Mit "Ocre", einer Musik für Drehorgel, Piano, Tuba, Kontrabass und Schlagzeug, schlug die Lausannerin Sylvie Courvoisier noch im alten Millennium fast orkanartig in der Szene ein - das Album hat bis heute weder Kraft noch Aktualität verloren. Statt der Erweiterung ihres Klaviers mit elektronischen Supplements liess sie Pierre Charial in die Pappbänder seiner Drehleier Löcher stanzen, die für Menschen kaum spielbare Tonkombinationen und einen neuen Sound ermöglichten. Sie zog gewissermassen das Organische dem Synthetischen vor - und ist sich dabei bis dato treu geblieben. Dennoch hat sie ihr pianistisches Klangspektrum stetig ausgedehnt. Schon 2006 bei ihrem Solokonzert in Frauenfeld hatten präparierte Saiten und ihre Hände im Flügelinnern die Grenzen der Klaviatur gesprengt.
Konsequent weitet Sylvie Courvoisier mit einfachen Hilfen die Möglichkeiten ihres Instruments aus, um die Musik nach ihren Vorstellungen klingen zu lassen. Unter Einbezug unkonventioneller Töne nicht nur präparierter Saiten, sondern mit Ketten, Schlegeln und Bändern in Kombination mit dem Klavier erzeugter Töne aus blechernem Scheppern, Knarren, Knallen, Klirren, Rasseln, Läuten oder hölzernem Quietschen nimmt uns Sylvie mit auf zwölf kühne Reisen, die sie mit einnehmender Rhythmik, vertrauten Klängen, sinnlicher Reduktion bis hin zur beredten Leere, ungestümer Power und feinster Lyrik entwickelt und daraus eine überraschende Musik voller magischer Momente kreiert. Dabei laufen unterschiedlich traditionelle und absolut neue Klänge in grösster Selbstverständlichkeit ineinander, aus ungewohnten Tönen entsteht ein seltsam vertrautes Faszinosum geradezu magnetischer Wirkung. Ihre zweite Soloplatte ist die authentische Musik einer Künstlerin, die unsere Zeit mit grösster Sensibilität, immensem Können und unendlich scheinender Fantasie zum puren Hörvergnügen werden lässt, ein eindrückliches Beispiel dafür, wie sich Sylvie mit ihrer so eigenwilligen wie einnehmenden Musik erfolgreich seit über einem Vierteljahrhundert in New York behauptet und in unterschiedlichsten musikalischen Konstellationen über die globale Jazzwelt und das Alltägliche hinausleuchtet.