Heutzutage wundert man sich mit Abscheu über die Taliban und
den Islamischen Staat mit ihren Kopfabschneidern und ihrer
'mittelalterlichen Barbarei'. Aber sollte uns, hinter aller Gnade der
späten Geburt, nicht vieles davon bekannt vorkommen? Das
Orginal des IS nannte sich Christliches Abendland und es übte
seine gottgefällige Schreckensherrschaft jahrhundertelang bis ins
kleinste graubündner Kaff aus. Dort, in Avers, fand in den 1650er
Jahren einer der unzähligen und unsäglichen Hexenprozesse statt.
Nicht im Mittelalter, sondern zu Lebzeiten von Gryphius, Pascal und
Rembrandt. Und nicht irgendwo, sondern überall wurden sie
gefoltert und verbrannt, Frauen wie Trina Rüdi, oder, noch 1749,
Maria Renata Singer, kaum 5 km von meinem Schreibtisch, im
'Hexenbruch' bei Würzburg, einer Hochburg des
Vernichtungswahns. "Das Böse ausrotten" als Alltagserfahrung, mit
allem, was dazu gehört: Gedankenverbrechen, Doppeldenk,
Neusprech, Denunziation. Die Prozessprotokolle von Avers bilden
die Grundlage für die "Hexperimente"-Reihe, zu der nun auch
MELINDA NADJ ABONJI & BALTS NILL mit Verhören (Intakt CD
240) eine poetische Performance gestaltet haben. Zu den
hintergründig schlichten Klängen seiner Percussion und Ukulele,
ihrer Geige oder dem Kontrabass von Mich Gerber versenkt sich
die ungarisch-schweizerische, mit ihrem Roman Tauben fliegen auf
bekannt gewordene Schriftstellerin in jene wahnbedrückten,
sinnesfeindlichen Jahre mit ihrem von der "ehrsamen Obrigkeit" zu
Kontroll-, Folter- und Mordinstrumenten perfektionierten 'Gott will
es'. 'Gott' will nicht, dass man tanzt, 'Gott' will nicht, dass man
spielt, 'Gott' will nicht, dass man sich allein oder gar zu zweit wohl
fühlt in seiner Haut. Die Blähungen einer Kuh oder eine 'lockende'
Haarsträhne konnten jede(n) in Teufels Küche, in die Mühlen eines
höllischen A/bsu/rdistan bringen, als Sündenbock, für den es kein
Entkommen gab. In Schwizerdütsch gelesene Protokollausschnitte
machen die fadenscheinige Eigenlogik der 'Anklagepunkte' und
'Beweise' deutlich. Nadj Abonji räsonniert über die Gottgefälligkeit
sinnlichen Leiber und wehender Haare und überhaupt aller
Natürlichkeit in ihrer 'Wollust'. In dem, was sie laut denkt und leise
singt, macht sie das Ausmaß der 'Männerphantasien' hinter der
Gottesstaatenbilderei und ihrer exterminatorischen Nöte deutlich.
Zwischen 1627 und 1629 wurden bei 42 gottgewollten Parties allein
in Würzburg 219 Satansbraten gegrillt. Und old Nobodaddy aloft?
Erzählt mir nicht, er sei Vegetarier geworden.