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Unabhängige Musik seit 1986.
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Bert Noglik honors Patrik Landolt’s lifelong devotion to music

Bert Noglik würdigt Patrik Landolts lebenslange Hingabe an die Musik

«Wer mit Empathie freie Musik produzieren will, sollte ein guter Gastgeber sein, ein aufmerksamer Zuhörer und ein kritischer Zeitgenosse. Vor allem aber ein Enthusiast, oder, um ein Wort zu bemühen, das altmodisch zu werden droht, aber keineswegs obsolet geworden ist: ein Idealist.»

Der Jazzjournalist, Herausgeber, Autor und Kurator Bert Noglik hielt im Sommer 2025 in Köln eine bewegende Rede anlässlich der Verleihung des Ehrenpreises der Deutschen Schallplattenkritik an Patrik Landolt.

Sie ist ein Zeugnis dafür, welches Vermächtnis unerschütterliche Beharrlichkeit selbst angesichts massiven Widerstands schaffen kann – aus dem Mund eines Zeitzeugen, der all dies hautnah miterlebt hat.

Lesen Sie unten das vollständige Transkript …

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Guten Abend und herzlich willkommen!

Vielen Dank an Intakt Records für dieses kleine, feine Festival. Die Musik steht im Mittelpunkt, aber sie vermittelt sich nicht von allein. Sie bedarf derer, die sie beflügeln, die sie auf die Bühne bringen, im Studio aufnehmen und auf Tonträgern produzieren. Um ein solches Engagement zu ehren, gibt es heute Abend einen Preis.

Der Ehrenpreis der deutschen Schallplattenkritik ist die höchste Auszeichnung des unabhängigen Gremiums, in dem sich circa 150 ehrenamtlich engagierte Musikfachleute, Kritikerinnen und Kritiker, Publizistinnen und Journalisten zusammengeschlossen haben. Es gibt 32 Fachjurys für die einzelnen Genres von Jazz, Rock und Pop über ethnische Musik, klassisches Lied, Kammermusik, Oper, Sinfonik und zeitgenössischer Musik bis hin zu Electronic und Experimental. Zu den Preisen zählen Bestenliste für das jeweilige Quartal, Jahrespreise und Ehrenpreise. Die Ehrenpreise werden an Persönlichkeiten verliehen, die sich auf besondere Weise um die Musik verdient gemacht haben und sind im Grunde so etwas wie ein Lifetime Achievement Award. Zu denen, die in den letzten Jahren mit Ehrenpreisen ausgezeichnet wurden, zählen unter anderem Herbert Blomstedt, Wolfgang Riehm, Manfred Eicher, Peter Brötzmann und Itzak Perlman. Der Preis genießt ein hohes Prestige, weil er von einer hohen Fachkompetenz vergeben wird und weil er unabhängig ist – unabhängig von der Musikindustrie, unabhängig von politischer Einflussnahme und unabhängig von Interessenverbänden. In dieser Unabhängigkeit hat der Verein einiges gemeinsam mit dem Plattenlabel, das heute im Fokus steht: Intakt Records.

Intakt Records ist kein Firmenimperium mit einer Chefetage und einer Armada von Angestellten. Viele Jahre lang hat Patrik Landolt die Geschicke des Labels von seiner Wohnung in der Züricher Neptunstraße aus geleitet. Und noch heute bewirtet er dort nach Konzerten oder Studioproduktionen Musikerinnen und Musiker in einer Anzahl, die jeden Brandschutzbeauftragten in pure Panik versetzen würde. Patriks Gastfreundschaft ist legendär und die von ihm, dem Griechenlandkenner und -liebhaber, selbst gefertigten Dolmadakia zählen dem Vernehmen nach zu den besten nördlich von Athen. Wer mit Empathie freie Musik produzieren will, sollte ein guter Gastgeber sein, ein aufmerksamer Zuhörer und ein kritischer Zeitgenosse. Vor allem aber ein Enthusiast, oder, um ein Wort zu bemühen, das altmodisch zu werden droht, aber keineswegs obsolet geworden ist: ein Idealist. Und damit komme ich nun zur eigentlichen Laudatio.

