewesen, und man selbst hat – wiewohl ständig hörend – nichts davon mitbekommen.
Deswegen sei hier der Versuch unternommen, einmal innezuhalten und das enge Zeitraster aufzuziehen, in dem die Kritik Neuveröffentlichungen betrachter. Also nicht zu fragen, was kommt im März 2019 aktuell heraus, sondern, was ist über die letzten ein, zwei Jahre erschienen? Betrachtet sei das Klaviertrio, die Besetzung Klavier, Bass und Schlagzeug - die mit Abstand populärste Formation.
Das Klaviertrio ist im Jazz, was das Streichquartett in der Klassik ist. Die Beschränkung auf eine kleine, genau definierte Kombination von Instrumenten ermöglicht den unmittelbaren Vergleich verschiedener Ensembles und Ästhetiken-im Jetzt wie über Jahrzehnte hinweg. Da endet die Analogie dann auch, denn in der Klassik führen Streichquartett-Ensembles die Werke großer Komponisten auf, kaum je Eigenes; im Jazz gibt es heute nur Eigenes, von gelegentlichen Coverversionen abgesehen. Viele Klaviertrios heißen nach dem Pianisten, und so klingen sie. Das Yaron Herman Trio, Nick Sanders Trio, Kari Ikonen Trio, Oddgeir Berg Trio, Florian Favre Trio, Vadim Neselovskyi Trio, Philip Zoubek Trio, Jean-Paul Brodbeck Trio, Sade Mangiaracina Trio...
Der Pianist, fast immer ein Mann, schreibt die Stücke und sucht sich zwei Begleiter, die ihm treu folgen, oft über Jahre. Dagegen ist nichts zu sagen, man sollte es nur wissen, denn aus diesem Grunde bilden viele Trios kein gleichschenkliges Dreieck, sondern haben eine hierarchische Spitze. Mancher Pianist lässt das Wörtchen Trio auf seinen Platten sugar weg, dann steht als Narne nur Yonathan Avishai da oder Alexi Tuomarila oder Christian Pabst. (Kennen Sie alle nicht? Ja, siehe oben.) Das bekannteste europäische Klavierrrio ging 2008 mit seinem schwedischen Pianisten unter, der beim Tauchen ertrank. Ohne Esbjörn Svensson war von Dan Berglund und Magnus Öström nicht mehr viel zu hören; zehn Jahre später hat sich ihnen der norwegische Pianist Bugge Wesseltoft hinzugesellt, und die drei haben sich, um über den Jazz hinaus in die Popmusik auszugreifen, einen Bandnamen der dort üblichen Art gegeben, Rymden, zu Deutsch: Raum.
Halb Orchesterinstrument, halb Jagdwaffe – der Kontrabass
Eindrucksvoll aufspielende doutsche Thios werden von Pablo Held und Michael Wollny geführt; Letzterer füllt seit Jahren alle Säle. Unser Jazz-Star! In Amerika gibt es Vijay Iyer and Brad Mchidau, beide eine Klasse für sich. Wer sich der Form nähern will, kann mit ihnen beginnen. Abseits der Prominenz versuchen sich weltweit Dutzende, wenn nicht Hunderte Ensembles am Genre. Cher ihren kommerziellen Erfolg lässt sich wenig sagen, über die Ästhetik schon mehr.
Das Klavierrrio ist beim Publikum wohl deshalb so populār, weil es von seinen Komponenten her gut ins Ohr geht und zwischen den musikalischen Welten vermittelt. Das Klavier schließt wohltemperiert an die Klassik an, der volltönende Kontrabass ist halb Orchesterinstrument, halb Jagdwaffe Pfeil und Bogen! Das Schlagzeug schließlich steht für Rhythmus und Ritus. Das Archaische und das Kunstvolle sind in der Form aufs Schönste vereint, wie ja auch jeder zeitgenös sische Hörer den jungen Wilden und den Bildungshiürger in sich trägt.
Weil die Pianisten oft den Ton angeben, haben viele Trios eine Schlagseite zurn Flügel hin. Das Klavier wird zum Orchester in sich selbst, Bass und Schlagzeug verkümmern zum Ornament. Wer viele Trio-Platten nacheinander hörr, bemerkt die Klischees: das Klavier mit reichlich Hall, um die Melancholie des Solisten zu bekomen ein plumper Geschmacksverstärker. Einförmige Strukturen aus Thema, Variation, Thema, nach denen man die Uhr stellen kann. Melodien, deren dekorative Schönheit allein von ihrer Belanglosigkeit übetroffen wird. Man ist schon dankbar, wenn Bass und Schlagzeug mal einen Groove entfalten, statt nur lieblich an der Saite gezupft und am Becken gestreichelt zu werden.
Die Coverversionen tun ein Übriges, Manche Labels scheinen ihre Musiker zu ermuntern, bekannte Stücke aufzunehmen, um dem Publikum Anknüpfungspunkte zu geben. Besonders beliebt sind Jazzversionen von Popsongs. Was sich einmal verkauft hat, verkauft sich auch ein zweites Mal. Allerdings zeigt sich darin auc...