Geist der Anarchie
Die Zürcher Formation Billiger Bauer ist ein Synonym für die innovative Kraft des Free Jazz. Kaum zu glauben, dass die bunte Truppe bereits ihren 20. Geburtstag feiert.
Diese Band ist ein Phänomen. Ein Rätsel. Ein wandelnder Widerspruch. Als wilder Haufen wurde sie in ihren frühen Jahren apostrophiert. Sie nahm es als Kompliment auf, obwohl sie stets mehr als eine dem Free Jazz verpflichtete Chaos-Truppe war. Die 1996 gegründete Formation war von Anfang an - und ist bis heute - eine Big-Band ohne Leader. Ein Kollektiv von kreativen Köpfen, dessen höchster Wert die Freiheit ist, das aber dennoch musikalische Ordnungen erkennt und anerkennt. In der Spannung von Komposition und Impro- visation ereignet sich die beunruhigende und beglückende Musik des Billigen Bauern. Jeder Einzelne soll sich hier verwirklichen können, aber nicht in autistischen Explorationen, sondern im Dialog, im lebendigen Geist des Widerspruchs. Damit steht die Truppe in der Tradition von amerikanischen Grössen von Charles Mingus bis Sun Ra.
Zu den Gründungsmitgliedern des Billigen Bauern zählten der Saxofonist Omri Ziegele, der Schlagzeuger Dieter Ulrich und der Bas- sist Jan Schlegel. Auch der grosse, leider viel zu früh verstorbene Pianist Klaus Voerkel war bei den ersten Proben noch dabei. Alsbald trat die Pianistin Gabriela Friedli an seine Stelle. Sie gehört bis heute zu den tragenden Stützen des Nonetts.
In den ersten Jahren trafen sich die Musiker jede Woche. Dann änderte sich der Rhythmus und pendelte sich auf ein monatliches Treffen vor Publikum ein. Gegen 300 Konzerte hat der Billige Bauer inzwischen in der Werkstatt für Improvisierte Musik (WIM) in Zürich gegeben, er ist aber immer auch wieder in die Welt hinausgeschwärmt.
Obwohl die Truppe nach dem Prinzip der von Karl Marx definierten kommunistischen Urhorde funktioniert, hat sie einen Spiritus Rector: den Saxofonisten Omri Ziegele. Der 1959 in einem israelischen Kibbuz geborene Schweizer ist ein Wirbelwind. Ein brillanter, expressiver Solist, ein Ekstatiker, der sich bei jedem Auftritt die Seele aus dem Leib spielt. Ein Feuerkopf, ein Mann mit einer Mission. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Omri Ziegele muss sich nicht stets in den Vordergrund spielen. Er ist auch ein Hirtenhund, der die Herde zusammentreibt. Er organisiert die Gigs der Band, kümmert sich um alles Technische und Bürokratische. Zudem steuert er zahlreiche ehrgeizige Kompositionen für die Probenarbeit des Billigen Bauern bei. Doch sobald die Band auf der Bühne steht, ist er nicht mehr der Chef. Er versagt sich jedes Handzeichen, das auf die Rolle des Dirigenten hindeuten könnte. Nun lässt er der Magie des Augenblicks freien Lauf, nun spielt nur noch die Musik, in lebendiger Anarchie und kollektiver Improvisation, es ist ein Abenteuer auf jede Gefahr hin, alle bringen sich mit Leidenschaft ein.
Mit beliebigem Herumnudeln darf man diese Kunst jedoch nicht verwechseln. Omri Ziegele und seine Kombattanten wissen, dass Improvisation ein Thema braucht. Deshalb zieht sich die Band nach Möglichkeit einmal pro Jahr zu einer Retraite zurück. In den ersten zehn Jahren ihres Bestehens fanden diese Treffen in Saint-Légier statt. In diesen Klausuren wurde jeweils festgelegt, von welchen Kompositionen aus man inskünftig Neuland erkunden sollte.
In den zwanzig Jahren seines Bestehens hat der Billige Bauer nur gerade drei CD veröffentlicht. Sie sind alle höchst bemerkenswert, aber sie sind nicht unbedingt typisch für den Alltag der Working Band. In ihnen spielt das kompositorische Moment eine weit grössere Rolle als bei den Live-Auftritten der Band. Diese aber sollte man sich auf keinen Fall entgehen lassen. Denn hier, in der WIM an der Magnusstrasse 5 in Zürich, lebt und pulsiert der Jazz. Wir müssen durchaus nicht nach den Szenen in London und New York schielen. Vor unserer Haustür findet die Zukunft des Jazz statt. Mit den erwähnten Gründungsmitgliedern des Billigen Bauern sowie mit Jürg Wickihalder am Saxofon, Nick Gutersohn an der Posaune, Yves Reichmuth an der Gitarre, Herbert Kramis am Kontrabass und Marco Käppeli am Schlagzeug.
Bleibt die Frage, wieso diese wunderbare Formation Billiger Bauer heisst. Legenden gibt es naturgemäss viele. Die von Omri Ziegele lautet so: «1996 versuchten meine Familie und ich uns als Teilzeitbauern. In eine Probe der Band platzte ein Anruf meiner Frau: Du musst sofort kommen, eine Kuh kalbert! Ich also nichts wie weg. Und die Kollegen spöttelten: Da rennt der billige Bauer los. Zack, schon hatten wir unseren Namen.>>>
Zwanzig Jahre später gibt es das anarchische Kollektiv rund um Omri Ziegele immer noch. Das ist schön, denn die Band hat nichts von ihrer revolutionären Kraft eingebüsst. Sie bringt die Musik weiter voran, und sie steht ein für eine offene, multikulturelle Gesellschaft. Ihre Kunst ist, auch wenn sie weitgehend ohne Worte auskommt, hochpolitisch. Sie wirkt aufklärend und integrierend. Zudem betört sie durch ihre wilde Schönheit. Mehr kann man...