Kraft und Poesie - das Sylvie Courvoisier Trio im Münchner Jazzclub Unterfahrt.
Noch am Tag danach reibt sich der Kritiker erstmal die Ohren. Was war das jetzt? Dass die in New York lebende Schweizer Pianistin Sylvie Courvoisier mit ihrem fulminant besetzten Trio für einen aufregenden Abend sorgen würde, war gewiss. Aber das, was sie mit dem Bassisten Drew Gress und dem Schlagzeuger Kenny Wollesen am 5. Feburar 2025 auf die Bühne des voll besetzten Münchner Jazzclub Unterfahrt brachte, war dann doch mehr als das: ein erstes Highlight des Jahres.
Vom ersten Ton an wird deutlich: Dieses Trio vermittelt in einem einzigen Takt mehr Energie als andere in einem ganzen Konzert. Ein auf den ersten Höreindruck roh und unvermittelt wirkendes Kraftpaket, das gleichwohl ungemein diffizil gearbeitet ist, traumschön ineinander greifend, aufmerksam interagierend und auch immer wieder voller Poesie.
Gespielt werden Stücke der beiden Trioalben, D'Agala und Free Hoops, wobei man in den Widmungsträgern – neben Musiker:innen wie Geri Allen, Ornette Coleman und Irène Schweizer auch Künstlerinnen und Politikerinnen wie Louise Bourgeois und Simone Veil – die vielfältigen Einflüsse der Komponistin erkennt. Ihr eigenes Instrument, den gern präparierten und modifizierten Flügel, setzt sie mit Vorliebe perkussiv ein, traktiert ihn mit Handkanten, Fäusten und Ellbogen, als säßen ihr Aki Takase und Myra Melford im Nacken. Was aber nicht heißt, das sie nicht auch beidhändig virtuos improvisieren könne. Wobei sie bei aller Geschwindigkeit ihrer Tastaturläufe nie den Eindruck erweckt, irgendetwas würde ihr zufällig geraten, statt ganz bewusst in formvollendeter Schönheit modelliert worden zu sein.
Nach zwei langen Sets verabschiedet sich das Trio ohne Zugabe, und das Publikum versteht: Alles ist gesagt. Doch was bleibt dem Kritiker, der sich am Tag danach noch immer verdutzt die Ohren reibt? Erste Entzugserscheinungen lassen sich zum Glück recht schnell beheben: Mit Sylvie Courvoisiers 2024 erschienenem Soloalbum „To Be Other Wise“ zum Beispiel. Auch das, wie die Trioalben: ein Meisterwerk.
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