Ein faszinierendes Stimmwunder im Reich überraschender Klänge
Andreas Schärer
Jazzsänger, Sänger ist wohl nicht der ganz zutreffende Begriff, der Andreas Schaerers Vocalartistik umreißt. Er geht mit der Stimme über alles hinaus, was hinlänglich bekannt ist, verblüfft bei seinen Live-Auftritten immer wieder aufs Neue mit Crooner-Elementen, Scat, Rap, malerischen Klangfarben, Beat-Box-Ausflügen und geradezu vertrackten Stimm-exkursionen mit einer Performance, die eine stark theatralische Komponente hat. Faszination pur! Den ECHO Jazz 2015 in der Kategorie „Sänger des Jahres international" hat dieser Schweizer Vokalkünstler mehr als verdient!
Andreas Schaerer, du hast von 2000-2006 an der Hochschule der Künste u. a. bei Sandy Patton in Bern Gesang studiert. Diese amerikanische Sängerin ist ganz stark in der amerikanischen Jazzgesangs-Tradition verwurzelt. Sie besitzt jedoch ein untrügliches Gespür dafür, was die StudentInnen, die Vokalistinnen, die bei ihr Unterricht nehmen möchten, für Talente und Fähigkeiten besitzen. Und sie ermutigt sie auch in diese Richtung zu gehen. Was hast du bei ihr gelernt?
Ich habe bei ihr vor allem gelernt Emotionalität in der Musik zu finden, sie zuzulassen, zu abstrahieren, Songtexte zu gestalten. Die emotionale Seite der Musik lebt sie ganz stark aus und kann sie auch sehr gut vermitteln. Als ich angefangen habe zu studieren, war ich fasziniert von der Virtuosität in der Improvisation, von schnellen harmonischen Entwicklungen, komplexer Rhythmik. Ich habe mich aber weniger mit Emotionalität auseinandergesetzt. Und die wollte ich verstärkt in die Musik einbringen. Daran habe ich stark gearbeitet und unglaublich davon profitiert.
Du hast als Kind schon mit der Stimme experimentiert. Ich nehme an, dass wenn man in der Schweiz, dem Emmental, aufwächst, man andere singen, jodeln hört, und man gerne seine eigene Stimme ausprobiert, wenn ein Echo kommt. Es war wohl für dich das Natürlichste von der Welt etwas spielerisch mit der Stimme zu machen.
Also das mit den Alpen in der Schweiz ist eine Vorstellung, die sehr schön ist, aber es ist nicht so, dass alle Leute, die in der Schweiz sind oder zumindest in einigen Gebieten dort sich abends vors Haus stellen und anfangen zu jodeln. Leider ist das so nicht, das wäre eigentlich ganz schön! Die geographische Umgebung war gar nicht so relevant bei mir. Ich weiß, ehrlich gesagt, noch heute nicht woher das kommt, das Singen ist irgendein Ding, das ich sehr früh schon, so mit drei Jahren, angefangen habe. Vor allem habe ich einfach rhythmische Fragmente ewig wiederholt, und zurückgezogen und kopiert. Ich habe dann früh angefangen einfache Formen von Beatboxing zu üben. Ohne, dass ich das damals je gehört hätte, das war Anfang der 1980er Jahre. Beatboxing war ein Fremdwort, YouTube war noch weit entfernt! Ich wusste nicht woher das alles kommt, das ist mir mehr oder weniger zugeflogen in den letzten Jahren. Es hat mit Faszination zu tun ich habe selber Kinder - die sind 3 und 6 Jahre alt. Mein Sohn macht das auch stark, und ich habe ihn überhaupt nicht gepusht. Er singt manchmal pausenlos. Meine Tochter erzählt bisweilen so sängerisch Geschichten, die sie erlebt hat. Oder erfindet selbst etwas. Die beiden singen einfach so rhythmisches Zeugs, wiederholen es immer und im-mer wieder. Solche Dinge habe ich auch gemacht als Kind.
Wenn deine Kinder dich zuhause singen hören, dann wundert es einen nicht, dass da der Trieb des Nachahmens groß ist. Aber wie kam bei dir dann der Sprung abstrakt, radikal und avantgardistisch zu singen, also alle nur erdenklichen Möglichkeiten der Stimme auszuloten?
Da sind verschiedene Dinge zusammen gekommen. Also das eine: Dass ich als Teenager viel mit meiner Stimme experimentiert habe, aber nicht in der Absicht: Ich will Sänger werden oder ich will in die Avantgarde kommen. Das war für mich nie eine Option. Ich kannte nicht einmal Leute, die das machen. Dann habe ich so am Ende der Teenager-Jahre, so mit 18, 19 Jahren, Gitarre gespielt, auch Unterricht genommen und auf der Gitarre auch so ein bisschen Improvisation geübt. Und dann gemerkt, dass ich so viele klare Ideen im Kopf habe, aber sie beim Gitarrenspielen nicht schnell genug umsetzen kann. Wieso mache ich das nicht mit der Stimme, nehme diesen Umweg über das Instrument, sagte ich mir. Das war die eine Erkenntnis. Parallel dazu war ich viel auf Reisen, insgesamt ein Jahr in Südamerika, und habe mir dort auch überlegt: Wie geht es jetzt weiter? Ich hatte gerade meine Ausbildung als Grundschullehrer abgeschlossen und dachte darüber nach, was kann ich noch weiter machen könnte. Dann entschied ich mich dafür mich professionell mit Musik zu beschäftigen. Und da habe ich schnell realisiert, dass man im Jazz mit der Stimme sehr frei umgehen kann. Ich habe Scat-Solos gehört, von Ella Fitzgerald und wer das nun alles war, sehr traditionelle, und dabei gemerkt, dass die genau das auf der Bühne machen, was ich zu tun versuche. Das hat mich fasziniert. So habe i...