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Unabhängige Musik seit 1986.
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240: MELINDA NADJ ABONJI – BALTS NILL. Verhören

Intakt Recording #240 / 2014

Melinda Nadj Abonji: Lyrics, Voice, Vocals, Violin
Balts Nill: Lyrics, Percussion, Ukulele
Guests:
Hanspeter Müller-Drossaart: Voice
Mich Gerber: Double Bass


Ursprünglicher Preis CHF 12.00 - Ursprünglicher Preis CHF 30.00
Ursprünglicher Preis
CHF 30.00
CHF 12.00 - CHF 30.00
Aktueller Preis CHF 30.00
Format: Compact Disc
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Oh, der Kopf, in ihm nisten doch alle Dämonen, die guten und die bösen, und die guten wie die bösen entwischen wieder, durch die Ohren, die Augen ...

Balts Nill, viele Jahre bei «Stiller Has», Melinda Nadj Abonji, Schriftstellerin, Sängerin, Violinistin, geehrt mit dem Deutschen- und dem Schweizer Buchpreis für ihren Roman „Tauben fliegen auf", präsentieren mit „Verhören" ein die Genres sprengendes Musikstück.
Auf Einladung der Kulturinitiative „Hexperimente" im Val Avers vertieften sie sich in die Gerichtsprotokolle zum Hexenprozess von 1652 gegen Trina Ruedi.
Die Gerichtsakten ergänzen und kontrastieren sie mit eigenen Texten, Zwischenstücken, Improvisationen und Songs.
„Auf einmal ist da ein anderer Ton", schreibt Balts Nill über den Entstehungsprozess. „Ein spöttisches Aufbegehren gegen Dumpfheit und Aberglauben.
Eine Sprachmelodie löst sich aus dem gerichtlichen Diskurs. Eine Figur zeichnet sich ab, ein Subjekt das spricht. Dieses Subjekt, das unserer Einbildungskraft entspringt, ist der Ausgangspunkt für einen neuen Text, einen Gegentext zu den Protokollen.
Verhören ist ein berührender Grenzgang zwischen Musik und Sprache, geschichtlicher Deutung und Zeitdiagnose - höchst aktuell in der Auseinandersetzung mit Gender-Fragen, faszinierend im Spiel mit Sinnlichkeit, Körper, Repression und Befreiung.

Album Credits

Cover Art: Rosemary Laing courtesy Galerie Lelong, New York
Graphic design: Jonas Schoder

Music: Melinda Nadj Abonji and Balts Nill. Texts: Melinda Nadj Abonji, Balts Nill and court records. Recorded on 16, 17 January 2014 by Martin Pearson for Swiss Radio and Television. Recording production SRF: Roland Wächter and Ina Boesch. Mixing: Martin Pearson, Balts Nill and Melinda Nadj Abonji. Mastering: Adriano Tosetto, AudioWorks, Liebefeld. The project was initiated by Hexperimente, Ina Boesch, Corinne Holtz, Val Avers, 2012. CD-Produktion: Melinda Nadj Aboni, Balts Nill und Intakt Records, Patrik Landolt.

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Steff Rohrbach
Jazz'N'More Magazine

Rafik Schami/Günter Baby Sommer, Christian Uetz/Koch-Schütz-Studer, Urs Widmer/Michael Riessler, Tim Krohn/Wickihalder-Orchestra: Intakt überrascht uns immer mal wieder mit ausseror-- dentlichen Mischehen von Wort und Klang, Literatur und Musik. Nun ist die Reihe an Melinda Nadj Abonji und Balts Nill. Ihnen gemeinsam ist, dass sie beide Seelen, Text und Ton, in sich vereinen und mehrgleisig arbeiten. Die Schriftstellerin, seit "Die Tauben fliegen auf" 2010 und ihrem Erfolg bei der Vergabe der Literaturpreise in Deutschland und der Schweiz breiter bekannt, wirkt auch als Solo-Performerin und mit dem Rapper und Human Beatboxer Jurczok 1001 mit Gesang und Geige. Nill, bis 2005 stiller Ur-Has mit Germanistik- und Philosophiestudium und Unterricht bei Peter Giger und Pierre Favre, ist ohnehin musikalisch, schreibend und mit Performances ein Multitalent mit diversen Rollen, der sich aber auch solo oder etwa mit Katharina Weber und Barry Guy bewährte. "Verhören" resultiert aus einer aussergewöhnlichen Forschungsarbeit (www.hexperimente.ch) der Kultur-Wissenschaftlerinnen und -Journalistinnen Corinne Holtz und Ina Boesch. Seit 2009 beschäftigen sie sich mit dem historischen und gesellschaftlichen Vermächtnis der Averser Hexenprozesse vor 300 Jahren, laden Künstlerinnen und Künstler zur Auseinandersetzung mit der Thematik ein und bieten ihren variablen Projekten im letzten ursprünglichen Averser Gehöft eine einmalige Bühne. Abonji/Nill ver- tieften sich in Prozessakten und Protokolle und die damalige Zeit und setzen sich so konkret wie intensiv, so sensibel wie aktuell mit dem Thema auseinander, lassen sich davon inspirieren und ihre künst- lerische Transformation in eine eindrückliche und vielschichtige Performance münden.

