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Unabhängige Musik seit 1986.
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033: LES DIABOLIQUES. Les Diaboliques

Intakt Recording #033 / 1994

Irène Schweizer: Piano
Maggie Nicols: Voice
Joëlle Léandre: Bass


Ursprünglicher Preis CHF 12.00 - Ursprünglicher Preis CHF 30.00
Ursprünglicher Preis
CHF 30.00
CHF 12.00 - CHF 30.00
Aktueller Preis CHF 30.00
Format: Compact Disc
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Dieses Album ist ein Meilenstein in der Geschichte des Jazz und der europäischen improvisierten Musik. Die erste Veröffentlichung des Trios Les Diaboliques mit Irène Schweizer, Piano, Maggie Nicols, Vocals und Joëlle Léandre ist ein künstlerisch und historisch bedeutendes Dokument. Mit dieser Veröffentlichung legen die drei Musikerinnen den Grundstein für die dreissigjährige Zusammenarbeit der wohl bedeutendsten Workingband von Musikerinnen. Der Beginn einer neuen Ära im Jazz.

Die Schweizer Schriftstellerin Isolde Schaad schreibt in den Linernotes: «Irène Schweizer, Piano, Maggie Nicols, Vocals, Joëlle Léandre, Bass: Drei Rebellinnen ihres Faches, die ihre Rebellion zu höchster Profession kultivieren, in Jahren einer quer¬gängerischen Eigenständigkeit, für die jede für sich allein schon berühmt ist, und Gott, was sind sie zu dritt! Sie sind die phänomenale Integration des Widerspruchs, die quick¬le¬¬bendigste Synthese eines Musikan¬tin¬nentums, das auf dieser CD einen seltenen Anspruch erfüllt: die Linien¬führung und die Kontinuität einer kompositorisch angelegten Zusammenarbeit mit dem spontanen Element der Improvisation anzufeuern. Das elegant Konzertante mit dem Vulgären von ganz unten und ganz draussen aufzuladen, so fabelhaft proletenhaft, wie das nur Maggie Nicols kann, in mehreren Sprachen kann, in langen Suaden, in welchen das Klavier sie begleitet. Es ist insgesamt, wenn man so sagen will, die Partitur der Erfahrung, die das Trio führt, aber es ist der Augenblick und sein Einfall, der entscheidet über den Fortgang des Stückes, seinen Verlauf, seine Dramaturgie.

Wenn drei so erfahrene musikalische Rebellinnen zusammenkommen, wie diese drei, um ein Trio namens Les Diaboliques zu bilden, so ist das kon¬spirative Element gegeben. Was dann darüberhinaus entsteht, ist tatsächlich etwas Neues. Ich wage das Wort, denn auf Anhieb wird klar, wenn man sich diese erste gemeinsame CD der drei renommierten Musikerinnen an¬¬hört, dass nach Monk und Coltrane noch etwas anderes kam, und es kam von Frauen. Es handelt sich wohl um die weibliche Fähigkeit, sich in dem, was ein Musikkritiker die «kollektive Erfindung» nennt, anders zu entfalten, als Männer das für gewöhnlich tun. Nämlich nicht in der Konkurrenz, sondern in der wechsel¬seitigen Inspiration. Und diese besteht vor allem aus der menschlichen Kommunikation, hier in Stimme und Instrument, oder beidem oder den wechselseitigen Zuordnungen und musikalischen Funktionen, die die drei in der souveränen Freiheit aufgrund ihres Könnens entwickeln. Joëlle Léandre zum Beispiel tritt stets mit ihrem Bass auf, als sei der eine eigenwillige Persönlichkeit, im Guten und im Bösen menschlich, mit den Eigenschaften eines Streichinstruments, unter anderen Eigenschaften. Das ist wichtig zu wissen, denn die Bassgeige von Joëlle kann sich zu einer clownesken Autonomie emanzipieren, die mit Feingefühl und Respekt zu behandeln ist, wie diese Musikerin in einem solchen Fall dann zum Bersten komisch vorführt.

