PETER CONRADIN ZUMTHOR
Lernen macht glücklich
Von Peter Conradin Zumthor kann man lernen, dass auch ein Schlagzeuger ohne Ausbildung grenzensprengende und innovative Musik machen kann. Der Bündner Musiker und Künstler ist gemessen an seinen vielseitigen Projekten ein Tausendsassa, der immer wieder Risiken eingeht. Neuerdings ist er vermehrt auch als Solist zu hören. Oder "im freien Fall" mit seiner Partnerin, der Pianistin Vera Kappeler, dem DJ-Virtuosen Vincent von Schlippenbach und dem Churer Rapper Gimma.
Vor ein paar Jahren drückte uns Peter Conradin Zumthor seine erste Solo-Scheibe "Grün-schall" (2017) in die Hand, erschienen auf dem Label des Zürcher Perkussionisten Chris-tian Wolfarth. Schnörkellos entwickelt Zumthor in einer Abfolge von sieben Kompositionen eine perkussive Klangsuite, der es weder an klanglichem Feinsinn noch an raffiniert aufgebauter Dramatik fehlt.
Grünschall bezeichnet eine Aufnahme, die unbearbeitet ist. Keine Plugins, kein Hall, kein EQ, kein Kompressor, nichts von all dem, was üblicherweise gemacht wird. Diese Direktheit lässt sich natürlich am besten live erleben. Diesen Sommer hatte Zumthor einen Solo-Auftritt am Jazzfestival Willisau, der für eine "standing ovation" sorgte. Am 29. November ist der Schlagzeuger in der Stanzerei Baden als Solist zu erleben. Wir haben Peter Conradin Zumthor, genannt Pez, zum Interview getroffen.
JAZZ'N'MORE: Peter Conradin Zumthor, seit wann interessiert dich das Solo-Spielen auf deinem Instrument?
PEZ: (grinst) Interessiert hat es mich schon immer, aber getraut habe ich mich lange nicht. Wie so oft war es die Anfrage für einen Solo-Auftritt, die mich herausgefordert hat.
JNM: Wie erlebst du selber das Solospiel?
PEZ: Man ist frei in seinen Entscheidungen. Du kannst die volle Dynamik ausfahren, von fast unhörbar leise bis zu extrem laut und musst nicht auf andere akustische Instrumente Rücksicht nehmen. Ein langsamer Aufbau, bei wenigen Ideen bleiben, nicht alle 15 Sekunden zum Nächsten zu hüpfen: Das zieht mich an. So lässt sich eine fast rituelle Energie aufbauen.
JNM: Wie orientierst du dich während eines Solo-Konzertes? Hast du einen möglichen Verlauf oder bestimmte Module im Kopf oder lässt du alles offen?
PEZ: Das mit der völligen Freiheit habe ich auch schon gemacht, war aber nie zufrieden damit. Es bleibt auch ohne freien Fall genug Risiko. Vor einem Solo-Set weiss ich ungefähr, wie ich anfange und wie ich aufhöre. Dazwischen habe ich Ankerpunkte, die ich einsetzen kann oder nicht, sowie eine Vorstellung über den Verlauf des gesamten Bogens. Wichtig ist, ein Vertrauen aufzubauen, auch mal ganz einfach, leise oder langsam spielen und dabei bleiben zu können. Ich den ke dann oft an einfache Balladen oder Kinderlieder. Auch Humor ist mir wichtig.
JNM: Wann bist du zufrieden mit einem Solo-Gig? Wie fühist du das, was macht es aus?
PEZ: (überlegt) Da spielen mehrere Sachen zusammen. Wenn ich einen grossen Bogen sinnvoll habe spannen können. Wenn ich bestimmte Passagen lange genug spielte, auch an und über meine technischen und physischen Grenzen ging, um diese bestimmte Energie zu generieren. Wenn ich den Pausen und den leisen und langsamen Sachen trauen und an ihnen dranbleiben konnte und nicht aus lauter Verzweiflung eine unpassen de Intervention machen musste.
JNM: Diesen Herbst warst du auf Tournee mit "Der freie Fall", in dem auch der Rapper Gimma mitwirkt. Wie klingt das musika lisch, was habt ihr da ausgeheckt?
PEZ: Das Ganze ist komplett improvisiert und in dieser Konstellation ein Hochrisikoprojekt. Auch Gimma improvisiert. Er rappt, schnorrt, singt, macht Geräusche, eine Wundertüte. Gimma ist ein total furchtloser Typ auf der Bühne. Das ist erfrischend für alle Beteilig ten. Vera improvisiert am Flügel und Vincent von Schlippenbach hantiert als freier Improvisator mit zwei Plattenspielern und einem Sampler. Du hast nie das Gefühl, du spielst mit einer Loop-Maschine. Du interagierst mit einem Menschen, der auch blitzschnell auf Harmonien und Tempowechsel reagiert. Für mein Gefühl ist das eine freie Improvisation, die wieder ganz anders ist, als was man sich üblicherweise darunter vorstellt. Und sie ist ausserhalb meiner Komfortzone.
JNM: Eine Art back to the roots für dich, mit ganz anderen Vorzeichen, warst du doch selber ein grosser Hip-Hop-Fan als Teenager.
PEZ: Als am Ende der 1980er die erste Welle Hip-Hop aus den USA zu uns rüberschwappte, war ich voll dabei. Das war Ende der Primarschule. Ich fand Hip-Hop die geilste Musik und wollte am liebsten auch Rapper werden oder diese Beats spielen können. Immerhin war das der Funke, warum ich zum Schlagzeug gekommen bin. Ich habe die Schule gehasst, alle Institutionen. Ich wollte auch in keine Musikschule.
JNM: So bist du autodidaktisch zum Schlag zeuger geworden.
PEZ: Ich habe damals als Jugendlicher doch noch Unterricht genommen. Nicht in einer Musikschule, sondern bei einem Coiffeur, der hobbymässig Schlagzeug spielte. Mit meiner Mutter ging ich in die erste...