R
Rigobert Dittmann
Bad Alchemy Magazin

Heutzutage wundert man sich mit Abscheu über die Taliban und
den Islamischen Staat mit ihren Kopfabschneidern und ihrer
'mittelalterlichen Barbarei'. Aber sollte uns, hinter aller Gnade der
späten Geburt, nicht vieles davon bekannt vorkommen? Das
Orginal des IS nannte sich Christliches Abendland und es übte
seine gottgefällige Schreckensherrschaft jahrhundertelang bis ins
kleinste graubündner Kaff aus. Dort, in Avers, fand in den 1650er
Jahren einer der unzähligen und unsäglichen Hexenprozesse statt.
Nicht im Mittelalter, sondern zu Lebzeiten von Gryphius, Pascal und
Rembrandt. Und nicht irgendwo, sondern überall wurden sie
gefoltert und verbrannt, Frauen wie Trina Rüdi, oder, noch 1749,
Maria Renata Singer, kaum 5 km von meinem Schreibtisch, im
'Hexenbruch' bei Würzburg, einer Hochburg des
Vernichtungswahns. "Das Böse ausrotten" als Alltagserfahrung, mit
allem, was dazu gehört: Gedankenverbrechen, Doppeldenk,
Neusprech, Denunziation. Die Prozessprotokolle von Avers bilden
die Grundlage für die "Hexperimente"-Reihe, zu der nun auch
MELINDA NADJ ABONJI & BALTS NILL mit Verhören (Intakt CD
240) eine poetische Performance gestaltet haben. Zu den
hintergründig schlichten Klängen seiner Percussion und Ukulele,
ihrer Geige oder dem Kontrabass von Mich Gerber versenkt sich
die ungarisch-schweizerische, mit ihrem Roman Tauben fliegen auf
bekannt gewordene Schriftstellerin in jene wahnbedrückten,
sinnesfeindlichen Jahre mit ihrem von der "ehrsamen Obrigkeit" zu
Kontroll-, Folter- und Mordinstrumenten perfektionierten 'Gott will
es'. 'Gott' will nicht, dass man tanzt, 'Gott' will nicht, dass man
spielt, 'Gott' will nicht, dass man sich allein oder gar zu zweit wohl
fühlt in seiner Haut. Die Blähungen einer Kuh oder eine 'lockende'
Haarsträhne konnten jede(n) in Teufels Küche, in die Mühlen eines
höllischen A/bsu/rdistan bringen, als Sündenbock, für den es kein
Entkommen gab. In Schwizerdütsch gelesene Protokollausschnitte
machen die fadenscheinige Eigenlogik der 'Anklagepunkte' und
'Beweise' deutlich. Nadj Abonji räsonniert über die Gottgefälligkeit
sinnlichen Leiber und wehender Haare und überhaupt aller
Natürlichkeit in ihrer 'Wollust'. In dem, was sie laut denkt und leise
singt, macht sie das Ausmaß der 'Männerphantasien' hinter der
Gottesstaatenbilderei und ihrer exterminatorischen Nöte deutlich.
Zwischen 1627 und 1629 wurden bei 42 gottgewollten Parties allein
in Würzburg 219 Satansbraten gegrillt. Und old Nobodaddy aloft?
Erzählt mir nicht, er sei Vegetarier geworden.

T
Thorsten Meyer
Jazz Podium Magazine

Hinter Tragödien stecken oft fatale Banalitäten, die auf verhängnisvolle Weise aus dem Ruder laufen. Die Zeit der Hexenprozesse war von Denunziationen und Doppelmoral geprägt. Der tragische Fall der jungen Trina Ruedi von 1652 im Val Avers (Graubünden) ist von der Schweizer Lyrikerin und Vokalistin Melinda Nadj Abonji und ihrem Landsmann Balts Nill an Percussion und Ukele auf Basis der Gerichtsprotokolle des Prozesses zum Gegenstand eines Hörstücks gemacht worden.

Langsam entfaltet sich der Fall, werden die Auszüge aus den Akten - nüchtern und emotionslos vorgetragen - mit fiktionalen Ausflügen in die Gedankenwelt der Angeklagten verbunden. Schnell wird klar: Um rationale Argumente oder Erklärungsversuche geht es bei diesem Prozess nicht. Trina ist ein Freigeist. Sie hängt bei ihren bäuerlichen Tätigkeiten den Gedanken an die sie umgebende Natur und an das Natürliche in den menschlichen Gefühlen nach. Mit der engen, geistlich geprägten Welt in der sie lebt passt das nicht zusammen, und so entsteht aus einer harmlosen Situation das Verhängnis: Trina wird bedrängt, weist den Mann zurück, und dieser stirbt kurz darauf - vermeintlich von ihr verhext. Und als man Trina mit logischer Argu- mentation nicht beikommt hilft die Folter: Sie gesteht ihre „Hexerei". Ihre Frage „Sind natürliche Regungen nicht gottgefällig?" wird deutlich und brutal wiewohl nie direkt - beantwortet: Nicht, wenn eine Frau sie hat! Der Teufel, den sie vermeintlich in ihr Bett gelassen hat, entpuppt sich als der Gutsherr, auch diesen habe sie verhext. Die Musik ist mehr als bloße Untermalung der Texte. Sie kommentiert sanft aber unerbittlich. Trinas Gedanken werden verstärkt, ihr Unverständnis unterstrichen, und dort, wo die Worte fehlen, geben kurze Klangspiele den nötigen Kommentar.

Das Ende des Falls wird nicht thematisiert, aber man ahnt ihn auch so: Trina Ruedi wurde letztlich hingerichtet. „Im Kopf nisten alle Dämonen - die guten und die bösen" legt Melinda Nadj Abonji ihrer Protagonistin in den Mund. Zu oft gewinnen die bösen - zumindest kurzfristig.

// SCRAMBLED //