Es sind die performerischen Qualitäten, die von Frauen kamen, die das Spektrum öffneten und weiteten, von dem, was einst Jazz geheissen hat. Bei Maggie Nicols ist es die Stimmführung, ihr Stimmeinsatz in einer rhetorischen und rezitativen Skala, von Virtuosität und einem grandiosen Witz entfacht, wie sie sonst in der Musik nur selten in ähnlicher Weise zum Blühen kommen. Das kitzelt sich und hievt sich gegenseitig hoch. Und dieser Witz, diese Ironie beflügelt, überträgt sich, sodass auch das Klavier sich ironisch gibt: Nie hat man Irène Schweizer gleichzeitig so souverän, ja klassisch in der Beherrschung ihres Métiers und zudem so witzig angetroffen wie auf dieser CD mit Les Diaboliques. Zwar fundiert, grundiert sie das Ganze mit dem soliden Klanggebäude des Klaviers, und es ist zweifellos ihre überlegene Sachlichkeit, die die hohe musikalische Qualität dieser CD festigt, damit die Vocal- und Bass-Soli ¬– was leicht geschehen könnte – nicht plötzlich auf der Strecke bleiben, oder ins Betuliche ausufern. Dann schreitet das Klavier ein, und schiebt als Kommentar ein braves Rondo, entwickelt daraus ein Klangmuster in eigenwilliger Insistenz, wie die quälend zitierte Klavierstunde. Um dann im nächsten Satz das tragische Los der Stimme zu mildern, indem sie es relativiert, ja bagatellisiert, unterstützt jetzt von der Streichtirade des Basses. Das Trio arbeitet auf dieser CD durchgehend mit Brechun¬gen, durch harte Schnitte, brüsken Stimmungswechsel oder durch Überzeichnungen. Und mehr noch: Übertreibungen assozieren ein Sozialklima, sodass man beinahe filmisch in Hörlandschaften gelangt, die aufschiessen aus dem Schrebergarten der englischen workingclass. «I was just saying the other day …»

Wobei immer ein Beitrag den anderen provoziert, untermalt, erzeugt, hervorlotst, lockt und ködert. Das Kla¬vier kommentiert mit einem ge¬¬¬¬r¬afften Bogen von Triolen oder mit Gleichklang ad libitum, als wollte es sagen, so ist es also, ist das wirklich so? Oder die Stimme unterbricht den ins chopinhafte gelangten Klavierduk¬tus, der Quintenzirkel immer als Struktur, die das alles zusammenhält, sogar die sägende Stimme und die geigende Säge und das Fräsen am Ganzen. Wobei dann wiederum das Klavier interveniert mit furiosen Orkanen, usw.usw. Und eins entsteht aus dem andern, treibt das andere weiter, worauf sich jenes erhebt, um das erstere zu unterstützen, aufgrund des Wechsels entsteht die Einsamkeit eines Solos oder das grosse Palaver, wobei das Ganze sich immer wieder findet, integral im Dreiklang.
Irène Schweizer spielt ein Klavier, das Berge versetzen kann, Stimmgänge verschieben, untermauern in der in Jahren ausgereiften Könnerschaft, die das ganze Repertoire jederzeit ausspielen könnte, wenn hier nicht der Charakter und das Profil dieser Pianistin sich in der Allüre zurückhielten. «They will destroy you slowly (Social Democrats), they will destroy you quickly (Tories)», ächzt die Stimme, kratzt der Bass. Und das Piano lässt ihnen den Vortritt, ja, es ist, als würde es den Vortritt erteilen, um sich dann nach ihnen umso stärkerzu entfalten, in einem rhythmisch strengen Durchlauf, der wie ein gros¬ser Wel¬¬¬¬lengang daherkommt, nach den kapriziösen und riskanten Vor¬trä¬gen der Partnerinnen. Das Klavier ist dann in seinen perlenden Arpeg¬gios ein festlicher Applaus. Und schon geht es weiter, über Stock und Stein eines unerschöpflichen Einfallsreichtums.

Jetzt fällt ein Gerölle herab, wer weiss woher, und es geigt und streicht, und man hat schon den Ahaeffekt im Ohr, so streicht nur Joëlle die Bass¬geige, in dieser verqueren Insistenz, die doch rhythmisch bleibt, und immer Musik ist, selbst in der abgefeimtesten Dissonanz, das Können ist diesem clownesken, an der Klassik geschulten, satie- und cagetrun¬ke¬nen Quergang nicht auszutreiben. Und das gilt für alle drei, man kann nicht genug bekommen, von dieser Erschaffung neuer Ver¬kehrs¬¬formen, zwischen Mensch und Instrument und Frau und Mensch, von Instrument zu Frau zu Mensch und alle miteinander und jede für sich und Gott gegen alle. Menschlich in jedem Fall. I was just saying the other day …

Les Diaboliques, das ist eine musikalische Synergie von der wunderbaren Art, denn diese Musik wirkt auf mich, die Hörerin, als sei ich ein Teil von ihr, als sei ich mitgemeint, als Element eines weiblichen Gesamtkunstwerks. Weil sie über jede Ideologie hinausgewachsen sind, jeden Ismus hinter sich gelassen und sich jeder begriff¬lichen Vereinnahmung entzogen haben. Sie sind die Botschaft selbdritt, Les Diaboliques.»
Isolde Schaad

Album Credits

Cover Art: Rosina Kuhn
Foto: Felix von Muralt/Lookat
Liner Notes: Isolde Schaad

Compositions by Irène Schweizer, Maggie Nicols and Joëlle Léandre. Recorded at Centre Culturel Suisse, Paris, April 23 and 24, 1993. Engineer: Daniel Deshays. Mastered July 24 at Studio Daniel Deshays Paris by Joëlle Léandre, Rosmarie A. Meier and Patrik Landolt.
Executive Production: Rosmarie A. Meier and Patrik Landolt
Produced and published by Intakt Records

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