Selbstbestimmte kreative Arbeit beginnt dort, wo sie keinem Auftrag folgt, sondern einer inneren Notwendigkeit. Dem Antrieb, etwas zu tun, von dessen Dringlichkeit und Aktualität man überzeugt ist. Und das unabhängig davon, ob sich das im wirtschaftlichen Sinne lohnen wird, ob es sich auszahlt. Einer solchen Motivation ist Patrik Landolt gefolgt, als er 1986 mit abenteuerlichem Leichtsinn, großem Engagement und zugleich auch eher zufällig ein Plattenlabel gründete, das auf dem Gebiet des zeitgenössisch orientierten Jazz seither international zu den profiliertesten zählt. Ein Label, das die Entwicklung dieser Musik nicht nur abbildet, sondern exemplarisch erfahrbar macht, begleitet und befördert.

Um das historisch einzuordnen, muss man kurz zurückblenden. Anfang der achtziger Jahre ist die Zeit, in der in der Schweiz eine neue eine alternative Kultur mit elementarer Kraft aufzubrechen beginnt. Etabliertes in Frage stellend, wird mit neuen Kunst- und Protestformen experimentiert, für die sich das Ästhetische aufs engste mi dem Politischen assoziiert. In dieser Zeit beginnt Patrik Landolt, der schon als Gymnasiast ein Jazzkonzert organisiert und zunächst Philosophie studiert hat, seine Laufbahn als Journalist. Er zählt 1980 zu den Mitbegründern der WochenZeitung, die die beschriebenen Entwicklungen begleitet und mitgestaltet, die WoZ, der er 24 Jahre lang als Kulturredakteur treu bleiben wird. Schon damals schließt er sich mit Gleichgesinnten zusammen, um dem neuen, dem innovativen Jazz zunächst mit Fabrikjazz und dann ab 1984 mit dem Taktlos-Festival eine Plattform zu geben.

Auch wenn die Geschichte bekannt ist, soll sie hier noch einmal in Erinnerung gerufen werden. Vom ersten Taktlos-Festival im Jahr 1984 gab es Radiomitschnitte von Auftritten mit Irène Schweizer – brillante Tondokumente, die aber niemand veröffentlichen wollte. Also entschloss sich Patrik Landolt, das Material selbst herauszubringen. Die Platte mit der Nummer Intakt 001 fand überraschend große Resonanz und ist heute das, was man ein "Collector's
Item" nennt. Und das nicht nur, weil das Cover verkehrt herum bedruckt wurde, was auf die Unerfahrenheit der Akteure zurückzuführen war. Die Anfangsgeschichte macht deutlich, welchem kulturellen und politischen Klima Intakt Records seine Entstehung verdankt. Und sie erinnert zugleich daran, dass Irène Schweizer für Intakt so etwas wie einer Art Schutzpatronin wurde, zu einer engen Mitstreiterin und einer richtungsweisenden Musikerin – nicht im unbedingt stilistischen, sondern vor allem im moralischen Sinne, mit ihrem konsequenten Lebensentwurf, ihrer Kompromisslosigkeit, mit ihrem Anspruch an künstlerische Qualität und mit ihrer politischen Wahrhaftigkeit.

Von Anfang an gab es bei Intakt ein feministisches Engagement und ein geschärftes Bewusstsein für die Rolle der Frauen in der improvisierten Musik. Von Anfang an gab es Solidarität mit der Anti-Apartheid-Bewegung in Südafrika und ihren Exponenten im Exil, gab es einen Brückenschlag zu den Improvisierenden hinter dem Eisernen Vorhang in der DDR, gab es eine Attitüde gegen alles Restaurative und Konservative. Gemeinsam mit seinen Verbündeten – und da ist an erste Stelle seine Lebenspartnerin Rosmarie A. Meier zu nennen –, gelang es Patrik Landolt, dem Label ein unverwechselbares Profil und bald auch ein internationales Gesicht zu geben – also die Aufmerksamkeit auf die eigene, die Schweizer Szene zu richten und zugleich die Welt im Blick zu haben. Entgegen der Vorstellung, Europa habe seinen eigenen Jazz zu entwickeln, hatte und hat Patrik Landolt immer auch die transatlantischen Beziehungen im Fokus und einen enormen Respekt vor den afroamerikanischen Traditionen und ihren kreativen Fortschreibungen. Europäische Kultur als autonom zu denken wäre genauso kurzsichtig wie die Annahme von Nationalstilen. Jazz muss sich zur Welt öffnen. 

