Verknüpfen amerikanische und europäische Traditionslinien
Lake-Weber-Ulrich
Jahrzehnte lang gaben die USA im Jazz den Ton an. J Aus dem Geburtsland der improvisierten Musik kamen die stilprägenden Musiker und die innovativen Impulse. Der europäische Jazz hat mittlerweile aufgeholt, sich emanzipiert und eine eigene Identität entwickelt. Längst begegnet er seinem amerikanischen Ziehvater selbstbewusst auf gleicher Augenhöhe.
Das regt zu Kooperationen zwischen Musikern von beiden Seiten des Atlantiks an. Transatlantische Band-projekte sind darum keine Seltenheit mehr. Das Trio des amerikanischen Altsaxophonisten Oliver Lake und der beiden Schweizer Dieter Ulrich, Schlagzeug, und Christian Weber, Bass, ist dafür das beste Beispiel.
Die Gruppe formierte sich 2007, als Lake beim Zürcher Unerhört-Festival als Mitglied des Trio 3 „Artist in Residence" war. Ein zusätzlicher Auftritt bot sich an. Dieter Ulrich war von der Möglichkeit wie elektrisiert, war doch Lake immer einer seiner Lieblingssaxophonisten gewesen, ein Geschichtenerzähler mit Blues-Vergangenheit (auf die auch Ulrich verweisen kann), der nie ein Risiko gescheut und sich auch in anderen Stilen wie Funk und Reggae umgetan hatte - die Idealbesetzung!
Eine einzige Probe wurde angesetzt, zu der Lake gleich ein paar Kompositionen mitbrachte und die laut Ulrich- "magnetisch" verlief. „Der Draht war sofort da. Wir lagen auf derselben Wellenlänge", erinnert sich Christian Weber. Das Konzert fiel ähnlich inspirierend aus. „Es fühlte sich völlig organisch an, unkompliziert und selbstverständlich", bestätigt Ulrich.
Weitere Auftritte wurden absolviert, eine kleine Tournee organisiert, 2009 spielten die drei ihr Debütalbum ein. Selten hatte Lake in den letzten Jahren so entfesselt geklungen. Die Resonanz war derart überwältigend, dass die Gruppe 2011 erneut eine Einladung zum Unerhört-Festival erhielt. Um nicht den Eindruck eines bloßen Re-Runs" zu vermitteln, holte man für den Auftritt den deutschen Posaunisten Nils Wogram an Bord, der sich zuvor begeistert über die Band geäußert hatte. Ein komplett neues Repertoire wurde einstudiert, wobei neben Oliver Lake, der den Großteil des Materials lieferte, auch Dieter Ulrich und Nils Wogram jeweils ein Stück beisteuerten. Die Ellington Komposi-tion Johnny come lately" in einem freien Arrangement von Ulrich rundete das Programm ab. Der „Live"-Mitschnitt des Konzerts ist auf der vorliegenden CD enthalten.
Oliver Lake (Jahrgang 1942) stellt die direkte Verbindung zur schwarzen Jazztradition dar. Aufgewachsen in St. Louis an den Ufern des Mississippi, spielte er zuerst Trommel in Blaskapellen. Erst relativ spät mit siebzehn erwachte sein Interesse am Saxophon. Er trat mit Rhythm & Blues-Bands auf. Befeuert vom „Black Power"-Aufbruch, wurde er Ende der 1960er Jahre zu einer treibenden Kraft der „Black Artists' Group", einer schwarzen Künstlerselbsthilfeorganisation. Wie ihre bekanntere Zwillingsassoziation in Chicago AACM neigte auch die BAG der Avantgarde zu, machte mit multimedialen Experimenten Furore, wobei sie gleichzeitig Musikunterricht für die Kids im Ghetto organisierte.
In der zweiten Hälfte der 70er Jahre avancierte Lake zu einem Fixstern der New Yorker Loft-Szene und hob mit David Murray und zwei Getreuen aus der Black Artists' Group, Julius Hemphill und Hamiet Bluiett, das World Saxophone Quartet aus der Taufe. Er spielte mit James Blood Ulmer das epochemachende Album „Are You Glad To Be In America" ein, das den punkigen Funk-jazz auf den Weg brachte. Daneben war er mit eigenen Ensembles aktiv, die eine Fusion von Jazz und Reggae anvisierten.
Obwohl eine bis zwei Generationen jünger als Lake sind Dieter Ulrich (Jahrgang 1958) und Christian Weber (Jahrgang 1972) ähnlich versierte Improvisatoren „zwei sehr talentierte Musiker" (Oliver Lake). Beide gehören zu den gefragtesten Jazzmusikern der Schweiz und haben auch international in den letzten Jahren an Profil gewonnen. Das gleiche gilt für den Wahlzürcher Nils Wogram (Jahrgang 1972), ein Posaunist der Extraklasse, der sich als „Special Guest" mit Haut und Haaren auf das Projekt einließ.
Oliver Lake verkörpert schwarze Jazzkultur pur. In sei-nem bluesgetränkten Spiel, kann man noch die alten „Field Holler" des amerikanischen Südens rumoren hören. Eine untergründige Energie schwelt im berstenden Ton seines Altinstruments, wie man es auch von Ornette Coleman kennt.
Dieter Ulrich, im Zweitberuf studierter Kunsthistoriker, besticht durch ein melodisches Trommelspiel mit intuitivem Timing, das nie aufdringlich wirkt, sondern sich sensibel und einfühlsam ins Geschehen einbringt. Sein federnder Swing bildet mit Christian Webers Bassläufen eine elastische Einheit, die reaktionsschnell und flexibel mit den Solisten interagiert.
Der Kontrabassist als ruhender Pol zieht abgeklärt aus dem Hintergrund die Fäden, um selbst im dichtesten Getümmel nicht den Überblick zu verlieren. Sein souveränes Spiel wird zum Echolot, das die Solisten durch aufgewühlte Gewässer na...