Schon der Name der Künstlerin Nummer eins des Labels steht für diese Überzeugung: Irène Schweizer. Intakt hat ihr Schaffen über all die Jahrzehnte begleitet, dokumentiert und auch ihre früheren Aufnahmen wieder zugänglich gemacht. Irène Schweizer, Joëlle Léandre und Maggie Nicols, Pierre Favre, Barry Guy und das London Jazz Composers Orchestra, Cecil Taylor, Alexander von Schlippenbach, Aki Takase, Elliott Sharp, Ulrich Gumpert und Günter Baby Sommer. Das Fundament von Intakt steht auf großen Namen. Und es hat herausragenden Schweizer Musikerinnen und Musikern nachwachsender Generationen eine Plattform gegeben: Sylvie Courvoisier, Co Streiff, Lucas Niggli, Omri Ziegele. auch einem genialen Außenseiter wie dem Akkordeonspieler Hans Hassler. Hinzu kamen und kommen  immer weitere aus allen Himmelsrichtungen; Ingrid Laubrock, Angelika Niescier, Mary Halverson, Alexander Hawkins, Christian Lillinger, Kaja Draksler, Petter Eldh,  Anna Webber, James Brandon Lewis…  und es geht weiter, eben und vor allem auch mit Jüngeren. Unmöglich, hier eine repräsentative Auswahl zu treffen oder auch nur die wichtigsten zu nennen. Schluss mit dem Name Dropping. Intakt steht nicht zuletzt für musikalische Pluralität und stilistische Diversität. Die Summe der Namen ist das Konzept. Der Katalog spricht für sich selbst.

Mit Intakt Records wurde ein Profil geschaffen, dass sich durch Offenheit auszeichnet und zugleich niemals in Beliebigkeit abdriftet. Das hat mit persönlichen Präferenzen zu tun, ist aber weit mehr als nur ein Spiegel des individuellen Geschmacks. Patrik Landolt, schon als Musikjournalist wie auch später als Plattenproduzent ein scharfsinniger Beobachter der Szene, schrieb bereits 1993 im Vorwort zu dem von ihm herausgegebenen Buch "Die Lachenden Außenseiter": "Präzise Wahrnehmung der Realität ist Bedingung für Musik, die auf der Höhe der Zeit ist. Eine solche Musik lässt wieder Rückschlüsse auf die Wirklichkeit zu, gibt uns Stimmungsberichte, ist Zeitdiagnose, hält uns den Spiegel vor, Musik als Hervorbringung und Erkenntnis von Wirklichkeit, und dies im Spiel, im Experiment, im Bauen und Zerstören von Formen, in lustvoller Kreativität." 

Für Patrik Landolt war immer beides wichtig und beides miteinander verbunden: das intellektuelle Reflektieren und die sinnliche Wahrnehmung. Essentiell dabei ist die Nähe zu den Musikerinnen und Musikern. die, wie er selbst sagt, für das Label zugleich zu Botschaftern und zu Türöffnern werden. Deshalb auch war und ist Patrik Landolt beständig unterwegs, sucht er Inspiration bei Konzerten, Festivals, in Gesprächen, auf Reisen und in Begegnungen mit anderen Künsten. Er selbst begreift seine Tätigkeit als die eines Verlegers, kultiviert das Produzieren von Platten wie ein guter Buchverlag die Zusammenarbeit mit seinen Autorinnen und Autoren. Dabei liegt ihm viel an langfristigen Kooperationen, am gemeinsamen Entwickeln von Projekten, am kreativen Hervorbringen von einer dem Wortsinn nach "neuer" Musik. Als Verlag gibt Intakt Records Orientierungshilfen, indem aus der oft unüberschaubaren Flut von Hervorbringungen eine Auswahl getroffen wird. Auszuwählen bedeutet qualifizieren, bedeutet Relevantes sicht- bzw. hörbar zu machen. Den Musikerinnen und Musikern begegnet dabei eine Sicht auf sie selbst, gewissermaßen "von außen".  Das kann in Gestalt von Kritik hilfreich sein im Sinne eines Korrektivs. Noch wichtiger ist die Rolle des Anregens, des Inspirierens und des Begleitens bei der Suche nach neuem Ausdruck, neuen Ideen und neuen Spielkonstellationen. Die Produktion ist dabei weit mehr als nur Abbildung. Sie führt oder unterstützt behutsam Regie, entwickelt Dramaturgien, befördert Brillanz und Transparenz.

Zur Achtsamkeit des Labels gehört die Betreuung der Musikerinnen und Musiker, die Sorgfalt beim Editieren der Produkte, die Herstellung, das Erscheinungsbild, die Promotion und die journalistische Unterstützung. Was die grafische Gestaltung der CDs anbelangt, die zum Teil hoch renommierten Künstlern wie Max Bill oder Gottfried Honegger anvertraut wurde und für deren Kontinuität der "Hausgestalter" Jonas Schoder sorgt, so hat Intakt Records ein unverkennbares Gesicht ausgeprägt. Beispielgebend sind auch die jeder Veröffentlichung beigegeben Liner Notes in Gestalt von ausnahmslos tiefsinnigen, oft literarisch angelegten Essays. Das Wort, nicht als Werbung, sondern Wegweiser und künstlerische Begleitung.

Wer als Musikverleger heute nichts anderes tut als Platten auf den Markt zu werfen, produziert an der Realität vorbei. Intakt Records hat seine Dokumentations- und Vermittlungstätigkeit stets im Kontext mit der lebendigen Entwicklung der Musik begriffen. So gehörte enge Kooperation mit der Live-Präsentation von Anfang an zum Programm, beginnend mit Fabrikjazz, dann mit dem Taktlos- und seit 2002 auch mit dem unerhört!-Festival, stets mit dem Bestreben, neue Formate und Organisationsformen zu entwickeln und nach außen zu strahlen. So war Intakt mit eigenen Programmreihen unter anderem im Moods in Zürich, im Porgy & Bess in Wien, in John Zorns The Stone in New York und im Vortex Jazz Club in London präsent.

Das Bild des Plattenproduzenten als Verleger kann und soll ergänzt werden durch ein anderes: das des Mäzens. Viele Jahre lang hat Patrik Landolt das Label Intakt Records ehrenamtlich betrieben. Erst nach dem Ausscheiden bei der WoZ wurde das Plattenproduzieren für ihn zum Berufseinkommen. "Als Mäzene", sagt er, "bringen wir nicht unser Vermögen, sondern unser Wissen und unsere Erfahrungen ein." Was hier investiert wurde und nicht mit Geld aufgewogen werden kann, ist das persönliche Engagement. Dazu passt, dass Intakt Records seit 1986 nicht als private Firma, sondern in der juristischen Form eines Vereins geführt wird. Intakt war von Anfang an als kollektive Arbeitsgemeinschaft, als Kooperative angelegt.

Mancher, manche mag sich gefragt haben, was Patrik Landolt bewogen hat, nach 36 Jahren erfolgreicher Arbeit, Intakt an ein engagiertes Team von Jüngeren mit Florian Keller, Anja Illmaier, Fiona Ryan, Ariane Pollo und Elia Aregger zu übergeben. Die Antwort ist naheliegend, weil in der Philosophie des Unternehmens begründet: es geht nicht nur um die Verjüngung, sondern um den vitale Fortbestand und die Zukunftsvision des Labels, dem der Gründer nach wie vor beratend verbunden bleibt. Bemerkenswert, dass die Weitergabe der Verantwortung in einer Phase erfolgte, in der Intakt auf stabileren Füßen stand als je zuvor in der Geschichte des Labels. Auf die Frage eines Journalisten, ob er nicht eigentlich unentbehrlich sei, entgegnete Patrik Landolt pointiert: "Wenn ich unentbehrlich wäre, wäre unser Projekt gescheitert." Gelohnt, um auf die Eingangsbemerkung zurückzukommen, hat sich das schließlich allemal, gelohnt in Gestalt eines Lebens wie man es sich reicher an Begegnungen und Erfahrungen kaum vorstellen kann.

"Die Musik", sagt Patrik Landolt, "kondensiert Erfahrungen und Gefühle. Unser Platten-/CD-Regal spiegelt unsere Biografie wider und ist weit über uns hinaus eine Chronik der Zeit, geschrieben mit Emotionen, mit Zorn, Freude und Empathie." Intakt Records hat an dieser Chronik kräftig mitgeschrieben. Die mittlerweile um die 450 Produktionen sind eine gewaltige Referenz-Bibliothek für die kreative Entwicklung der genreübergreifenden Entwicklung des neuen Jazz und der improvisierten Musik der letzten vier Jahrzehnte. 

"Aber Kunst", um noch einmal Patrik Landolt zu zitieren, "bildet die aktuelle Welt nicht nur ab, sondern erschafft im kreativen Prozess neue Welten. Jede CD ist als neue Produktion ein Stück neu geschaffene Welt – sei es, indem sie die herrschende Welt als Erfahrung verdichtet oder transzendiert, oder indem sie Töne, Bilder und zukunftsweisende Umgangsformen als Utopie antizipiert."

Intakt Records  wäre nicht existent, wäre nicht vorstellbar ohne die Leidenschaft des Verlegers, den wir heute auszeichnen. Patrik Landolt, herzliche Gratulation zum Ehrenpreis der Deutschen Schallplattenkritik!

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Loft Köln, 28. Mai 2025

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